Bewegender Rücktritt von Espen-Goalie Herzog
«Ich will meiner kranken Tochter beistehen»

Fast unbeachtet hört St. Gallen-Goalie Marcel Herzog (36) Anfang Jahr auf. Im BLICK erzählt er nun: Er tat es auch, um bei seiner krebskranken Tochter Leni (1) zu sein.
Publiziert: 06.02.2017 um 23:40 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 16:24 Uhr
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Marcel Herzog gab im Januar seinen Rücktritt bekannt.
Foto: BENJAMIN SOLAND
Andreas Böni, Matthias Dubach (Text) und Benjamin Soland (Foto)

BLICK: Marcel, Sie hören auf, obwohl Sie bei St. Gallen noch unter Vertrag standen und Schaffhausen Sie als Nummer 1 wollte. Warum?
Marcel Herzog:
Ich habe lange überlegt. Aber ob in St. Gallen oder Schaffhausen, ich will meinen Job zu 100 Prozent machen oder sonst nicht. Wegen meiner kleinen Tochter ging das nicht im Januar. Ich hätte zu oft gefehlt im Training, gerade jetzt in der Vorbereitung.

Warum?
Als sie vor 12 Monaten auf die Welt gekommen ist, war ihr Hals auf der einen Seite etwas dicker. Nichts ungewöhnliches, sagen die Ärzte. Vier Monate später wird beim Ultraschall ein Tumor festgestellt. Es war natürlich ein Schock: Wir fuhren ins Spital und dachten, mit Physiotherapie wird alles wieder gut. Nach der Untersuchung landest Du plötzlich auf der Kinderkrebs-Abteilung.

Wie fühlt man sich da als Vater?
Erst geschockt, dann versucht man die Situation anzunehmen. Meine Frau brauchte ein paar Tage länger, aber dann konnte sie auch positiv eingestellt an die nächsten Schritte denken. In unserem Fall hiess es, unsere Tochter zur Chemotherapie zu bringen, damit der Tumor schrumpft. Denn er war zu gross für eine sofortige Operation, hatte aber zum Glück noch nicht gestreut.

Ein Baby zur Chemo zu bringen, muss brutal sein.
Ich hatte am Anfang viel Respekt. Ich wollte nicht, dass ein so kleiner Mensch so starke Medikamente nehmen muss. Sie musste jeweils vier Tage im Spital bleiben. Als ich sah, dass sie es gut verträgt, habe ich meine Einstellung geändert und bin dankbar, dass es Möglichkeiten gibt, um betroffenen Kindern zu helfen. Jetzt im Januar konnte sie  erfolgreich operiert werden und ich wollte bei ihr sein. Auch darum entschied ich mich für den Rücktritt.

Erscheint im Kinderspital der Fussballalltag lächerlich?
Es war manchmal schwer, von der Krebs-Abteilung aufs Fussballfeld zu kommen. Und nach den Begegnungen auf der Station dann über die Laufwege des Gegners zu diskutieren. Aber es ist unser Job. Es hat mich schwer beeindruckt, dass auf der Kinder-Onkologie Normalität herrscht. Es wird ruhig und zielgerichtet gearbeitet. Die Ärzte und das Pflegepersonal strahlen Hoffnung und Zuversicht aus. Wir haben dort auch andere Familien kennengelernt. Die Akzeptanz der Gegebenheiten und mit welcher Energie und Zuversicht sowohl die Kinder als auch die Familien mit der Situation umgehen, gibt gegenseitig Kraft. Mich haben auch die vielen Zeichnungen und Bilder von früheren Patienten emotional berührt.

Ihre ältere Tochter Liv ist 6 Jahre alt und geht in den Kindergarten. Wie erklärt man ihr diese Krankheit?
Wir versuchen, offen zu ihr zu sein. Liv weiss, dass ihre Schwester etwas am Hals hat, was weg muss.

Wussten Ihre Teamkollegen Bescheid?
Ja. Nach der Diagnose fehlte ich zwei Tage lang. Danach habe ich sie informiert. Ich konnte mir immer Zeit für die Familie nehmen, wenn es nötig war. Diese Unterstützung vom Klub hat mir vieles vereinfacht. Dafür bin ich dankbar.

Ende Juli 2016 schlägt das Schicksal dann nochmals zu. Ihr jüngerer Bruder stirbt – mit nur 33 Jahren.
Ja, es ist alles zusammengekommen. Brutal war diese Endgültigkeit. Bei unserer Tochter wussten wir, dass es Wege zur Heilung gibt. Bei einem Todesfall ist das Ende plötzlich einfach da. Es ist schwierig, das zu akzeptieren.

Man kämpft mit der Tochter gegen den Krebs. Dann kommt die Nachricht vom Tod des Bruders. Wie geht man damit um?
Wie jeder andere auch. Zuerst will man es nicht wahrhaben. Aber in wenigen Sekunden realisiert man, dass es wahr ist. Man denkt an die Konsequenzen. Wie geht es unseren Eltern? Was wird aus seiner Tochter? 

Fühlen Sie sich vom Schicksal besonders hart geprüft?
Auch wenn es hart klingt: Das sind Aufgaben, die man als Mensch gestellt bekommt. So ist das Leben. Man muss stark und zuversichtlich bleiben, auch für die Kinder, die rasch wieder zur Normalität streben. Sie wollen spielen, sie möchten schlitteln. Das ist erfrischend und hilft. Es gibt traurige Momente. Aber die Ehrlichkeit der Kinder gibt Kraft, um weiterzumachen.

Was machen Sie nun nach der Karriere?
Ich möchte gerne meine Erfahrungen an junge Sportler weitergeben. Sie auf dem Weg zum Profi als Vertrauensperson begleiten. Ich konnte durch den Sport viel Lebenserfahrung mitnehmen. Mein Psychologiestudium, bei dem ich jetzt meinen Bachelor-Abschluss machen werde, hilft ebenfalls.

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