Als um 18.49 Uhr David Trézéguet, Frankreichs Golden-Goal-Boy des EM-Finals 2000, die Kugel mit dem Zettel zieht, auf dem «Switzerland» steht – da halten zwei Völker den Atem an. Und im Saal stellen sich bei zwei bestandenen Männern die Nackenhaare kurz auf: Vladimir Petkovic und Gianni De Biasi. Die Trainer der Schweiz und von Albanien. Das Spiel Schweiz A gegen Schweiz B ist Tatsache.
Albanien macht sein allererstes Endrunden-Spiel in der Geschichte seines Fussballs ausgerechnet gegen dasjenige Land, dem die Qualifikation zu einem wesentlichen Teil zu verdanken ist. In Albaniens Team spielen 10 Schweizer Doppelbürger. Und es ist auch das Duell Xhaka vs. Xhaka. Granit gegen Taulant.
«Das ist eine komische Sache», sagt Petkovic. «Emotional ist das ganz spannend.» Auch für ihn. Auch für den Mann mit Migrations-Hintergrund, der auch und gerade deshalb ein geeigneter Nati-Trainer sein soll, weil die Schweizer Auswahl eine Multikulti-Truppe ist. Mit sechs Spielern mit albanischen Wurzeln: Shaqiri, Behrami, Granit Xhaka, Dzemaili, Kasami und Mehmedi.
De Biasi spricht von einem «guerra di fratelli», also Bruderkrieg, um dann ganz schnell auf «Bruderduell» zu korrigieren. Das habe es an einer Endrunde ganz bestimmt noch nie gegeben. «Ich hoffe nur, dass einer der beiden Xhakas wird jubeln können. Noch besser beide.» Der Mister irrt übrigens: An der WM 2014 in Brasilien spielte Jerome Boateng für Deutschland gegen Bruder Kevin-Prince (Ghana).
Ob De Biasi wisse, dass die ganze Schweiz nur von diesem Spiel spreche? «Klar», sagt der Mann aus der Prosecco-Hochburg Conegliano schlagfertig, «in der Schweiz gibt es ja viele Albaner. Logisch spricht das ganze Land darüber. In Albanien aber auch!»
Dass Frankreich auch in unserer Gruppe ist, dies zum 4. Mal an einer Endrunde, verblasst neben dem Albanien-Spiel fast ein wenig. Ernst scheinen uns die Gastgeber nicht so richtig zu nehmen. In der «Equipe» steht wohl, dass die Schweiz über eine begabte Generation verfüge. Diese sich aber schwertue, das ihr nachgesagte Potenzial zu bestätigen. Exemplarisch sei das Beispiel des Abstiegs von Shaqiri von Bayern zu Inter zu Stoke. Fazit: Schweiz – eine verlorene Generation.
Ob Zeremonienmeister Bixente Lizarazu es ernst meinte, als er auf der Bühne sagte, Nationaltrainer Didier Deschamps werde wohl von leichten Gegnern in einer einfachen Gruppe reden? Der Trainer selbst meint, es hätte schlimmer kommen können: «Die Schweiz hat hohes europäisches Niveau und viel Erfahrung. Wir haben sie vor der WM in Brasilien studiert und 5:2 geschlagen. Wir kennen sie bestens. Sie uns allerdings auch. Gegen Albanien haben wir in den letzten zwei Jahren zweimal gespielt – und nie gewonnen, zuletzt sogar 0:1 verloren!»
Noch viel mehr interessierte allerdings die Affäre Karim Benzema: Wird der intern gesperrte Skandalstürmer an der Euro dabei sein? Deschamps: «Ich weiss es nicht. Stand jetzt ist es unmöglich. Aber das Eröffnungsspiel ist am 10. Juni. Da kann noch ganz viel passieren.»
Petkovic sagt über Frankreich: «Es ist ein Privileg, gegen Frankreich spielen zu dürfen, nicht nur, weil die Franzosen Gastgeber, sondern auch Turnierfavorit sind. Sie haben uns zuletzt sehr weh getan. Nun wollen wir ihnen zeigen, dass wir gut sind.»
Und Rumänien? Die sind doch tatsächlich ungeschlagen durch die Quali gekommen – fünf Siege und fünf Unentschieden. Dank der Mauertaktik des alten Fuchses Anghel Iordanescu. Rumänien stellte mit nur zwei Gegentoren die beste Abwehr der gesamten Quali! Der 65-Jährige war bereits an der WM 1994 Coach, als wir beim 4:1-Sieg in Detroit eines der besten Länderspiele der Nati-Geschichte zeigten. Verbandspräsident Razvan Burleanu: «Das ist die Gelegenheit für Anghel, Rache für 1994 zu nehmen.» Iordanescu zur Schweiz: «Das ist einer der besten Gruppenzweiten. Dennoch träume ich vom Weiterkommen.»
Petkovic hat einen einfachen Euro-Plan aufgestellt. Einen in drei Phasen:
Phase 1: Schauen, dass alle Nati-Spieler in ihren Klubs regelmässig spielen.
Phase 2: Die Gruppenphase überstehen.
Phase 3: Eine Überraschung schaffen.
Sicher ist: Das Basiscamp, in welcher der Grundstein für das Gelingen dieses Plans gelegt werden soll, bleibt trotz der nördlichen Spielorte Lens, Paris und Lille das südliche Montpellier.