Sforza über Rummenigges Stinkstiefel-Ausdruck
«Das hat mir mein ganzes Leben lang geschadet!»

Ciriaco Sforza (46) kämpfte gegen Depressionen und hatte Angst vor dem plötzlichen Herztod. Im bewegenden Interview erklärt er, wie er zurück ins Leben fand, warum er sich falsch beurteilt fühlt und schwulen Fussballern zum Outing rät.
Publiziert: 18.09.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 01:46 Uhr
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Mit sich im Reinen: Ciri Sforza auf dem Hardturm-Areal.
Foto: Toto Marti
Andreas Böni, Max Kern

SonntagsBlick: Ciriaco Sforza, warum outet sich im Profi-Fussball nach wievor kein schwuler Spieler?
Ciriaco Sforza:
Ich weiss es ehrlich nicht. Aus meiner Sicht wäre es an der Zeit, dass man als Fussballer zu seinen Vorlieben stehen kann. Ich als Trainer würde einem homosexuellen Spieler zum Coming-out raten, wenn es für ihn als Mensch passt.

Fürchten sich die Spieler im Macho-Sport Fussball vor den Reaktionen der Fans?
Ja, die Angst ist sicher da. Aber bitte, wir sind im Jahr 2016. Es wäre nur am Anfang ein riesiges Thema. Wenn der Spieler dann seine Leistung bringt, würde es akzeptiert werden. Im Frauen-Fussball gibt es viele Lesben, und es ist kein Thema. Warum sollte es also ein Problem sein, wenn sich ein Bundesliga- oder Super-League-Spieler outet?

Haben Sie Team-Kollegen erlebt, die ihre Homosexualität unterdrücken mussten?
Vielleicht habe ich es nicht bemerkt. Gerüchte hörtest du immer wieder, aber die Leute erzählen viel. Die Hauptsache ist, dass er als Mensch glücklich ist. Wenn du deine sexuelle Ausrichtung jahrelang unterdrücken musst, kann es dir nicht gut gehen.

Wären Sie als Spieler bereit gewesen, sich zu outen?
Ich bin ja nicht schwul. Aber klar, von der Persönlichkeit her bist du vielleicht in meinem heutigen Alter eher bereit für eine so einschneidende Entscheidung.

Sie wurden mit 16 Jahren Profi bei GC. Haben Sie sich auch verbogen?
Absolut. Als Fussballer von 16 bis 36 habe ich eine Mauer um mich aufgebaut. Ich habe der Öffentlichkeit nie den Menschen Ciri gezeigt. Nur den Fussballer.

Bayern-Vorstand Karl-Heinz Rummenigge.
Foto: Toto Marti

Geprägt hat Sie das Wort Stinkstiefel. So nannte Sie Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge vor etwa 20 Jahren.
Ja, es ist ein Ausdruck, der mir mein ganzes Leben lang geschadet hat. Ich erzähle Ihnen diese Geschichte mal. Karl-Heinz Rummenigge kam in die Bayern-Kabine und gab jedem Spieler die Hand. Als ich an der Reihe war, schüttelte er mir zwar die Hand, schaute aber schon dem nächstenins Gesicht. Ich sagte ihm anständig und ehrlich, dass man einem Menschen beim Händeschütteln in die Augen schaue – so bin ich erzogen worden. Ab jenem Moment war Feierabend. Er verpasste mir diesen Ausdruck und ich war in einer Schublade.

Haben Sie sich nie ausgesprochen?
Doch. Aber das Wort Stinkstiefel blieb ewig an mir haften. Vielleicht war er verletzt, weil ich es vor allen anderen Spielern so direkt ausgesprochen habe.

Sie gelten als sensibel, Körper und Geist schlugen bei Ihnen brutal zurück. Nach Ihrer Zeit als GC-Trainer litten Sie an Depressionen. Oder an Burnout, je nachdem, wie man es definieren will.
Für mich waren es einfach Zeichen, mein Leben zu ändern. Egal, welchen Ausdruck man wählt. Heute bin ich unendlich dankbar, denn ich bin ein stärkerer Mensch als je zuvor in meinem Leben.

Warum ist es passiert?
Es kamen verschiedene Faktoren zusammen. Im ersten Jahr erreichte ich als GC-Trainer mit jungen Spielern Platz 3. Dann hiess es: Wir müssen sparen, wir müssen Spieler verkaufen. Ich hätte da sagen sollen: Ohne mich, ich höre auf. Ich arbeitete für ein Projekt, hinter dem ich nicht stehen konnte. Und konnte plötzlich gedanklich nicht mehr loslassen.

Was heisst das konkret?
Ich schlief nicht mehr tief. Ich hatte plötzlich grosse Angst. Vor dem Versagen, vor dem Leben, vor einem plötzlichen Herztod wegen des ganzen Drucks.

Wann kamen diese Ängste?
In der Ruhephase. Wenn man solche Signale bekommt, muss man sie wahrnehmen und entsprechend Konsequenzen ziehen.

Was haben Sie getan?
Ich war beim Psychologen, sprach und sprach und sprach. Das hat null und nichts mit Schwäche zu tun.

Bekamen Sie Antidepressiva?
Nein. Ich nahm nie Medikamente. Das war für mich immer das Wichtigste, dass ich es ohne schaffe.

Wie geht es Ihnen heute?
Tipptopp. Die fast einjährige Pause hat mir sehr gut getan. Ich bin bereit für einen neuen Job als Trainer. Ob in der Schweiz oder im Ausland.

Was ist Ihre Lehre aus jener schwierigen Zeit?
Bei Spielern sagt man immer: Geht es ihnen nicht gut, können sie zum Verein, zu den Physios. Aber wer hilft, wenn es dem Trainer schlecht geht? Wenn er vor der Entlassung steht? Für mich ist klar: Sobald ich als Trainer wieder einsteige, werde ich mit einer Vertrauensperson arbeiten. Mit einem Menschen ausserhalb des Vereins, mit dem ich gewisse Dinge besprechen und analysieren kann. Die Familie reicht nicht als alleiniger Ansprechpartner, du kannst sie nicht mit allem belasten. Es brauchte für mich während der Therapiesitzungen viel Mut, in mich hineinzuschauen und die Schwächen festzustellen.

Was haben Sie ausgemacht?
Ich konnte zum Beispiel nicht Nein sagen. Ich habe mich nach 30 Jahren im Profi-Fussball gefragt: Wo bleibt der Mensch? Jetzt bin ich an einem Punkt angelangt, an dem ich mich immer besser kenne und auch andere Leute den Menschen Ciri richtig kennenlernen können – weil ich es zulasse. Indem ich nur noch mit Menschen zu tun haben möchte, mit denen ich mich wohlfühle. Letztlich sind es drei Punkte, die wichtig sind im Leben: Familie, Gesundheit und einfach glücklich zu sein. Heute lebe ich intensiver.

Ein Beispiel?
Als ich mit 26 Jahren Vater wurde, habe ich funktioniert. Gewickelt, Fussball gespielt, gereist, Länderspiele, Champions League und so weiter. Ich liebe meine beiden Kinder aus erster Ehe aus tiefstem Herzen. Aber so richtig die Freude des Vaterseins geniessen, das kann ich erst jetzt bei meiner 14 Monate alten Tochter Estelle. Vorher lief das Leben an mir vorbei. Bewusst gelebt, das habe ich wenig. Zu wenig.

Wie spüren Sie heute, wenn es Ihnen nicht gut geht?
Es wird mir eng in der Brust oder mein Magen rebelliert. Mein Körper zieht sich ein wenig zu, wenn ich mich nicht wohl fühle.

Da hatte er in den drei Monaten, als Sie Thun-Trainer waren, viel zu tun.
Ach, es war auch eine Erfahrung. Die Geburt meiner Tochter stand kurz bevor, und ich wollte eine Pause machen. Man erwischte mich auf dem falschen Fuss, und ich sagte zu – mit einer Klausel, wonach beide Parteien nach drei Monaten die Zusammenarbeit beenden können. Es war kein Fehler, aber es hat menschlich nicht zusammengepasst.

Sie waren bei einigen Vereinen immer wieder im Gespräch – zum Beispiel Lugano.
Sogenannte Berater hausieren bei verschiedenen Vereinen mit meinem Namen. Und dies, obwohl ich mit keinem Berater zusammenarbeite. Ich finde es nicht richtig, dass man über meinen Kopf hinweg und in meinem Namen mit Vereinen verhandelt.

Warum waren Sie bei Kaiserslautern nie ein Thema?
Es hat bisher vielleicht noch nie gepasst. Aber natürlich habe ich eine grosse Verbundenheit, bin ja als Captain Meister geworden mit Kaiserslautern, direkt nach dem Aufstieg. Einmalig!

Ihr ehemaliger Mitspieler Mario Basler ist gerade im Big-Brother-Container.
Da war ich auch überrascht, als ich vor dem TV sass. Er ist ein guter Kollege von mir, sagte mir aber gar nichts davon. Ich werde ihn anrufen, wenn er wieder draussen ist.

Ihr Ex-Boss bei Kaiserslautern, René C. Jäggi, hat versucht, sich das Leben zu nehmen.
Als ich den Anruf bekam, habe ich Hühnerhaut bekommen. In unseren zwei Jahren bei Kaiserslautern habe ich ja eng mit ihm zusammengearbeitet. Er ist ein Machtmensch, aber er hat es immer gut gemeint. Er lebte immer nach dem Motto: «Ich schaffe alles!» Ein dominanter, selbstsicherer Mensch.

Sie flogen bei Kaiserslautern raus, weil Sie mit ihm Krach hatten.
Ich sagte ihm im direkten Gespräch, dass er den Klub doch nicht gegen die Wand fahren könne. Ich verstand seine Philosophie nicht gegen Ende. Aber er hatte eine andere Strategie. Er hatte immer seine Linie, zog sie durch. Aber die ganze Geschichte jetzt, sie macht mich einfach nur traurig. Dass René so etwas gemacht hat, heisst ja, dass irgendetwas im Menschen nicht gestimmt hat. Ich wünsche ihm und seiner Familie viel Kraft in dieser schweren Zeit.

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