Der Espen-Sportchef ist seit bald einem Jahr im Amt
«Was ich tue, ist brutal riskant»

Seit bald einem Jahr ist Alain Sutter (50) Sportchef des FC St. Gallen. Der Ex-Nati-Star über Trainer Zeidler, seine Hochrisikostrategie, kurze Schweissausbrüche und Beni Huggel. Dass er mal Trainer wird? Möglich.
Publiziert: 19.11.2018 um 12:01 Uhr
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Aktualisiert: 19.11.2018 um 13:12 Uhr
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«Er ist brilliant», sagt der Sportchef über seinen Trainer, Zeidler.
Michael Schifferle

Alain Sutter, Sie wollten den Kybunpark zum Ort des Spektakels machen. Gefällt Ihnen, was Sie sehen?
Alain Sutter: Und wie! Ich liebe mutigen Fussball. Und darum mag ich unsere Mannschaft. Ich sehe ihr fast immer sehr gerne zu. Ich sehe Bravehearts.

Wie Braveheart im Film sterben sie aber noch oft den sportlichen Tod. Die Ergebnisse sind nicht besser als vor einem Jahr.
Ich gebe zu: Wir sind in der Europa-League-Quali gegen Sarpsborg und im Cup gegen Sion ausgeschieden und in der Liga Fünfter. Das ist Durchschnitt. Aber die Spielweise gefällt mir!

Vielen ist sie zu riskant.
Von mir aus könnte sie noch riskanter sein! Ich sehe noch zu oft die Teleboy-Mentalität: Soll ich drauf, oder soll ich nicht? Die Spieler sollen noch konsequenter draufgehen, noch mutiger. Dass man da mal ausgekontert wird, nehme ich hin.

Peter Zeidler liebt das Spektakel mindestens so sehr wie Sie.
Er ist brillant. Ich bin beeindruckt von ihm, auch menschlich. Er ist unverfälscht und darum glaubwürdig. Er ist kein Taktierer. Er redet offen. Aber damit Sie mich nicht falsch verstehen: Fussball-taktisch ist er voll auf der Höhe.

Im Gegensatz zu ihm und Präsident Matthias Hüppi nehmen Sie die Spiele meist regungslos hin. Was geht in Ihnen vor?
Cool bin ich sicher nicht. Ich konzentriere mich voll aufs Spiel. Aber ich habe eine Distanz zum Fussball entwickelt. Ergebnisse haben keinen Einfluss auf meine Lebensqualität.

Gabs einen Moment 2018, in dem Sie sich besonders gefreut oder geärgert haben?
Ausser im Fall Cedric Itten: Nein.

Kann ein Sportchef, der eine Distanz zu Resultaten hat, eine Siegermentalität vermitteln?
Natürlich. Ich kann sehr fordernd sein.

Haben Sie die Mannschaft auch schon angebrüllt?
Die Jungs werden bestätigen, dass ich durchaus etwas lauter und bestimmter werden kann.

Als Itten das Bein brach, wählten sie scharfe Worte. Sie forderten, dass Sünder Fabio Daprelà aus dem Verkehr gezogen wird.
Da gings mir nur um Cedi und seine Gesundheit. Es ist mein Job, die Spieler zu schützen.

Daprelà holt Itten brutal von den Beinen
0:22
Kreuz- und Innenbandriss:Daprelà holt Itten brutal von den Beinen

Haben Sie schon Ersatz?
Roman Buess und Nassim Ben Khalifa haben die Chance, bis im Winter zu zeigen, dass wir keinen Ersatz benötigen.

Sie haben das Team umgewälzt: 13 gingen, 11 kamen. Nicht alle waren Volltreffer. Zum Beispiel Milan Vilotic.
Das sehe ich anders. Milan hatte viele gute Spiele. Leider aber auch in zu vielen einen groben Bock, an denen er aufgehängt wurde. Aber wie er sich im Training oder auf der Bank verhält, zeigt: Er ist sehr wichtig für uns. Und Jordi Quintilla, Majeed Ashimeru oder Vincent Sierro sind stark. Viele sind noch jung.

Ashimeru und Sierro sind Leihspieler von Salzburg und Freiburg. Im Sommer sind sie weg.
Das ist wohl so. Sierro hat sicher das Zeug, in Freiburg Stammspieler zu werden. Aber im Moment helfen sie uns. Das zählt.

Im Sommer 2019 laufen 16 Verträge aus. Wir haben November, und Sie haben noch keinen verlängert. Ist das nicht fahrlässig?
Ich gebe zu: Es ist brutal riskant, was ich tue. Aber diese Hochrisikostrategie ist auch unseren Rahmenbedingungen geschuldet. Wir müssen sparen. Wir haben auch die Personalkosten um eine Million runtergefahren. Allen langfristige Verträge zu geben, liegt nicht drin.

Trotzdem passt der Umstand ins Bild, das viele von Ihnen haben: Alain Sutter ist ein Fussball-Philosoph, der das Tagesgeschäft unterschätzt.Ich bin mir meiner Verantwortung voll bewusst. Und auch ich habe zwischendurch einen Schweissausbruch, wenn ich dran denke, dass ich für nächste Saison noch fast keine Mannschaft habe. Aber im Hintergrund führe ich viele Gespräche.

Sie hätten auch ein, zwei Verträge von Spielern verlängern können, um nach aussen zu zeigen: Hier geht was!
Nur etwas zu tun, damit ich nach aussen gut dastehe? Das ist nicht meine Art.

Wo sonst haben Sie schon Spuren hinterlassen?
Im Nachwuchs natürlich. Dessen Chef ist neu, ich habe fast alle Trainer ersetzt, den Talentmanager. Das ist nicht wenig, oder? Aber bis sich die Veränderungen auswirken, brauchts halt Zeit.

Stimmts, dass Ihre Frau Melanie nun in der Akademie kocht?
(Lacht.) Nein, im Fussball wird viel Blödsinn geredet.

Aber die Spieler essen nun laktose- und glutenfrei, wie Trainer Zeidler dem «St. Galler Tagblatt» erzählt hat. Was erhoffen Sie sich davon?
Als ich bei Bayern München spielte, verlor ich wegen Unverträglichkeiten plötzlich zehn Kilo. Ich weiss aus eigener Erfahrung, wie wichtig die Ernährung ist.

Wenn die Spieler daheim ungesund essen, ist der Nutzen aber gering.Natürlich. Aber wenn sie hier gesund essen, wird der Körper zumindest entlastet. Aber ich schreibe niemandem vor, was er zu essen hat. Ich will nicht sektiererisch sein.

Sie reden meist von Prozessen. Nennen den SC Freiburg als Vorbild, den Volker Finke 16 Jahre prägte. Haben Sie Lust, so lange hier zu sein?
Die Lust am Fussball werde ich nie verlieren.

Aber am FC St. Gallen?
Bislang nicht. Vielleicht verliert er die Lust an mir. Garantien gibts im Leben keine.

Erfüllen Sie Ihren Dreijahresvertrag?
Noch mal: Garantien gibts keine. Aber ich bin überzeugt davon.

Reizt es Sie zwischendurch, selbst Trainer zu sein? Ihr Einfluss wäre grösser.
Im Moment ists kein Thema. Aber ausschliessen will ich nichts. Ich bin ja noch jung (Sutter wird im Januar 51, d. Red.).

14 Jahre waren Sie als Experte bei den Nati-Spielen dabei. Mit welchen Gefühlen schauen Sie nun zu?
Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht, null. Was ich aber sagen kann: Ich habe den Job verdammt gerne gemacht.

Wie gefällt Ihnen Ihr Nachfolger Benjamin Huggel?
Beni ist ja kein Anfänger. Ich höre ihm sehr gerne zu.

Die Nati selbst hat ...
... zur Nati sage ich nichts. Ich bin inzwischen viel zu weit weg, um mir ein Urteil anzumassen.

Aber eine Meinung haben Sie ja wohl.
Klar, aber die behalte ich für mich.

Alain Sutter Persönlich

Alain Sutter (50) spielte für YB, GC, Nürnberg, Bayern, Freiburg und Dallas. Er lief 62-mal im Nati-Trikot auf, schoss 5 Länderspieltore – sein wichtigstes beim 4:1 gegen Rumänien an der WM 1994 in den USA. Sutter galt als Querkopf, der sich auch politisch äussert («Stop it Chirac»). Nach seiner Karriere war er Nati-Experte beim Fernsehen und besass eine Coachingpraxis, die er inzwischen aufgegeben hat. Seit dem 3. Januar 2018 ist er Sportchef beim FC St. Gallen.

Alain Sutter (50) spielte für YB, GC, Nürnberg, Bayern, Freiburg und Dallas. Er lief 62-mal im Nati-Trikot auf, schoss 5 Länderspieltore – sein wichtigstes beim 4:1 gegen Rumänien an der WM 1994 in den USA. Sutter galt als Querkopf, der sich auch politisch äussert («Stop it Chirac»). Nach seiner Karriere war er Nati-Experte beim Fernsehen und besass eine Coachingpraxis, die er inzwischen aufgegeben hat. Seit dem 3. Januar 2018 ist er Sportchef beim FC St. Gallen.

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