Alain Geiger über Nati-Unterschiede von 1994 und 2019
«Uns mochte man damals echt»

Die Schweiz macht gegen Portugal ein starkes Spiel. Um am Ende doch zu verlieren. Nati-Legende Alain Geiger weiss zu glauben, wo die fehlenden paar Prozente zu finden sind.
Publiziert: 11.06.2019 um 01:36 Uhr
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Servette-Trainer Alain Geiger.
Foto: BENJAMIN SOLAND
Alain Kunz

Es ist die Ära der ehrenvollen Niederlagen. Von 1968 bis 1992 kann sich keine Schweizer Mannschaft für eine Endrunde qualifizieren. Wer damals sagte, dass die Schweiz dereinst U17-­Europameister und U17-Weltmeister werden sowie das Finalturnier eines Wett­bewerbs der vier besten europäischen Mannschaften erreichen würde, wäre in die Klaps­mühle gesteckt worden.

Bis ein unverbrauchter Engländer die Geschicke der Mannschaft übernahm. Und in seinem Privatwagen ins Wallis fuhr, um in einem Sittener Restaurant einen Spieler zum Comeback in der Nati zu überzeugen, den Uli Stielike ausgebootet hatte: Alain Geiger, damals 31 Jahre alt. Es war das entschei­dende, letzte Mosaiksteinchen auf dem Weg an eine Endrunde.

An das andere Steinchen er­innert sich Geiger: «Es gab in der Mannschaft traditionell Sprachgrenzen-Grüppli. Es gab die Romands, die Deutschschweizer und die Tessiner. Roy Hodgson war der Erste, der da eine Einheit hinbrachte. Er stand nicht unter dem Einfluss der Deutschschweiz, die ja viel mächtiger ist als die anderen Regionen. Er hat ohne Rücksicht auf Regionen die besten Spieler des Landes nominiert.»

«Die Schweizer haben sich in der Equipe erkannt»

Damals also der Röstigraben. Heute die vor vier Jahren von Stephan Lichtsteiner angestossene Diskussion um von Vladimir Petkovic nicht mehr berücksichtigen Identifikationsfiguren wie Tranquillo Barnetta und Pirmin Schwegler, die der ebenfalls nicht mehr aufgebotene Arsenal-Verteidiger explizit nicht als Diskussion um «richtige und andere» Schweizer verstanden haben wollte.

Geiger macht deutliche Unterschiede zu damals aus: «Unsere Generation war eine, die Land und Volk durchdrungen hat. Die Schweizer haben sich in dieser Equipe wiedererkannt. Wir haben ein schönes Spiel gezeigt, wir waren grosszügig, man mochte uns echt.»

Und das lag eben nicht nur an Spielen wie dem legendären 4:1 gegen Rumänien an der WM 1994 in Detroit. Solch ein Spiel durfte die Schweiz mit dem 5:2 gegen Belgien eben erst gerade wieder erleben. Aber natürlich auch.

«Wir haben ohne Komplex gespielt»

Geiger, der Mann mit der zweitmeisten Anzahl Länderspiele (112) nach Heinz Hermann (118): «Wir trafen uns letztes Jahr wieder, Andy Egli und alle anderen. Da haben wir uns das Rumänien-Spiel zusammen mit Journalisten nochmals angeschaut. Ich habe den Jungs gesagt: Wir waren uns damals gar nicht bewusst, wie gut wir waren! Anders als die heutige Generation. Wir haben Pressing gespielt, wir haben die Bälle hoch erobert, wir haben nonstop angegriffen. Wie die Verrückten! Wir haben ohne Komplex gespielt.»

Und doch wäre mit dieser Qualität noch mehr dringelegen, denkt der Servette-Aufstiegstrainer: «Es gab zuvor dieses Loch von fast dreissig Jahren. Dieses verhinderte, dass diese Mannschaft nicht noch mehr erreicht hat, denn regelmässige EM- und WM-Teilnahmen fehlten uns. So waren wir zufrieden mit dieser WM-Qualifikation und dem Erreichen der Achtelfinals.»

Dennoch: Dieser Erfolg habe die Augen in der Schweiz geöffnet, dass echter Profifussball hier möglich sei. Er stand am Anfang der Renaissance des Schweizer Fussballs. Geiger: «Ich bin sehr glücklich, Bestandteil dieser Erneuerung gewesen zu sein.»

«Wir haben die Hymne auch nicht gesungen»

Für die aktuelle Generation hingegen ist das Erreichen der Endrunde schon fast Pflicht. Sie will mehr, auch wenn sie es bisher auch nicht erreicht hat. Das 1:3 gegen Portugal steht da fast schon symbolhaft für die Unvollendung dieses Ziels.

Was fehlt denn noch? Geiger holt aus: «Es ist eine Frage der Grosszügigkeit und der Identifikation. Damals hatten wir diese Kamera­derie, diese Spontaneität, die es heute nicht mehr in dieser Form gibt. Heute ist die Welt individueller und komplexer geworden. Die Spieler sind Individualisten, die es zu entwickeln gilt. Ein Beispiel: Mit Dingen wie Doppeladlern musste man sich damals nicht herumschlagen. Und die Nati wurde auch nicht gebraucht, um ein etwas anderes Image unseres Landes zu vermitteln.»

Was bedeutet? Dass es der heutigen Mannschaft, die der Walliser als sehr stark erachtet, nur etwas an Tiefe fehle. «Das Volk erkennt sich zu wenig wieder in dieser Mannschaft. Sie muss mehr machen, um die Herzen des Publikums zu gewinnen. An der nationalen Identifikation kann man noch arbeiten.» Dies sei vielleicht das eine Prozent , das für den ganz grossen Coup fehle. Denn nicht immer steht da ein Ronaldo im Weg. Es können auch biedere Schweden sein.

Nur eines versteht Geiger in diesem Zusammenhang gar nicht: Dass man die Secondos um jeden Preis zum Singen der Nationalhymne bringen will. «Wenn das Singen nicht von innen heraus kommt, dann lasst das doch. Wir haben die Hymne damals auch nicht gesungen.»

«Für mich ist das kein Penalty»
9:32
Ex-Nati-Spieler im Talk:«Für mich ist das kein Penalty»
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Qualifiziert
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Island
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Georgien
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