Sforza bricht sein Schweigen zum FC Basel
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Über ein Jahr nach Entlassung:Sforza bricht sein Schweigen zum FC Basel

Ciriaco Sforza im bewegenden Interview
«Und dann kamen die Tränen, einfach so»

Ciriaco Sforza (52) ist einer der berühmtesten Schweizer Fussballer aller Zeiten. Kaum einer polarisiert wie er, kaum einer zeigt sich so sensibel. Hier sagt er, wie er in Depressionen landete, wie er seinen Papa in den Tod begleitete und warum er in Basel scheiterte.
Publiziert: 24.07.2022 um 00:49 Uhr
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Aktualisiert: 06.08.2022 um 20:06 Uhr
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Ciriaco Sforza im grossen Interview über sein Leben.
Foto: STEFAN BOHRER
Andreas Böni

Ciriaco Sforza, Ihr Vertrag beim FC Basel ist ausgelaufen. Nun können Sie schön vom Leder ziehen.
Ciriaco Sforza: Ganz sicher nicht. Ich bin sehr stolz, dass ich Basel-Trainer sein durfte, aber ich war im falschen Moment dort. Es hatte einfach zu viele Faktoren, die nicht passten.

Welche?
Das Thema Bernhard Burgener gegen David Degen zog sich in die Mannschaft, und einige schossen hintenherum auf den Besitzer. Dann kam Covid und damit verbunden Spiele ohne Fans. Zudem war da kein Sportchef, so dass ich viel zu viele administrative Dinge übernehmen musste. Es war fast nur schlechte Energie im Klub. Wenn es oben nicht stimmt, kanns auch unten nicht funktionieren. Auch ich hätte einiges anders machen können. Trotzdem sind das alles Fakten.

Was würden Sie im Nachhinein anders machen?
Ich würde mich nur auf den Trainer-Job konzentrieren.

Glauben Sie, dass sich viele freuten, dass Sforza in Basel scheiterte?
Ja. Wenns nicht läuft, bist du als Trainer schnell mal der Sündenbock. Ich werde manchmal in eine Schublade gesteckt, die mir nicht gerecht wird. Das ist gegenüber meiner Geschichte und meiner Person unfair.

Dann erzählen Sie Ihre Geschichte.
Mein Vater Fortunato wuchs im Hinterland von Neapel auf, mein Grossvater hatte dort ein Alteisen-Geschäft, das er wegen Asthma aufgeben musste. Sie waren nur zwei Brüder, meine Grossmutter verlor fünf Mal Zwillinge während einer Schwangerschaft. Das Geld war knapp, und mein Vater sah es als grosses Ziel, in der Schweiz auf eigene Füsse zu kommen.

Ciriaco Sforza als Kind mit seinem Vater Fortunato.
Foto: Zvg

Das war vor 1960.
Genau. Er kam ohne Geld, ohne einen einzigen Koffer über die Grenze und landete in Sempach. Dort arbeitete er in einer Fabrik, die aus Blöcken Ski herstellte. Er schleppte zentnerschwere Brocken von Ketten herum, hatte am Abend blutige Hände und verdiente 25 Rappen pro Stunde. Er schwor sich, dass es seine Familie später besser haben sollte – und holte seine Jugendliebe Angiolina nach ein paar Jahren auch in die Schweiz. Sie bekamen vier Kinder, drei Mädchen und mich.

Wie lebten Sie?
Zu sechst in einer 3½-Zimmer-Wohnung. Ich schlief auf dem Klappbett in der Stube. Aber das war normal für uns Südländer. Mein Vater arbeitete inzwischen als Maler, und die ganze Familie baute mit den eigenen Händen ein Haus in Wohlen im Aargau. Wir reisten fünf Jahre lang nicht nach Italien, weil wir alles Geld für den Hausbau brauchten.

Als das Haus fertig war, gabs davor ein Schild auf Italienisch: «Wer diesem Haus Schlechtes will, soll krepieren, bevor er die Schwelle überschreitet.»
Wir sind halt Süditaliener, Rom abwärts siehst du solche Sätze überall (lacht). Ja, und dann kam der Fussball.

Sie spielten mit 13 bereits bei Wohlen in der zweiten Liga.
Ja. Es ging sehr schnell in diesem Alter, vielleicht zu schnell. Aber ich habe dann auch vieles nicht richtig verarbeitet, was dann fast 30 Jahre später mit psychischen Problemen ausbrach.

Wie meinen Sie das?
Ich versuche, es mit Beispielen zu erzählen. Fangen wir mit der Pubertätsphase zwischen 13 und 20 an. Mein Papa war sehr streng mit mir, sagte: «Wenn du überheblich wirst, gibts eins an die Ohren.» Es kam öfters vor, dass er mich aus dem Ausgang nach Hause holte. Dann musste ich neben ihm nach Hause trotten, habe mich auch ein wenig geschämt. Es waren zwei Wege: Ich bin ein Jugendlicher, der das Leben auskosten will. Ich bin aber auch 16 und schon Fussballprofi, mein Papa sieht Potenzial und will nicht, dass ich mein Talent vergeude. Aber klar störte mich das damals, dass Papa immer von mir forderte, diszipliniert auf gewisse Dinge zu verzichten.

Wie entwickelte sich Ihr Verhältnis zu Ihrem Papa?
Wir waren immer sehr eng. Ich wurde dann ja mit 16 Profi bei GC. Eigentlich wollte ich ja zum FCZ, ich war als Kind Zürich-Fan und durfte auch mit Sven Hotz verhandeln. Aber am Ende bemühte sich GC mehr, und es lief alles sehr schnell. Der damalige Trainer Kurt Jara holte mich auf der Baustelle ab, weil ich ja eine Lehre als Sanitärinstallateur angefangen hatte.

Könnten Sie noch ein WC anschliessen?
Natürlich. Wenn Sie etwas brauchen, rufen Sie mich einfach an (lacht). Jara und ich fuhren zum Hardturm und wurden uns einig. Für meinen Papa änderte sich alles.

Inwiefern?
Sein Tagesablauf war nun so: 5 Uhr Baustelle. 8 Uhr mich ins Training von Wohlen nach Zürich fahren, dann zurück auf die Baustelle. 11.30 Uhr mich im Training abholen, nach Hause zum Mittagessen. Mich wieder ins Training fahren um 13.30 Uhr, zurück auf die Baustelle. Um 18 Uhr mich vom Training abholen, zu Hause abladen und bis 21 Uhr auf die Baustelle. Es war sein Traum, dass ich Profi werde. Dementsprechend begleitete er mich immer, ob an die WM 1994 in Amerika oder bei allen Bundesliga-Stationen. Er hatte immer seine Analysen, manchmal musste ich ihm auch sagen, dass es reicht.

Wurden Sie verhätschelt?
Ja, schon. Meine Schwestern hatten es auch gut. Aber der einzige Sohn in der Familie, der wurde ein bisschen anders angeschaut.

Wohlen ist bis heute der Rückzugsort für Sforza geblieben.
Foto: Toto Marti

Sie wohnten stets bei Papa und Mama, bis Sie ins Ausland gingen. Und sagten: «Ich bin kein Stadtmensch – Zürich macht mich krank.»
Die Wohler Clique, sie hält übrigens bis heute. Meine richtigen Freunde wohnen dort. Im Fussball sind enge Freundschaften nicht möglich, dort ist schon vieles sehr oberflächlich. Ich habe keinen engen Freund im Fussball. Ich selber wohne immer noch in Wohlen, es ist mein Rückzugsort, und ich kann zu meiner Mama schauen. Sie sah übrigens nie ein Spiel von mir live im Stadion.

Wie bitte? Weder bei GC, in der Nati, bei Kaiserslautern noch bei Bayern München?
Sie stand früher, als mein Papa noch spielte, neben einem Torpfosten und bekam einen Ball an den Kopf. Daraufhin sagte sie, sie gehe nie mehr zum Fussball. Sie schaute jedes Spiel von mir im TV. Nie im Stadion.

Was sie nicht davon abhielt, Sie im Ausland zu besuchen. Sie soll Ihnen Flaschen mit Tomatensauce jeweils nach Deutschland gebracht haben.
Das macht sie heute mit 77 noch. Ihre hausgemachte Sauce ist legendär. Aber seit mein Papa gestorben ist, ist das Leben für sie schon schwieriger geworden. Aber wir Kinder in Wohlen sind alle für sie da. Ich spürte bei meinem Papa früh, dass etwas nicht stimmt.

Wann genau?
Es war 2015, ich war Trainer beim FC Thun. Er wollte immer mit mir nach Thun fahren. Irgendwie hat in seinem Körper etwas angefangen, was man nicht richtig wahrnahm. Ich merkte, dass irgendetwas nicht stimmt, aber traute mich nicht zu fragen: «Papa, was ist?» Ich merkte, er braucht Nähe. Aus heutiger Sicht merke ich, dass ich unter diesen Umständen nicht bereit für jenen Job in Thun war. Irgendwie spürte ich, dass nicht alles okay ist. Für mich war die Situation, dass ein Elternteil krank ist, völlig neu. Wenn die Grosseltern sterben, ist das ja ganz anders als bei deinen Eltern.

Wie ging es weiter?
Anfang Februar 2017 sagte ihm der Doktor, er habe nur noch drei Monate zu leben. Es war ein Schock, denn eigentlich ging es ihm so weit gut. Es war Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Sie haben ihn in den Tod begleitet?
Ich war jeden Mittag bei ihm zum Essen. Papa durfte bis drei Tage vor seinem Tod zu Hause bleiben. Wenn meine Frau Marlene und ich nach Hause kamen, sagte ich: «Das ist wie ein Film.» Einmal war er gelb im Gesicht, einmal grün, einmal wieder normal. Und was er in den drei Monaten alles noch erledigt hat, war verrückt.

Was denn zum Beispiel?
Er wollte, dass die Familie in Ruhe weiterleben kann. Dass sich niemand mit einem Thema, das er hatte, beschäftigen muss. Kurz vor seinem Tod gab er meiner Mama ein Couvert. Er sagte ihr, sie dürfe es nicht aufmachen. Sie solle es mir geben, wenn er seinen letzten Atemzug gemacht habe. Am 4. Mai 2017 um 9.40 Uhr starb er, meine Mama gab mir das Couvert um 9.50 Uhr. Es war eine selbstgezeichnete Skizze mit einem Plan, wo sein Grab liegen soll. Er hatte es selbst ausgesucht, alles organisiert – ich musste nur noch zum Ort gehen und es mit dem Bestatter besprechen. Es hat mich tief berührt, welche innerliche Kraft er hatte. Sie müssen sich vorstellen: Du weisst, du hast noch drei Monate Zeit, aber es kann jeden Tag etwas passieren; und du weisst, wenn alles erledigt ist, bist du eh weg. Aus diesen drei Monaten habe ich extrem viel für mein Leben herausziehen dürfen.

Wie meinen Sie das?
Ich habe meinen Vater verloren, aber Optimismus für mich gefunden. Man muss das Leben auch geniessen. Ich habe am eigenen Leib gespürt, wie schnell es gehen kann. Ich habe gesehen, wie mein Papa, der 90 Kilo wog, in drei Monaten Woche für Woche, Tag für Tag immer weniger wird. Bis er stirbt. Als Letztes sagte er mir am Sterbebett: «Hör, Junge, geh deinen Weg. Aber bleib selber, wie du bist.»

Ciriaco Sforza hatte als Spieler eine illustre Karriere, spielte unter anderem auch bei Inter Mailand.
Foto: Keystone

Sie wurden mit Ihrer Ex-Partnerin früh Vater, Ihr Sohn Gianluca wird 26 und Ihre Tochter Luana 23. Welche Schlüsse zogen Sie aus der Erziehung Ihres Vaters, gerade in Bezug auf den Sohn?
Ich wollte, dass er mehr Freiheiten hat, als ich es als Jugendlicher hatte. Ich liess ihn machen, zugleich liess ich ihn aber wissen, dass ich da bin, wenn er mich braucht. Er hätte auch Talent gehabt, spielte Challenge League bei Wohlen. Aber er hatte Verletzungspech und Druck wegen dem Namen des Papas. Für mich ist es gut, dass er nun einen anderen Weg geht.

Sie konnten die ganze Magie der Liebe nun mit Ihrer Ehefrau Marlene Meyerstein nochmals kennenlernen, Ihre Kinder Estelle und Leon sind nun sieben und fünf Jahre.
Es ist ein wunderschöner neuer Abschnitt. Ich erlebe meine Kinder viel bewusster, kann mich viel mehr auf sie einlassen mit 52. Als Profi bist du voll im Schuss mit Nati, mit Bayern-Trainingslager, mit Reisen und so weiter. Heute als Trainer hast du auch Auszeiten, bist gereifter.

Ihre Ex-Partnerin sagte während Ihrer Profi-Zeit: «Ciri frisst Niederlagen in sich hinein, wird ganz still.» War das mit ein Problem, was Sie später in psychische Probleme gebracht hat?
Es war eine Mischung aus vielem. Wir sprachen vorher über meine Jugend, die ich nicht richtig ausleben konnte. Mit 16 kam ich ins Haifischbecken Profifussball, mit 23 ging ich ins Ausland zu Kaiserslautern, und im Anschluss an meine Profikarriere stieg ich ohne Pause direkt ins Trainerbusiness ein. Es hat sich vieles angestaut über die Jahre.

Nach Ihrem Bundesliga-Wechsel 1993 empfingen Sie 40 000 im Stadion Betzenberg zu Kaiserslautern. Sie liessen sich zitieren: «Mitspieler wie Medien wollen dich weichklopfen, aber da wehre ich mich. Ich gebe gleich zu Beginn den Tarif durch.» Ganz schön forsch als 23-Jähriger.
Ich musste mit 18 bei Aarau und mit 23 bei GC schon Verantwortung übernehmen. Lautern holte mich wegen dieser Leaderqualitäten – darum trat ich so auf. Das war auch mit dem Klub so abgesprochen. Aber klar, das hatte natürlich Auswirkungen. Die Deutschen sind selbstbewusst, stark – wenn der kleine Schweizer kommt und Paroli bietet, dann beginnen sie zu gifteln. Wenn du schwach bist, brichst du zusammen.

Sie sagten auch: «Ich weiss genau, wie der Fussball ist. Wenn man oben ist, jubeln sie. Wenn man unten ist, treten sie nach dir. Fussball ist ein Drecksgeschäft.»
So unrecht hatte ich nicht, es ist heute noch extremer geworden mit dem ganzen Zeitgeist und Social Media. Siegst du heute, bist du der Beste. Wenn nicht, kann man dich nicht gebrauchen. Da fehlt mir der Respekt vor dem Menschen.

Fussballer verdienen Millionen. Das kann man dann Schmerzensgeld nennen.
Egal, wie viel jemand verdient, das schmerzt.

Als Sie nach zwei Jahren zu Bayern wechselten, wurden Sie gnadenlos ausgepfiffen und mit Weisswürsten beworfen.
Auf der Tribüne grüssten die Spielerfrauen meine damalige Partnerin nicht mehr. Überhaupt sassen sie so weit auseinander, damit es keinen Stunk gab. Was ich nicht verstand: Man kann doch stolz sein, wenn man als kleinerer Klub einen Spieler zu Bayern bringt. Aber meist ist dann der Neid da, auch in der Schweiz.

Wie meinen Sie das?
Der italienische oder der deutsche Fan schaut den Fussballer oder den Trainer anders an als der Schweizer. Mit mehr Respekt. Bei uns hast du einen Stellenwert, aber nicht so wie in den Fussball-Ländern. Stars werden hier viel weniger akzeptiert. Vielleicht Roger Federer, aber dann ists bald fertig. Schauen Sie mal, was Vladimir Petkovic sieben Jahre lang leistete für dieses Land und wie er wahrgenommen wird. Man redet nur negativ von ihm – das ist doch nicht okay. Wir sind hier oft zu negativ statt stolz.

Kaum waren Sie bei Bayern, bezeichnete Boss Karl-Heinz Rummenigge Sie als «Stinkstiefel». Etwas, was Ihnen bis heute schadet.
Sportlich war es wunderbar. Wir holten den Uefa-Cup, es hatte überhaupt nichts mit der Mannschaft zu tun. Kalle kam in die Kabine und schüttelte jedem die Hand. Er war mit seinem Blick dabei schon beim Nächsten, und ich sagte: «Kalle, ich habe gelernt, dass man sich beim Händeschütteln in die Augen schaut.» Er war dann so empfindlich, dass er mir dieses Prädikat anhängte, ich wurde in die Schublade gesteckt. Und da wieder rauszukommen, war gar nicht so einfach, weil der Mensch allgemein zu Schubladendenken tendiert.

Sie gingen dann zu Inter Mailand.
Einige Monate vorher hatte man mich mit «Verstehen Sie Spass …?» reingelegt. Ich sass vor dem TV, als Mitspieler und Vorstands-Bosse dort erzählten, man würde mich zu Inter verkaufen. Ich war baff, da ich von nichts wusste. Alles wurde gefilmt und erst dann aufgelöst.

Hier wird Sforza von «Verstehen sie Spass?» veräppelt
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«Sforza sei eine Bratwurst»:Hier wird Sforza von «Verstehen sie Spass?» veräppelt

Sie regten sich damals vor der Glotze ganz schön auf.
Klar, ich dachte ja auch, ich würde verkauft, ohne dass ich etwas davon wusste. Darauf werde ich noch heute angesprochen. Unglaublich, dass es kurz später dann wirklich zum Inter-Transfer kam. Sportlich war in Mailand alles okay – aber wenn du bei Bayern warst, ist das schwierig. Ich fühlte mich nicht wohl, Infrastruktur und Professionalität, das waren zwei Stufen Unterschied.

Sie kamen zu Lautern zurück. Wo Sie beim Abgang sagten: «Den Fans hier weine ich keine Träne nach.»
Das war schnell vergessen. Ich brachte Leistung, und wir wurden Meister als Aufsteiger. Und ich ging dann wieder zu Bayern.

Wo Hitzfeld wartete, der Sie einst bei GC zum Rechtsverteidiger machen wollte und wegen dem Sie dann zu Aarau gingen. Und Rummenigge, der Sie als «Stinkstiefel» bezeichnete.
Ottmar hatte mich ja schon früher von Aarau wieder zu GC geholt. Es ist doch so: Wenn nicht Persönlichkeit und Qualität da gewesen wären, macht man das doch nicht. Zu Lautern ging ich dann ja sogar ein drittes Mal.

2002 wurden Sie Champions-League-Sieger mit Bayern. Die einen Schweizer waren stolz, die anderen ätzten: «Der hat doch gar nicht gespielt.»
Ich war Stammspieler, auch im Halbfinal spielte ich. Im Final gegen Valencia war ich verletzt, hatte eine Meniskusoperation vor mir. Ottmar kam zu mir und sagte: «Wenn ich dich bringe, muss ich dich vielleicht nach 10, 15 Minuten rausnehmen. Das kann ich nicht riskieren.» Das konnte ich verstehen. Die Häme der Leute, ich hätte ja gar nichts dazu beigetragen, konnte ich danach nicht nachvollziehen. Vielleicht habe ich polarisiert, weil ich antischweizerisch auftrat und Dinge aussprach, die mich störten.

Köbi Kuhn warf Sie damals als Nati-Captain raus.
Ich hatte mit ihm im Hotel Dolder ein gutes Gespräch. Er plante nicht mehr mit Chappi, Henchoz und mir. Ich konnte das nachvollziehen – aber was medial daraus gemacht wurde, geht gar nicht. Bis heute meiden mich deshalb gewisse Personen im Verband, und das ist einfach nicht okay.

Sprach man mit Ihnen als möglichem U21-Trainer vor der Verpflichtung von Patrick Rahmen?
Nein. Das ist schade, denn ich habe ja doch sehr viele junge Spieler in die Super League gebracht. Und selbst wenn ich polarisiere, kann man mit mir über alles reden.

Einige Kollegen äusserten sich damals klar über Sie. Markus Babbel sagte: «Er ist link.» Trainer Otto Rehhagel: «Er mosert hintenherum.» Und Lautern-Boss Atze Friedrich: «Er schwebt wie eine Giftwolke über uns, die sich verziehen muss.»
Das kam davon, dass ich Sachen knallhart ansprach, die wehtaten. Heute bin ich dort vorsichtiger geworden, rücksichtsvoller. Markus und ich sitzen ja regelmässig zusammen in der Sendung «Blick Kick», da ist heute gar nichts mehr übrig. Und mit den anderen beiden habe ich es ausdiskutiert.

Sie wurden dann 2006 Luzern-Trainer. Zu schnell?
Vielleicht. Es war sehr kurz nach meinem Ende als Spieler, vielleicht hätte ich eine längere Auszeit nehmen sollen. Aber ich hatte in Luzern eine gute Zeit – und auch nachher bei GC lief es sportlich lange gut. Die Trennung 2011 war aber eine echte Erlösung.

Danach brach Ihre Depression aus.
Ja. Es kamen viele Dinge zusammen. Meine Ex-Frau und ich trennten uns, ich zog aus. Bei GC war im Verein ein riesiges Durcheinander. Plus die ganze Vorgeschichte, die ich Ihnen jetzt erzählt habe. Der Körper konnte nicht mehr, er rebellierte.

Wie äusserte sich das?
Ich unternahm oft lange Spaziergänge. Und unterwegs kamen die Tränen, einfach so. Meine Gefühlswelt war völlig durcheinander, es war eine totale Leere. Manchmal erwachte ich mitten in der Nacht, schweissgebadet, wieder kamen Tränen. Fast ein Jahr lang ging es so. Und ich hatte Angst, plötzlich eine Herzattacke zu haben. Angst ist gefährlich.

Er hat Tiefen durchlebt, fühlt sich jetzt aber wieder bereit für neue Aufgaben: Ciriaco Sforza.
Foto: STEFAN BOHRER

1994 sagten Sie: «Angst passt nicht zu mir.»
Da war ich 24. Aber im Nachhinein war ich damals bereits in diesem Käfig drin und wollte nach aussen den Starken markieren, während man innerlich anders fühlt.

Wie kamen Sie aus den Depressionen heraus?
Ich brauchte natürlich einen Psychologen, logisch. Um zu reden.

Und Medikamente?
Meine Schwester gab mir am Anfang Beruhigungstabletten. Nach drei Tagen schmiss ich die Pillen weg, weil ich das nicht wollte. Die Gespräche brachten mich extrem weiter.

Was half Ihnen neben den Gesprächen?
Ich suchte Freude am Leben. Ein enger Freund, der wusste, dass ich das brauchte, überraschte mich. Er sagte, ich solle zu einem verabredeten Zeitpunkt zum Fussballplatz Wohlen kommen. Dort wartete eine Harley. Ich sass noch nie auf einem Töff. Er montierte das L, fuhr mit dem Auto vorneweg, und ich auf der Harley in die Berge. Ein unglaubliches Gefühl. Ich bin auch zum Beispiel mit dem Motorboot über den Zürichsee gefahren. Mit solchen Dingen erholte ich mich. Es befreite Kopf und Körper.

Wie geht es Ihnen heute?
Ich habe keine innerliche Angst mehr. Ich konnte den Tod meines Papa und die ganzen Jahre aufarbeiten. Ich bin bereit für einen neuen Job – aber so was von.

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