Eine Delegiertenversammlung des Schweizer Fussballverbandes in den letzten Jahren. Die Wahlen sind vorbei, man trifft sich zum Stehlunch. Rita Zbinden (62) ist wie immer die einzige Frau, sie fällt auf. Ein Journalist fragt sie, von welchem Regionalverband sie komme. «Zürich», antwortet sie. Der Journalist meint: «Ah, dann sind sie sicher die Sekretärin.»
Fast. Rita Zbinden ist die mächtigste Funktionärin im Schweizer Fussball. Sie ist die neue Präsidentin des Zürcher Fussball-Verbandes. Im Moment ad interim. Sie ist Chefin über 47 000 Spielerinnen und Spieler in 176 Klubs. Sie steht dem grössten Regionalverband der Schweiz vor, dessen Zentrale mit 600-Stellenprozenten besetzt ist. Sie ist die stärkste Frau des Schweizer Fussballs.
Alles beginnt Ende der Achtziger Jahre. Zbinden spielt damals bei Blue Stars, ist Anfang dreissig und wird wegen ihrer Schnelligkeit und des hohen Fussballer-Alters «Turbo-Omi» genannt. Sie wird gefragt, ob sie stellvertretend für den Trainer die C-Junioren vom FCZ drei Wochen trainieren könne. Der Coach muss in den WK. Sie erzählt: «Als ich zum Training kam, tuschelten die Jungs sofort. „Das ist ja eine Frau“, sagten sie. Aber bei unserem ersten Spiel standen dann plötzlich alle Väter am Spielfeldrand – ausnahmslos!», erzählt sie lachend.
Sie übernimmt die E-Junioren des FCZ. Auch Köbi Kuhn (+76) ist damals in der Junioren-Abteilung tätig. Als sie das erste Mal auf ihn trifft, sagt er: «Jetzt sind wir hier also auch schon so weit...» Rita Zbinden nimmts mit Humor: «Ich hatte immer einen breiten Rücken. Sonst wäre ich nicht im Fussball geblieben. Und mit Köbi verband mich eine jahrelange Freundschaft.»
Doch mit dem FCZ kommt es zum Bruch. Zuerst unschlüssig das GC Angebot anzunehmen, festigte der Trainer der 1. Mannschaft die Entscheidung mit der Aussage: «Frauen würden an den Herd und nicht auf den Fussballplatz gehören». Den Namen des Trainers habe sie vergessen, schmunzelt Zbinden.
Sie wechselt über die Gleise zu GC. Zieht ihre Linie auch dort durch. Diese besagt: Eltern am Spielfeldrand kritisieren weder den Schiedsrichter noch reden sie ihren Kindern auf dem Platz rein. «Ich bin auch mal rund um den Platz gelaufen, um die Eltern an ihre Spielregeln und Vorbildfunktion zu erinnern, wenn sie sich nicht daran hielten.»
1995 wird sie Mama von Rafael. Sie nimmt ihn mit zu den Junioren-Trainings. «Den Kinderwagen gab ich dann den anderen Müttern am Platz ab. Und sie schauten zu ihm.»
Weil Leukerbad GC sponsert, dürfen die Mitarbeiter an einem Wochenende in jene Region im Wallis. Rita Zbinden fragt Manager Erich Vogel, ob der damals dreijährige Sohn Rafael mitdürfe. Vogel bejaht. «Abends um sechs trafen wir jeweils die erste Mannschaft zum Essen», erzählt sie. «Und Pascal Zuberbühler spielte mit meinem Sohn und seinem Traktor. Danach wollte Rafael Goalie werden.»
Rafael Zbinden spielte unter anderem in der Challenge League bei Schaffhausen, steht heute bei Freiburg II in der Regionalliga im Tor.
Nach 10 Jahren beim FCZ und 15 Jahren bei GC hört sie als Trainerin auf. Im Vorstand des Zürcher Fussballverbands bleibt die Bankangestellte, die 80 Prozent bei der UBS arbeitet. Und sie hat nun den Verband übernommen, «ein 40-Prozent-Job ist das in etwa», sagt sie.
Schmunzeln muss sie dabei über Anlässe, wo sich alle 13 Regionalverbände treffen. Dort sind auch die Partner dabei, «und während man erst Sitzungen hat, gibt es ein Frauenprogramm. Zum Beispiel aufs Boot zu gehen oder so. Mein Mann Fred, er war früher selbst Goalie-Trainer bei YB, GC und FCZ, ist dann immer der Hahn im Korb...»
Einmal sei man im Hotel angekommen, und der Concierge sei sofort auf ihren Mann zugegangen. «Er sagte: Herr Zbinden, ihre Sitzung startet um 14 Uhr, ihre Frau können sie da und da hinschicken.»
So sei es nun mal im Fussball. «Für die gleiche Anerkennung musst Du viel mehr machen als ein Mann.» Für eine Frauen-Quote sei sie nicht. «Aber es ist für die Sache immer gut, wenn eine Frau dabei ist. Wir ticken anders, wir haben weniger Machtgehabe, bringen eine andere Energie rein.»
Ob sie lieber Männer- oder Frauenfussball mag? Rita Zbinden kaut einen Bissen ihres Rindscarpaccios im Restaurant «Rosa dei Venti» in Küsnacht, sagt dann: «Ich mag Fussball grundsätzlich. Zwei Dinge mag ich nicht: Wenn die Spieler sofort reklamieren, wenn der Schiri pfeift. Oder wenn sie den sterbenden Schwan spielen. Das siehst Du bei Frauen beides nicht.»
Aber ob Mann oder Frau, sie will da keine Unterschiede machen. Und jener Journalist, der in ihr nur die Sekretärin sah? «Er hat sich dreimal bei mir entschuldigt.»