Sepp Blatter wird heute 80 Jahre alt - das Geburtstags-Interview
«Freunde sind wenige übrig geblieben»

Im Geburtstags-Interview erzählt Sepp Blatter wie er auf der Intensivstation um sein Leben kämpfte. Dass er keinen grossen Abgang braucht. Und ob er Angst vor Handschellen hat.
Publiziert: 10.03.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 18.10.2024 um 10:29 Uhr
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Zahn der Zeit: Blatter vor dem Porträt, das der Karikaturist Nico (†) vor 30 Jahren zu seinem 50. Geburtstag malte.
Foto: Valeriano Di Domenico
Andreas Böni

Sepp Blatter sitzt im Restaurant Sonnenberg hoch über den Dächern Zürichs und trinkt Pfefferminz-Tee. Direkt am alten Fifa-Sitz, zwei Kilometer vom neuen Hauptquartier entfernt. Seit 13 Tagen ist er Ex-Boss der Fifa – es ist sein erstes Interview in der Schweiz als ehemaliger Präsident. Ein Privatmann, der feiern darf. Heute wird Sepp Blatter 80 Jahre alt. «Schauen Sie sich das Bild an», sagt er. «Das hat der Künstler Nico zu meinem 50. Geburtstag gemalt.»

BLICK: Herr Blatter, herzliche Gratulation zum 80. Geburtstag. Da haben Sie ganz schön viele Kerzen auszublasen. 

Sepp Blatter: Nicht eine einzige blase ich aus. Einen Kuchen mit Kerzen kann man einem Fünfjährigen geben, der noch nicht richtig pusten kann. Aber nicht einem 80-Jährigen. Licht ist Leben – das blase ich doch nicht aus.

Fühlen Sie sich wie 80? 

Für mich bedeutet es, dass ich nach Gregorianischem Kalender 80 Jahre auf der Welt bin. Im Lebenskalender fühle ich mich viel jünger. Es geht mir sehr gut.

Im November noch schwebten Sie in Lebensgefahr. Was passierte an jenem Tag im Wallis? 

Wie Erich Kästner sagte: Leben ist immer lebensgefährlich. An diesem Tag – am 1. November – stand ich mit meiner Familie am Grab meiner Eltern in Visp, als ich plötzlich einen Schwächeanfall hatte.

Sie landeten gleich auf der Intensivstation? 

Nein. Wir gingen noch zum Essen.

Wie bitte? 

Also ich ass nichts, erst dachte ich noch nicht an etwas Schlimmes. Irgendwann merkte ich dann aber schon, dass ich ins Spital muss und sagte: Wir ­gehen sofort nach Zürich, wo bereits alles organisiert war.

Sie fuhren noch stundenlang durch die Schweiz? 

Ja. Im Zug, das ist der schnellste Weg von Visp nach Zürich – zwei Stunden.

Von der Bahn auf die Intensivstation. 

Ja, aber mit eigenen Kräften.

Danach ging es 48 Stunden lang um Leben und Tod, weil Ihre Organe versagten. Haben Sie das gespürt, dass es zu Ende gehen könnte? 

Nein, ich habe es nicht realisiert, dass ich am Ende sein könnte. Ich habe dem leitenden Arzt sogar gesagt, dass ich am Abend nach Hause will. Aber er wollte mich nicht gehen lassen.

Schauen Sie das Leben heute ­anders an? 

Ich habe sicher gelernt, dass der Körper zurückschlägt. Als Fifa-Präsident habe ich praktisch nie Ferien gemacht. Ich habe nun viel Zeit gehabt, um nachzudenken. Um zu spüren, dass mir zwei Dinge im Leben wichtig sind. Die Gesundheit und die Liebe. Die Liebe zur Familie und zu meiner Lady Linda.

Bleibt Ihr Lebensmittelpunkt in Zürich? Oder zieht es Sie zurück ins Wallis? 

Es wird eine Mischung zwischen Zürich, Wallis und Genf, wo Linda wohnt. Aber es ist interessant: In den schweren Zeiten, die ich durchgemacht habe, habe ich mich in Zürich am wohlsten gefühlt. 41 Jahre bin ich nun schon in dieser Stadt.

Wohnen Sie eigentlich immer noch im Haus, das der Fifa gehört? 

Ja. Ich bin normaler Mieter, zahle ja jeden Monat. Ich werde auch bleiben.

Es ist Ihr erstes Interview als ­Ex-Fifa-Boss. Wo haben Sie den Kongress geschaut? 

Zu Hause auf dem iPad – zusammen mit meiner Tochter Corinne. Als an jenem Freitag um 18.01 Uhr der neue Präsident feststand, fiel mir ein grosses Gewicht von den Schultern.

Wie sehr schmerzte es, dass Sie sich nicht von den 209 Nationen verabschieden konnten? 

Es hat mir nicht so wehgetan. Ich glaube, dass ich den Kongress ein wenig gestört hätte, wenn ich da gewesen wäre. Aber ich hätte erwartet, dass mindestens zum Beginn oder zum Schluss vom Kongressleiter etwas zu meiner Arbeit gesagt worden wäre. «Nicht mal ein Tschau-Tschau», schrieb ein Journalist treffend. Zwei Kandidaten haben mich ja erwähnt: Der eine, der sich zurückzog, und der andere, der wenige Stimmen hatte ...

Haben Sie in Ihrem schwierigen Jahr die richtigen und falschen Freunde kennengelernt? 

Besonders die falschen lernst du kennen. Richtige sind wenige übrig geblieben. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Einen Freund habe ich drei Mal zum Essen eingeladen. Er sagte drei Mal im letzten Moment ab. Das spricht Bände. Oder bei ­anderen spürte ich am Telefon, dass sie abweisend reagierten. Aber es gab auch Gesten, die mich sehr gefreut haben.

Welche? 

Insgesamt haben sich über 100 Mitarbeiter von der Fifa bei mir gemeldet. Und nach der Suspendierung habe ich 220 persönliche Zuschriften bekommen. 218 davon waren positiv.

Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Nachfolger? Gianni Infantino ist Ihnen bestimmt lieber als Michel Platini ... 

Das ist ein Vergleich, auf den ich nicht einsteigen kann. Gianni Infantino kenne ich seit ­vielen Jahren, wir hatten allerdings nie regen Kontakt. Aber wenn wir uns sehen, dann begrüssen wir uns herzlich wie zwei Oberwalliser. Das heisst: Man umarmt sich kräftig. Er hat nun den Kredit des Neuen. Seine Aufgabe ist schwierig, aber er kann sie meistern.

Er will die WM mit 40 statt 32 Mannschaften austragen. Eine gute Idee? 

Ich finde nicht. Man sollte bei 32 Mannschaften an einer WM bleiben. Das System hat sich bewährt.

Gut, aber die Idee, das WM-Feld zu vergrössern, hat vielleicht Stimmen gebracht ... 

… ja, und der Nächste sagt dann 44. Aber wo ist die Grenze? Wie im Grand Slam – mit 128 Mannschaften im K.-o.-System. Das wäre eine wirklich kreative Neuerung.

Waren Sie eigentlich der Königsmacher? Oder anders gefragt: Wie viele der 207 stimmberechtigten Nationen haben sich rund um den Kongress bei Ihnen gemeldet? 

Nicht einige, sondern viele.

Welche Wahlempfehlung haben Sie herausgegeben? 

Ich blieb dem schweizerischen Neutralitätsprinzip treu.

Der Präsident ist nicht mehr so mächtig, wie Sie es waren, er ist mehr mit repräsentativen Aufgaben beschäftigt. Operativ wird die Fifa von einem starken General­sekretär, einem CEO geleitet. 

Dass man den Präsidenten faktisch entmachten will, ist falsch. Dafür hätte es doch nicht so einen Wahlkampf gebraucht. Oder man hätte den Generalsekretär so wählen lassen sollen.

In welchem Zustand sehen Sie die Fifa sonst? 

Ich bin stolz auf die Fifa. Weil sie trotz der Turbulenzen in der Chefetage stets funktioniert hat. Alle Wettbewerbe haben erfolgreich stattgefunden, alle Kurse wurden durchgeführt. Das ist ein Kompliment. Die ­Basis der Fifa ist stark. Es ist wie ein funktionierender demokratischer Staat: Nur weil der Chef wechselt, bricht nicht gleich alles zusammen.

Gut, es hilft vielleicht, dass wieder ein Oberwalliser und nicht ein Scheich aus Bahrain an die Macht kam. Infantino dürfte weniger ändern, als Salman es getan hätte. 

Egal, wer Präsident geworden ist: Die Fifa funktioniert, da muss man nichts machen. Zumal die Reformen jetzt zum Glück durchgekommen sind. Die grosse Aufgabe ist, wie man das Problem mit den USA löst. Das ist die Herausforderung.

Sie sind für die Amerikaner das Symbol für die «böse» Fifa. 

Die USA glaubten, die Fifa sei ein Unternehmen wie eine Firma aus der Privatwirtschaft. Sie dachten: Wenn man da ein ­bisschen draufschlägt, sagen die anderen, sie seien schuld und zahlen etwas. Nur haben wir das nicht gemacht. Was mir sehr wehgetan hat, war die ­Rolle der Schweizer Behörden im Vorfeld des Fifa-Kongresses im Mai 2015.

Hatten Sie Angst, selbst mal in Handschellen abgeführt zu werden? 

Weshalb sollte jemand Angst haben, der keine Straftat begangen hat?

Wenn Sie nach Amerika reisen würden, bestünde diese Gefahr aber immer noch. 

Jetzt sicher nicht. Da würde ich zwar sofort einvernommen. Aber befragen können sie mich auch hier, was sie bis heute nie gemacht haben.

Trotzdem: Eine Reise in die USA wird wohl nicht zuoberst auf der Prioritätenliste stehen. 

Reisen steht sowieso weit unten auf dieser Liste. Als Fifa-Präsident habe ich 200 Länder besucht, ständig im Flugzeug ­Sudoku und Kreuzworträtsel gelöst, Krimis gelesen – davon habe ich jetzt gerade wirklich genug. Der Nomade wird sesshaft.

Was sind denn nun Ihre Ziele mit 80? 

Das Erste, was ich erleben will, ist nun, dass das Sportgericht CAS in Lausanne mich freispricht. Das sollte bis Ende ­April erledigt sein.

Es geht Ihnen darum, den Namen Blatter reinzuwaschen. 

Es geht um mich selber, ja. Aber auch um die Fifa. Mein Name ist immer mit ihr ver­bunden. Es tut auch der Fifa gut, wenn man feststellt, dass da nichts war.

Sie bleiben also dabei: Die Zahlung von zwei Millionen Franken an Michel Platini war rechtens. 

Absolut. Wir hatten einen mündlichen Vertrag, der gilt. Wir konnten Platini zu Beginn nicht voll zahlen, er stellte neun Jahre später eine Rechnung. Diese ging durch alle ­Instanzen bei der Fifa. Wäre der Zahlungsablauf nicht rechtens, hätte dies sofort bemerkt werden müssen.

Nun hat die Schweizer Bundes­anwaltschaft aber wegen dieser Zahlung in Paris Büros des ­fran­zösischen Fussball-Verbands durchsuchen lassen. Beunruhigt Sie das? 

Eigentlich nicht. Denn die Zahlung der Fifa an Platini ging auf ein Konto in der Schweiz – und weder an den französischen Verband noch an die Uefa. Aber es ist schön, dass mein Name pünktlich zum Geburtstag wieder in die Schlagzeilen gerät.

Würden Sie die Ethikkommission wieder gründen, obwohl diese sich für Sie nun als Bumerang ­erwies? 

Natürlich. Die Fifa braucht eine Ethikkommission. Aber sie müsste einem Kontrollorgan unterstehen.

Auf was für eine Verabschiedung hoffen Sie bei der Fifa? 

Meine erste Stelle war beim Walliser Verkehrsverband. Nach drei Jahren Ausbildung habe ich mich als Direktor beworben, als 26-Jähriger, und man lehnte mich wegen meines Alters ab. Ich war fuchsteufelswild und sagte zu meinem ­Vater: «Zu denen gehe ich jetzt rein und knalle die Türe zu.» Mein Vater sagte mir: «Nein. Jetzt gehst du rein, sagst, dass du die Entscheidung zur Kenntnis nimmst und ziehst die Tür ganz leise hinter dir zu. Du weisst nie, ob du irgendwann wieder anklopfen musst.» Ich muss keinen grossen Abgang haben. Ich will nur: Wenn meine Sache erledigt ist, dass man mich beim nächsten oder beim übernächsten oder beim Kongress in 20 Jahren würdigt. Wie ich in die Geschichte eingehe, muss die Zeit entscheiden.

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