Wenn nicht jetzt, wann dann?
Nun müssen sich Xhaka und Co. vergolden

Die EM ist die letzte Chance der besten Generation Schweizer Fussballer, um ihre Ära zu vergolden. Doch der Grad zwischen Erfolg und Misserfolg ist an diesem Turnier besonders schmal.
Publiziert: 15.06.2024 um 11:17 Uhr
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Aktualisiert: 15.06.2024 um 11:28 Uhr
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Gelingt der Nati in Deutschland der grosse Coup?
Foto: TOTO MARTI
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Christian FinkbeinerStv. Fussballchef

Endlich! Nach Wochen des Wartens geht es heute Samstag los. Die Nati startet in Köln gegen Ungarn in ihr EM-Abenteuer. Vom krachenden Aus in der Vorrunde bis zur Wiederholung des Viertelfinal-Coups vor drei Jahren: Für diese Nati scheint jedes Szenario möglich.

Es ist der letzte Tanz der Generation um Captain Granit Xhaka (31), die Grenzen verschoben hat. Fünf Achtelfinals in Folge an Endrunden ist ein herausragender Wert – mit dem Viertelfinaleinzug vor drei Jahren als vorläufige Krönung. Der Hunger ist aber nicht gestillt. Xherdan Shaqiri (32) sagte: «Vielleicht schaffen wir diesmal einen Exploit. 2021 gegen Spanien waren wir nahe dran.»

Noch nie waren Schweizer Fussballer im Ausland so erfolgreich wie in der abgelaufenen Saison. Viele stehen im Zenit ihrer Karriere. Für einige wie Yann Sommer (35), Ricardo Rodriguez (31), Fabian Schär (32) oder Shaqiri könnte es aber die letzte Endrunde als Stammspieler sein. Sie alle lancierten einst ihre Reise durch die Top-Ligen Europas in der Bundesliga, für sie bietet die EM die Chance, ihre Nati-Karriere zu vergolden. «Wenn nicht jetzt, wann dann?», heisst ein Lied der Band Höhner. Für die Nati heisst es: jetzt oder nie!

Jetzt oder nie

Nach der EM wird der Umbruch in der Nati weitergehen – egal, wie der Nati-Trainer heissen wird. Die Aussichten sind auf die nächste WM-Qualifikation bereits nicht mehr so rosig. Die Jungen stossen nur langsam nach, viele von ihnen wie Noah Okafor (24), Zeki Amdouni (23) oder Fabian Rieder (22) haben sich im Ausland noch nicht etabliert, andere wie Ardon Jashari (21) steht der Schritt erst bevor. Sie spielen noch keine Hauptrollen in der Nati, in einem Alter, in dem Xhaka oder Shaqiri schon längst Stammspieler waren. Auch deswegen müssen es in Deutschland noch einmal die Arrivierten richten.

Besonders im Fokus steht auch Murat Yakin (49). Die Bühne ist wie gemacht für ihn, den Gambler, der ohne neuen Vertrag in die EM geht. Er ist die Antithese zu den Guardiolas, Klopps und Alonsos dieser Welt, ein Gefühlsmensch, der den Fussball noch immer als Spiel versteht und der nicht den Ruf eines Fussball-Besessenen oder eines Workaholics hat. In Deutschland kann er zeigen, ob er die Lehren aus der 1:6-Schlappe gegen Portugal und der Krise im letzten Herbst gezogen hat. Und ob er ein grosser Trainer ist. Seine Intuition und Schlauheit sind gefragter denn je. 

Himmel oder Hölle?

Wie stark ist unsere Nati, lautet die Gretchenfrage vor jedem Turnier. Laut Meinung von Experten und Spielern handelt es sich um die beste aller Zeiten. Glaubt man dem Volksmund, wird Deutschland 2024 zum Abgesang der besten Generation Schweizer Fussballer. Woher die Diskrepanz?

Die letzten Monate haben Spuren hinterlassen. Der Krisen-Herbst hat den Fans auf den Magen geschlagen. Dieser ist zwar aufgearbeitet, das gemeinsame Ziel EM hat die Verantwortlichen geeint. Doch wie sehr die Risse wirklich gekittet sind, wird sich erst zeigen, wenn es nun ernst gilt.

Doch Anzeichen zur Besserung gibt es einige. Assistent Giorgio Contini brachte frischen Wind ins Team, die Umstellung auf eine Dreierkette wieder Stabilität in die Defensive. 2024 ist die Nati noch ungeschlagen. Sie zu bezwingen, wird auch an der EM nicht so einfach sein.

Doch wer schiesst die Tore? Die neuerliche Verletzung von Breel Embolo machte Yakin einen Strich durch die Rechnung, eine ernsthafte Option dürfte er erst im Lauf des Turniers werden. Bei Steven Zuber und Denis Zakaria ist die Situation noch komplizierter. Und mit dem schlechten Trainingsplatz kam in der Vorbereitung weiterer Ungemach dazu.

An Widerständen stets gewachsen

Dass sich die Nati durch solche Dinge nicht aus dem Tritt bringen lässt, hat sie aber zur Genüge bewiesen. Oft ist sie an Widerständen gewachsen, hat ihr die Wagenburg-Mentalität Flügel verliehen. Am eindrücklichsten vor drei Jahren, als sie nach dem 0:3 gegen Italien in Rom am Boden lag und knapp zwei Wochen später den grössten Erfolg der Verbandsgeschichte feierte.

«Wir sind seit zehn Jahren zusammen unterwegs und kennen unsere persönlichen Stärken und Schwächen», sagte Fabian Schär. Zusammen haben sie schon so manche Schlacht geschlagen. Gelitten, geweint, gejubelt. Der WM-Achtelfinal 2014 gegen Argentinien, das Bruderduell gegen Albanien 2016, das Serbien-Spiel 2018 im hasserfüllten Kaliningrad – und natürlich der Abend von Bukarest 2021. Spätestens da hatte sie nach Jahren von Migrations- und Identitätsdebatten für eine Nacht das ganze Land hinter sich geeint. Ähnliches ist ihr auch in Deutschland zuzutrauen. Denn für die goldene Generation wird die EM zum letzten Tanz.

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