Auf einen Blick
Blick: Christoph Spycher, wo waren ihre Gedanken am Tag nach dem peinlichen 0:5 in Barcelona?
Christoph Spycher: Wir mussten uns mit einem Gegner messen, der auf einem anderen Level spielt als wir, der uns in allen Belangen klar überlegen war. An diesem Tag kamen diese Unterschiede stark zum Tragen. So war es eine klare Angelegenheit, wie wir sie in der Champions League auch schon erlebt haben: In Turin gegen Juventus waren wir chancenlos. Auch in Manchester gegen City.
Nach dem 0:3 zu Hause gegen Aston Villa und im Nachgang des Barça-Spiels tauchte vielerorts die Frage auf, was dieses YB in der Champions League verloren habe.
Wir haben uns die Teilnahme mit zwei sehr guten Spielen gegen Galatasaray Istanbul verdient. Das war nicht irgendeine Mannschaft, sondern eine, die sonst jedes Jahr Champions League spielt. Diese haben wir verdient eliminiert. So ein Spiel wie in Barcelona kann es geben, wenn der Gegner einen sehr guten Tag hat und wir einen nicht so guten. Dann wird die Differenz gross. Eine Chance zu Punkten zu kommen hat man nur mit einem eigenen nahezu perfekten Spiel.
Mit den europäischen Spielen hat man sich Abwechslung vom tristen Liga-Alltag erhofft. Das hat gegen Gala tipptopp geklappt. Mit Auftritten wie in Barcelona wirds aber eher eine zusätzliche mentale Belastung.
Das glaube ich nicht. Champions League zu spielen ist ein Traum für jeden Spieler. Bei der Kadenz der Matches haben wir ohnehin kaum Zeit, lange an diesen herumzustudieren. Das Barça-Spiel hat uns erlaubt, einige Rückschlüsse zu ziehen und Dinge zu lernen. Aber der Fokus lag bald danach auf dem schwierigen Match in Basel.
Welche Rückschlüsse habt ihr im Hinblick auf den Basel-Match ziehen können?
Wir haben gesehen, wie hoch die Messlatte in gewissen Bereichen liegt. Wir haben live erlebt, wie gut der Ball zirkulieren kann. Wie viele Läufe in die Tiefe die Offensivspieler machen. Wie extrem intensiv das Gegenpressing nach Ballverlusten ist. Wie gross der Siegeshunger, wenn nach einer 4:0-Führung ständig weitergepresst wird. Wie überragend die Kompaktheit in allen Phasen. Dies alles eins zu eins zu erleben, kann aufschlussreich sein für die Zukunft.
Zum Glück für Euch ist der FCB, der nun auf YB wartet, nicht ganz so gut wie dieser FCB …
Im Moment müssen wir uns alles schwer erarbeiten. Also dürfen wir nicht allzu sehr auf den Gegner schauen. Basel gegen YB sind immer spezielle Spiele. Um etwas zu holen, müssen wir die Basics auf den Platz bringen.
Was in Barcelona auffiel: Es fehlt der Leader, der einen Widerstandswillen aufbaut und dem Team vermittelt: So, jetzt ist mal Schluss! Typen wie sie YB zuvor mit Steve von Bergen und Fabian Lustenberger hatte.
Das würde ich nicht sagen. Die Leader-Hierarchien sind nicht nur in Fussball-Mannschaften, sondern auch in der Gesellschaft flacher geworden. Bei uns ist es so, dass aktuell Spieler, die Führungsfunktionen einnehmen könnten, mit sich selber zu kämpfen haben. Dazu kam die neue Situation mit drei Niederlagen zum Saisonstart. Es gilt, zusammenzustehen, maximale Energie zur Mannschaft zu bringen und die richtigen Impulse zu geben.
Okay. Aber nochmals: Leadertypen wie Steve und Fabian hat es keine. Habt ihr solch eine Figur schlicht nicht gefunden?
Leadertypen sind immer sehr gefragt. Der Übergang von Steve von Bergen zu Fabian Lustenberger war nahtlos, auch wenn das verschiedene Leadertypen waren und Lustenberger letzte Saison nicht mehr so viel gespielt hat. Wir haben mit Loris Benito und Ali Camara zwei Spieler, welche die YB-DNA verinnerlicht haben. Auch Goalie David von Ballmoos bringt das mit. Dazu kommen Ugrinic, Lauper, Itten, Janko, die wissen, wie der Laden läuft. Und Nationalspieler wie Ganvoula oder Elia. Wie gesagt, die Hierarchien sind flacher geworden. Da hat sich einiges verändert.
Welchen Einfluss auf den Fehlstart und die internationalen Klatschen hatte die eigentümliche Goalie-Rochade?
Keinen. Von Ballmoos ist die Nummer eins und Marvin Keller eine sehr gute und aufstrebende Nummer zwei, die auch Spielzeit benötigt und bekommt. Dass er diese nun auch in Barcelona erhielt, hatte keinen Einfluss auf Leistung und Resultat.
Christoph Spycher (44) wächst in Köniz BE auf, wird aber beim FCL und bei GC gross. 2006 wechselt er in die Bundesliga zu Eintracht Frankfurt, ist dort zeitweise Captain, kehrt 2010 in seine Heimat zurück und spielt die letzten vier Karrierejahre für YB. Spycher macht 47 Länderspiele. Er arbeitet bei YB nach Karriereende zwei Jahre als Talentmanager, bevor er 2016 Sportchef wird. Er feiert vier Meistertitel, einen Cupsieg und drei Champions-League-Teilnahmen. Im Mai 2022 wird er zum Verwaltungsrats-Delegierten im Sportbereich befördert. Das Amt des Sportchefs übernimmt Steve von Bergen. YB wird mit Spycher als Ober-Sportchef zweimal Meister, einmal Cupsieger und qualifiziert sich 2024 für die Gruppenphase der Champions League.
Christoph Spycher (44) wächst in Köniz BE auf, wird aber beim FCL und bei GC gross. 2006 wechselt er in die Bundesliga zu Eintracht Frankfurt, ist dort zeitweise Captain, kehrt 2010 in seine Heimat zurück und spielt die letzten vier Karrierejahre für YB. Spycher macht 47 Länderspiele. Er arbeitet bei YB nach Karriereende zwei Jahre als Talentmanager, bevor er 2016 Sportchef wird. Er feiert vier Meistertitel, einen Cupsieg und drei Champions-League-Teilnahmen. Im Mai 2022 wird er zum Verwaltungsrats-Delegierten im Sportbereich befördert. Das Amt des Sportchefs übernimmt Steve von Bergen. YB wird mit Spycher als Ober-Sportchef zweimal Meister, einmal Cupsieger und qualifiziert sich 2024 für die Gruppenphase der Champions League.
Wir haben von Von Bergen als Spieler gesprochen. Nun ist er Sportchef, und ein solcher wird primär an Spielern gemessen, die er holt und die einschlagen. Diese Bilanz ist bislang nicht gut. Welches Zeugnis stellt ihm der Chef aus?
Die Bewertung des Sportchefs alleine über die Transfers zu machen, ist aus meiner Sicht falsch. Diese tätigt er ja nicht alleine. Bei uns ist die gesamte sportliche Führung involviert. Das ist seit 2016 so, als ich Sportchef wurde. Niemand macht bei uns Transfers alleine. Und zum Aufgabengebiet des Sportchefs gehört viel mehr. Ich sehe täglich, wie Steve von Bergen arbeitet, wie viel Herzblut er investiert. Auch dank seiner Energie konnten wir letzte Saison den Titel verteidigen. Ich bin absolut zufrieden mit ihm.
Die NZZ hat bereits mit dem Namen Pirmin Schwegler als neuen Sportchef spekuliert, sollten Sie sich von Von Bergen trennen.
Ich weiss nicht, was das für Theorien sind.
Stimmt es aber, dass Von Bergen zweite Wahl war hinter Schwegler?
Nein.
Am Sonntag heisst die Affiche Krisengipfel statt Spitzenkampf, wie das jahrzehntelang der Fall war. Das mutet fast surreal an.
Das ist nicht schön. Wir waren in den letzten Jahren sehr erfolgsverwöhnt. Derzeit ist die Situation sehr schwierig. Der FC Basel verzeichnete gute Resultate, hatte zuletzt aber eine Baisse. Aber am Ende des Tages sind YB und Basel immer noch zwei grosse Vereine, welche die letzten Jahre im Schweizer Fussball geprägt haben. Weshalb es ein Spiel mit besonderer Brisanz ist.
Die Sportkommission beurteilt die Arbeit des Trainers laufend. Wie fällt das Urteil aktuell aus?
Bei dem Rhythmus, in welchem sich die Spiele folgen, hält man sich nicht allzu lange auf mit Diskussionen über die verflossenen Monate. Und dass wir nicht alles richtig gemacht haben, wenn man in einer solchen Situation ist, ist klar. Die sportliche Führung ist nicht zufrieden. Der Trainerstaff ist nicht zufrieden. Die Spieler sind nicht zufrieden. Das ist auch richtig so.
Zwei Zahlen sagen alles über die Situation von YB aus. Der Punkteschnitt von Patrick Rahmen beträgt 1,29. Derjenige des sehr bald entlassenen David Wagner 1,73 …
Das ist definitiv nicht gut.
Im Team soll die Stimmung ziemlich auf dem Nullpunkt sein, hört man.
Es ist einfach: Die Stimmung ist in einem Fussballteam immer besser, wenn man erfolgreich ist. Kommt hinzu, dass viele unserer Spieler sich solch eine Lage nicht gewöhnt sind.
Wenn zuletzt die Kadenz der Spiele zu hoch war für Standortbestimmungen, dann darf man davon ausgehen, dass eine solche unmittelbar nach dem Basel-Spiel stattfindet. Dann ist nämlich Nati-Pause.
Wir haben nicht definiert, wann eine Standortbestimmung vorgenommen wird. Der Austausch zwischen Von Bergen und Rahmen ist sehr eng. Wir haben laufend Diskussionen.
YB-Legende Guillaume Hoarau, der ja nun Blue-Experte ist, hat nach dem Barcelona-Spiel gesagt, dass das Basel-Spiel über die Zukunft von Rahmen entscheiden werde. Wir denken das auch.
Jeder darf seine Meinung haben. Unser Fokus liegt nicht darauf, Szenarien zu definieren, was ist, wenn ein Spiel so oder so ausgeht. Sondern darauf, einen Schritt nach vorne zu machen und Stabilität hinzukriegen, damit wir wieder regelmässig punkten.
Dann frage ich mal so: Heisst der Trainer gegen Luzern, im ersten Spiel nach der Nati-Pause, immer noch Patrick Rahmen?
Sie können noch auf zehn verschiedene Arten fragen: Unser ganzer Fokus liegt auf dem Spiel gegen Basel und einem positiven Resultat.
Sie weichen aber auch immer aus, wie auch immer die Fragestellung ist …
Ich kann ihnen nicht sagen, was in fünf Wochen sein wird oder in drei Monaten, weil ich leider über keinerlei hellseherische Fähigkeiten verfüge.
Kommen Sie sich in dieser Situation zwischendurch nicht vor wie im falschen Film – YB Letzter mit nur einem Sieg. Und dann wiederholen sich solche Albtraum-Szenarien auch noch wie in «Und täglich grüsst das Murmeltier».
Ich habe den Film nicht gesehen. Aber was wir alle bei YB und die YB-Fans erleben müssen, tut weh. Durch die Erfolge der letzten Jahre ist der Fall umso tiefer. Aber es bringt nichts, sich im falschen Film zu fühlen. Man erwacht ja nicht am nächsten Tag und alles ist anders und gut. Wir sind in der Realität. Diese ist die Tabelle, sind die Leistungen. Damit müssen wir uns abfinden und uns der Situation stellen. Man ist gut beraten, sich darauf zu konzentrieren, das zu beeinflussen, was man beeinflussen kann.
Wenn Sie die Ergebnisse ihrer Handlungen im Nachhinein bewerten, bei welchen sagen Sie sich: Das hätte ich anders machen müssen?
Niemand würde alles nochmals genau gleich machen, wen man ein Spiel verliert. Das gehört zu unserem Job dazu. Fussball ist ein Fehlerspiel. Wenn man in der Tabelle dort steht, wo wir stehen, sind viele Fehler passiert. Da müssen alle die Fehler bei sich suchen. Vielleicht hätten wir den Transfer von Patric Pfeiffer früher machen müssen, um einen weiteren gestandenen Innenverteidiger zu haben. Doch Pfeiffer hat sich sogleich verletzt. Hätten wir ihn früher geholt und er hätte sich im ersten Spiel verletzt, hätte das auch nichts gebracht. Oft ist es halt so: Wenns nicht läuft, kommen viele Sachen zusammen. Das ist bei uns aktuell der Fall.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | FC Zürich | 14 | 7 | 26 | |
2 | FC Basel | 14 | 20 | 25 | |
3 | FC Lugano | 14 | 6 | 25 | |
4 | Servette FC | 14 | 2 | 25 | |
5 | FC Luzern | 14 | 4 | 22 | |
6 | FC St. Gallen | 14 | 6 | 20 | |
7 | FC Lausanne-Sport | 14 | 2 | 20 | |
8 | FC Sion | 14 | 0 | 17 | |
9 | BSC Young Boys | 14 | -5 | 16 | |
10 | Yverdon Sport FC | 14 | -10 | 15 | |
11 | FC Winterthur | 14 | -21 | 11 | |
12 | Grasshopper Club Zürich | 14 | -11 | 9 |