Petkovic redet über sein Bosnien-Herzegowina
«Ich hörte am Telefon die Einschläge der Granaten»

«Ein schönes Wiedersehen», sagt Nati-Coach Vladimir Petkovic vor dem Test gegen Bosnien-Herzegowina vom Dienstag. Er verlässt 1987 als 24-Jähriger seine Heimatstadt Sarajevo, damals ein Teil Jugoslawiens. Fünf Jahre später beginnt der Krieg.
Publiziert: 27.03.2016 um 18:26 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 19:12 Uhr
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Vladimir Petkovic ist seit 2014 Schweizer Nati-Trainer.
Foto: TOTO MARTI
Max Kern

«Sarajevo war damals eine lebensfreudige Stadt», sagt Vladimir Petkovic (52), «wir hatten etwa 600 bis 700 Restaurants und Bars, es gab viele Treffpunkte für Jugendliche. Am Abend wurde draussen gesungen und getanzt. Wir lebten in einer unbeschwerten, sorgenfreien Epoche.» 1984 lernt Petkovic in einer Disco seine heutige Gattin Ljiljana kennen. Sarajevo damals: Ein Schmelztiegel der Kulturen und Religionen.

Als der heutige Nati-Coach am 15. August 1963 in Sarajevo zur Welt kommt, beendet sein Vater die ­Karriere als Profi-Fussballer. Petkovic senior verdient fortan sein Geld als Direktor eines Kindergartens und trainiert in der Freizeit Amateure. Schon als dreijähriger Knirps ist ­Vlado bei den Spielen dabei. Er sitzt im Bus in der ersten Reihe neben ­seinem Vater, ist bei den Team-Sitzungen in der Garderobe mit dabei und sitzt während den Spielen ­neben der Ersatzbank. Petkovic: «Fast alles hat sich in meiner Jugend um Fussball und die Familie gedreht.»

Mit 10 beginnt Petkovic im Klub zu spielen, mit 14 wechselt er zum FK Sarajevo. Petkovic im «Corriere del Ticino»: «Ich war ein körperlich robuster Stürmer mit guter Spielübersicht und einem guten Torriecher. Ich schoss pro Saison 60 Tore.»

Der 1,90 m grosse Angreifer wird für ein Jahr ins jugoslawische Militär eingezogen, trainiert in dieser Zeit in Belgrad bei Roter Stern. Petkovic beginnt nach dem Ende seiner Militärzeit Jus zu studieren («weil es das einfachste Studium war») und wird Profi. Seinen letzten Match auf jugoslawischem Boden macht er im Juni 1987 als Spieler des NK Koper. Beim 1:1 in Titograd schiesst Petkovic ein Tor.

Titograd trägt seinen Namen damals zu Ehren des kommunistischen Staatschefs Josip Tito. Der Ort heisst heute Podgorica und ist die Hauptstadt des Staates Montenegro. Koper, wo Petkovic spielte, liegt heute in Slowenien. 29 Jahre und der schreckliche Bosnien-Krieg (1992 – 1996) liegen dazwischen.

Petkovic in der «Schweiz am Sonntag»: «Im Sommer 91, den ich in Sarajevo verbrachte, deutete nichts auf Unruhen hin. Erst auf dem Heimweg in die Schweiz habe ich in Slowenien Militärs in Kampfmontur gesehen. Ein Jahr später erreicht der Krieg auch Sarajevo.» Am 5. April 1992 schiessen serbische Heckenschützen in Sarajevo vom Hotel Holiday Inn auf eine Demonstranten-Menge, töten dabei die 25-jährige bosnisch-muslimische Medizinstudentin Suada Dilberović und die 34-jährige Kroatin Olga Sučić.

1425 (!) Tage hält die Jugoslawische Volksarmee die Stadt umzingelt. Tag und Nacht feuern die Serben von den umliegenden Hügeln Granaten auf Sarajevo, Heckenschützen zielen auf alles, was sich bewegt. Im Schnitt schlagen in der Olympia-Stadt von 1984 (Gold für die Schweizer Ski-Fahrer Michela Figini und Max Julen) täglich 329 Granaten ein. Der Höchstwert von 3777 Granaten wird am 22. Juli 1993 erreicht.

Am 1. Juni 1993 schlagen in Petkovics Heimatstadt zwei 82mm-Mörsergranaten in eine Gruppe von Fussball-Fans ein, die ein Spiel in der Nähe des Flughafens bei ­Dobrinja verfolgen, ­töten 15 Zuschauer und verletzen weitere 100.

Auch geschützte Gebäude wie Krankenhäuser, Moscheen und ­Kirchen werden bombardiert. Bei der Belagerung sterben laut dem «Research and Documentation Center» in Sarajevo 11 541 Menschen, darunter 643 Kinder. Zehntausende werden verwundet.

Petkovic in der «Schweiz am Sonntag»: «Das war eine äusserst schwierige Zeit für mich. Umso mehr, als meine Eltern und Schwiegereltern noch dort waren. Es ist schrecklich, wenn man durch das Telefon die Einschläge der Granaten hört. Zum Glück konnte ich meine Eltern später zu mir holen.»

Grosse Teile des Berges Igman, wo an Olympia 1984 die Skisprung-Wettbewerbe stattfinden, sind heute Sperrgebiet. Die Gegend zählt zu den gefährlichsten Minenfeldern Europas. Als der Krieg 1992 ausbricht, spielt Petkovic nach Abstechern zu Sion und Martigny-Sport zum zweiten Mal beim damaligen B-Ligisten FC Chur. Obwohl es beim ersten Transfer ins Bündnerland zu Missverständnissen gekommen ist.

Churs damaliger Präsident Arnold Mathis poltert: «Sobald ich den Neuen habe, muss der Jugoslawe weichen. Er ist kein Goalgetter – leider hat mich sein Spielervermittler gehörig reingelegt. Es ist zwar der richtige Petkovic – bei Sarajevo gab es nur einen Spieler mit diesem ­Namen – aber nicht jene Sturmspitze, die man mir angepriesen hat.»

Von Chur gehts für Petkovic später ins Tessin. AC Bellinzona, Locarno, wieder Bellinzona. Seine Aktiv-Karriere beschliesst er 1999 in der Innerschweiz beim SC Buochs. Petkovic: «Als Spieler fehlten mir die Kirschen auf der Torte.»

Petkovic startet seine Trainer-Karriere beim FC Malcantone Agno, verdient im Hauptjob Geld als Sozialarbeiter. Seine weiteren Stationen: Lugano, Bellinzona, YB, Samsunspor, Sion, Lazio Rom.

Seit dem Juli 2014 ist der bosnische Kroate mit Schweizer Pass ­Nati-Coach der A-Auswahl des SFV. Und trifft am Dienstag in Zürich beim Test-Spiel auf das Team aus Bosnien-Herzegowina.

Petkovic zu BLICK: «Ein schönes Wiedersehen. Ich kenne die Leute vom Verband alle. Die einen auch privat. Und mit dem Generalsekretär habe ich zusammengespielt.» Petkovics alter Bekannter heisst Jasmin Bakovic, spielte mit ihm bei den Junioren des FK Sarajevo.

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