BLICK: Peter Gilliéron, was bleibt bei den Schweizer Fans von dieser WM-Endrunde in Erinnerung?
Peter Gilliéron: Meine Hoffnung ist, dass es tatsächlich die sportlichen Auftritte und die Qualifikation für die Achtelfinals sind. Aber nachdem, was in den letzten Tagen passiert ist, wird es wohl die Diskussion um die Doppelbürger sein. Heute kann ich sagen: Es tut uns leid, was passiert ist, wir haben Fehler gemacht, und wir bitten dafür um Entschuldigung. Ich hoffe, dass wir damit etwas Entspannung in die Diskussion bringen. Es ist uns wichtig zu betonen, dass es keinerlei Vorbehalte gegenüber Spielern mit Migrationshintergrund gibt.
Es ist ein autorisiertes Interview des Generalsekretärs. Da geht man davon aus, dass dies intern abgesprochen war?
Ich habe das Interview nur kurz gesehen, bevor es rausgegangen ist. Der Generalsekretär wollte, im Bestreben gerade die Doppelbürger der A-Nati noch besser zu schützen, eine Diskussion lancieren, die so von oben nicht abgesegnet war. Zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt und in einem bereits emotional aufgewühlten Umfeld. Ich verstehe, dass sich Leute dadurch diskreditiert fühlen. Die ganze Diskussion hat im Zusammenhang mit der Integration eine grosse Bedeutung weit über den Profifussball hinaus, dass ein solcher Vorstoss breit abgestützt sein muss. Und das war nicht der Fall.
Die Kontrollmechanismen haben versagt. Was lernt der Verband aus diesem Vorfall?
Wir werden diese WM-Endrunde gründlich analysieren und dabei die Rollenverteilung genau anschauen. Schnellschüsse wird es keine geben.
Wird der Fall Konsequenzen für Alex Miescher haben?
Ich habe mit Alex unter vier Augen alles bis dato Wesentliche besprochen. Es wird weitere Gespräche geben. Aber es wird höchstens Konsequenzen in Sachen Rollenverteilung haben. Nicht in anderer Hinsicht.
Ist es noch zeitgemäss, dass ein so grosser Verband einen Präsidenten und einen Delegierten der Nationalmannschaft im Ehrenamt hat. Müsste man da nicht professionellere Strukturen schaffen
Das sind Überlegungen, die wir uns machen. Und das wird Teil unserer Detailanalyse sein.
Es wird also ein Profi kommen.
Wie gesagt: Wir analysieren und entscheiden dann.
Kommen wir zur Doppeladler-Affäre, die einen Grossteil der Fans enorm verärgert hat. Man hat seit Monaten um die Brisanz dieser Partie gewusst. Hat man da im Vorfeld die Spieler zu wenig sensibilisiert?
Im Nachhinein kann man das so sehen. Insgesamt aber ist diese Suppe bei uns nicht so heiss gegessen worden, wie sie von gewissen Leuten gekocht wurde. Ich habe es nicht als so gravierend empfunden.
Viele Menschen im Land schon!
In meinem Umfeld hat man eher die Meinung vertreten: Lasst sie doch machen. Gut, wie ihr euch auf den Fussball konzentriert! Dass die Schweizer Bevölkerung in dieser Sache gespalten ist, das ist aber ein Fakt. Am Schluss ist es wichtig, dass die Spieler alles für die Nationalmannschaft geben. Und das haben sie getan.
Man hätte mit einer Spielsperre und einer klaren Haltung ein- für allemal solche Provokationen unterbinden können.
Ich finde, wir haben richtig reagiert. Die Fifa hat sich mit dem Fall beschäftigt, hat ein Urteil gefällt und wir haben das akzeptiert. Für mich ist damit der Fall erledigt.
Granit Xhaka hat in einem Interview Generalsekretär Alex Miescher heftig kritisiert. Darf man das dulden?
Jeder darf seine Meinung äussern. Ich habe ein gewisses Verständnis, weil die Aussagen von Alex Miescher halt tatsächlich falsch interpretiert werden können.
Die vermeintlichen Starspieler des Teams haben die Warnungen vor dem Serbien-Spiel ignoriert, und Granit Xhaka gibt ein solches Interview. Tanzt er dem Naticoach und den Verbandsbossen auf der Nase herum?
Diesen Eindruck habe ich überhaupt nicht.
Gibt es Konsequenzen für Xhaka?
Die Spieler sind jetzt in den Ferien. Wenn wir wieder zusammenkommen, werden wir sicher nochmals das Gespräch suchen. Nicht nur mit Granit, sondern auch mit dem Spielerrat.
Hat man im Spiel gegen Serbien mental zu viel Energie verloren?
Auch das wird Teil unserer Analyse sein. Dazu brauchen wir eine gewisse Distanz.
Die Nati hat in der Qualifikation gegen Portugal sang- und klanglos verloren. Sie hat unter Vladimir Petkovic nur zwei von acht Endrundenspielen gewonnen. In wichtigen Partien versagt die Mannschaft mit System. Warum?
Wenn man von entscheidenden Momenten redet, dann muss man auch das erste Spiel gegen den Europameister erwähnen, das wir 2:0 gewannen, dann die Barrage-Spiele gegen Nordirland dazunehmen. Wenn wir die verlieren, sind wir gar nicht an der Endrunde. Ich möchte auch mal einen Schritt weiterkommen, klar. Aber wenn man mir 2006 angeboten hätte: Ihr könnt Weltmeister werden, aber danach verschwindet ihr und seid nie mehr an einer Endrunde, dann hätte ich im Sinne der Kontinuität lieber die jetzige Situation. Für einen Verband sind Stabilität und Kontinuität wichtiger als ein einzelner Ausreisser nach oben.
Aber die Spieler haben grosse Ziele. Überschätzen sie sich?
Als Sportler muss man sich so hohe Ziele setzen. Sie können den Beweis immer noch erbringen, dass sie sich diese Ziele zurecht gesetzt haben. Und wie gesagt: Drei Achtelfinals an drei Endturnieren in Folge werte ich als Erfolg.
Die Nationalmannschaft hat insgesamt 20 gute Jahre hinter sich. Aber der Rückhalt in der Bevölkerung bröckelt. Hat sich der Verband zu schlecht verkauft?
Die Beziehung zu den Fans ist halt extrem erfolgsabhängig. Wir wünschen uns, dass sich das Land mit der Nati identifiziert. Auch darüber werden wir sprechen.
Ist Vladimir Petkovic ein guter Botschafter für den Schweizer Fussball?
Er ist sicher ein guter Coach. Das steht im Vordergrund. Wenn einer ein perfekter Botschafter wäre, aber keinen Erfolg hätte, wären wir auch nicht zufrieden.
Lieber ein erfolgreicher Coach als ein guter Botschafter?
Botschafter gibt es viele andere. Er ist ein guter Coach und ein guter Botschafter.
War die Vertragsverlängerung mit ihm richtig?
Ja. Wir haben Vertrauen zu ihm. Andere Länder haben noch längerfristige Verträge gemacht.
Deutschland.
Ich nenne keine Namen.
Andere Länder haben in der Qualifikation den Trainer gewechselt und stehen mit diesen neuen Impulsen im WM-Final.
Man findet immer Gegenbeispiele. Ich freue mich für Kroatien.
Ein kleines Fussballland wie die Schweiz. Neidisch?
Natürlich ist das wunderbar für Kroatien. Ich freue mich für Verbandspräsident Davor Suker, der ein guter Kollege von mir ist.
Warum ist Vladimir Petkovic nach dem Ausscheiden abgetaucht?
Er hat seinen Kommentar nach dem Ausscheiden via Verbandshomepage abgegeben. Er hat nicht nichts gesagt. Aber richtig ist, er hat den Schweizer Journalisten keinen Extra-Termin eingeräumt.
In den letzten Wochen ist der Eindruck entstanden, der Schweizer Fussball sei ein Scherbenhaufen. Hat das den Präsidenten sehr belastet?
Nein. Ich bin in keine Scherbe getreten und stehe jetzt aufrecht hin und sage: Nein, das war nicht gut. Wir bitten um Entschuldigung.
Haben Sie persönlich an Rücktritt gedacht?
Klar, es gibt schönere und lustigere Momente als Präsident. Aber die Antwort ist ein klares Nein.
Wie geht es weiter? In der Nations League warten Island und Belgien.
Zuerst kommt jetzt die WM-Analyse. Und dann warten die Nations League und die EM-Qualifikation. Die Auslosung ist ja im Dezember.
Die Schweiz war zu WM-Beginn die Nummer 6 der Fifa-Weltrangliste. Gehören wir da hin?
Diese Rangliste wird jetzt zum Glück überprüft. Wir hatten da einen Stellenwert, der uns derzeit nicht wirklich zusteht.
Was steht uns zu?
Wir waren jetzt bei der WM unter den letzten 16 Teams. Da gehören wir hin. Irgendwo zwischen Platz 10 und 16.
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So gehts mit der Nati weiter
Die Spiele der Schweizer Nati im Rahmen der UEFA Nations League wurden festgelegt. Die Schweiz trifft in ihrer Gruppe auf Island und Belgien:
- Schweiz – Island, 8. September 2018, St. Gallen, 18 Uhr
- Belgien – Schweiz, 12. Oktober, Spielort offen, 20.45 Uhr
- Island – Schweiz, 15. Oktober, Reykjavik, 20.45 Uhr
- Schweiz – Belgien, 18. November, Luzern, 20.45 Uhr
Zudem hat die Schweiz zwei Länderspiele geplant: Am 11. September gegen England in Leicester, um 21 Uhr. Ausserdem gegen Katar am 14. November, Spielort und -zeit offen.