Pelé und die Politik
Der Konfrontation ging er lieber aus dem Weg

Bill Clinton gab er einen Korb, von Brasiliens Mächtigen liess er sich nie vereinnahmen. Doch die Schwarzen Brasiliens hätten sich mehr politisches Engagement von Pelé gewünscht.
Publiziert: 03.01.2023 um 15:08 Uhr
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Pelé war in der High Society ein gerne gesehener Gast, so auch in Schwedens Königshaus.
Foto: DUKAS
Martin Arn
Martin ArnReporter Fussball

Als er in seinem letzten Interview gefragt wurde, wer er denn sei, antwortete Pelé: «Alle haben meinen richtigen Namen, Edson Arantes do Nascimento, vergessen. Niemand erinnert sich an Edson. Aber Edson bezahlt die Rechnungen, Edson leidet, Edson weint. Pelé dagegen geniesst die Privilegien. Pelé ist der Sohn Gottes, der die Menschen beschützen soll.» Es kann einem schon ein wenig den Kopf verdrehen, wenn man 65 Jahre lang ein Weltstar gewesen ist.

Trotz seines Ruhms, sagt der Journalist und Autor Juca Kfouri, der Pelé besser kannte als die meisten, sei dieser bis zuletzt ein liebenswerter Mensch gewesen. Einer, der es allen immer habe recht machen wollen und der alle gleich behandelt habe. Kfouri erinnert sich, wie Pelé dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton einmal einen Korb gab, als ihn dieser ins Weisse Haus einlud. «Anstatt die Einladung anzunehmen, hat Pelé Autogramme für einen Hotelkoch und dessen Frau und Kinder geschrieben.»

Zu wenig Einsatz für die Schwarzen

Doch es gibt in Brasilien auch Menschen, die finden, Pelé hätte etwas mehr tun können für die Schwarzen in seinem Land. «Man hätte sich vielleicht gewünscht, dass er eine Rassismusdebatte anstösst. Das hat er leider nie getan», sagt der bekannte schwarze Sportkommentator Paulo Cesar Vasconcellos.

Als der dunkelhäutige Brasilianer Dani Alves 2014 beim Spiel zwischen Barcelona und Villarreal von einer Banane getroffen wurde, beschwichtigte Pelé: «Zu meiner Zeit warfen die Leute dauernd Mangos und Stachelannonen (eine aus Südamerika stammende Pflanze, Anm. d. Red.) aufs Feld. Ich glaube nicht, dass das nun eine neue Welle von Rassismus ist.»

Dabei ist der Rassimus in Brasilien überall in der Gesellschaft anzutreffen. An den Universitäten ist nur jeder zehnte Student schwarz. In den Favelas sind es über 90 Prozent der Bevölkerung. Der Staat hat die Elendsviertel längst sich selbst überlassen. Den Complexo do Alemão zum Beispiel, im Nordwesten Rios, wo schwarze Jugendliche mit umgehängten Maschinengewehren patrouillieren: «Sie träumen davon, Fussballprofis zu werden – oder dann halt Drogendealer», sagte Sozialarbeiter Dedé (66), als ihn Blick vor vier Jahren im Elendsviertel von Rio besuchte.

Dedé hat Pelé noch selber spielen sehen. «Er war mein Held, mein Idol. Für die Kinder von heute ist er eher ein Werbekleber, eine Märchenfigur», sagte er damals zu Blick.

Auch Pelé verlor zeitweise die Bodenhaftung

In der Favela Jacarezinho hat Pelé vor der WM 2014 zusammen mit der Schweizer Luxusuhrenmarke Hublot ein Fussballfeld eingeweiht. Pelé war seither nie mehr dort. Es ist selbst für einen wie ihn zu gefährlich geworden. Im letzten Jahr starben bei einer Polizeioperation 28 Menschen im Kugelhagel. In den teuren Penthousewohnungen von Ipanema hat die weisse Elite davon nicht viel mitbekommen.

Auch Pelé, der selber aus ärmsten Verhältnissen stammt, verlor zwischenzeitlich den Boden unter den Füssen. In der Stadt Juquia im Süden des Landes besass er einst ein Anwesen mit drei Villen, mehreren Suiten, einem Dutzend Wohnungen, Swimmingpools, Rinderherden und Gestüten. 110 Hektaren gross war der Landsitz. Das sind mehr als 150 Fussballfelder.

Dreimal war Pelé verheiratet und zeugte mindestens sieben Kinder. Seine Frauen und seine zahllosen Geliebten waren alle weiss. Er sei ein Weisser mit schwarzer Haut gewesen, lamentieren schwarze Menschenrechtler seit Jahren. Doch damit werden sie Pelé nicht gerecht. Bis zur WM 1958 bestand die brasilianische Nationalmannschaft fast ausschliesslich aus weissen Spielern. Dann kam der 17-jährige Schwarze Pelé und verzauberte nicht nur die Nation, sondern die ganze Welt.

Weder links noch rechts

Immer wieder haben die Regierenden versucht, ihn zu instrumentalisieren. Das ist ihnen nicht gelungen, denn im Zweifelsfall hat Pelé lieber geschwiegen. Bedauerlicherweise hat er sich deshalb auch nie zu den grausamen Verbrechen der Militärdiktatur (1964 -1985) geäussert.

Vor den Präsidentschaftswahlen im letzten Oktober posierte Rechtsausleger Jair Bolsonaro im Santos-Trikot, das Pelé für ihn unterschrieben hatte. Der linke Gegenkandidat Lula da Silva postete Fotos mit Pelé. Pelé blieb standhaft und bekannte sich zu keinem der beiden Kandidaten.

Er betonte stets, kein politischer Mensch zu sein. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, von 1995 bis 1998 das Amt des Sportministers zu bekleiden. Als solcher wollte Pelé die Korruption im brasilianischen Fussball bekämpfen. Stattdessen liess er sich einspannen für einen Millionendeal der brasilianischen Nationalmannschaft mit Sponsor Nike.

Später war Pelé Botschafter für die WM 2014 im eigenen Land und die Olympischen Spiele 2016 in Rio. Beide Grossanlässe endeten in einem wirtschaftlichen Desaster. Milliarden wurden verbrannt, die man heute dringend gebrauchen könnte. Laut Menschenrechtsorganisationen lebt fast die Hälfte der brasilianischen Kinder in Armut. Die Anhänger von Bolsonaro und dem neuen Präsidenten Lula stehen sich weiterhin in unverhohlenem Hass gegenüber. Brasilien ist gespalten wie nie zuvor.

Wenigstens in der Trauer um ihr Idol sind die Brasilianer nun für drei Tage vereint.


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