Michel Platini, wie haben Sie die letzten Wochen erlebt?
Michel Platini: Mir geht’s gut, keine Bange. Das Einzige, was mich stört, ist, dass ich die Zukunft nicht mehr in meinen Händen habe. Und es gibt diese Gerüchte, auf die alle hören. Im Fussball hat es speziell viele davon. Aber wenn man sieht, was im Bataclan passierte, ist die Fifa nicht das grosse Ding. Viel härter ist diese Ungerechtigkeit für meine Familie. Im Dossier gegen mich hat es schlicht nichts. Und doch ist mir alles auf den Kopf gefallen. Aber man sagt mir ja schon seit vierzig Jahren, ich sei ein Trottel. Ob ich ein Tor machte oder es verfehlte, oder als ich die Nationalmannschaft dirigierte.
Was war am härtesten für Ihre Familie?
Dieser Klatsch, die Mutmassungen. Meine Frau und meine Kinder haben nicht meine Härte. Ich hingegen bin Fatalist. Man kämpft um etwas. Man kann gewinnen – oder verlieren. Wir werden sehen.
Haben Sie verstanden, was letzten September geschah, als die Untersuchungskommission in Zürich ihre Arbeit aufnahm?
Nein, weil ich dachte, es gehe darum, dass sie mir Fragen rund um die WM-Vergaben nach Katar und Russland stellen wollten. Ich habe nichts Unrechtes getan. Warum also hätte ich in Panik verfallen sollen, als die hier antanzten?
Werden Sie wegen ihrer Acht-Jahres-Sperre an die Rekurskommission der Fifa gelangen?
Zuerst muss ich die Urteilsbegründung der Ethikkommission abwarten. Die muss ich auch haben, wenn ich an den Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne gehen will. Alles schleppt sich seit Beginn dieses Verfahrens dahin. Man kann nicht sagen, dass die Sportgerichtsbarkeit schnell geht. In meinem Fall geht alles so langsam wie möglich bis zum 26. Januar, also bis zum Datum, an welchem die Kandidaten für das Fifa-Präsidium bestätigt werden müssen.
Warum haben Sie das Handtuch geworfen?
Ich kann nicht mehr, ich habe auch keine Zeit mehr, um mich den Wählern zu zeigen, um Leute zu treffen. Jetzt werde ich mich voll und ganz meiner Verteidigung widmen. Einem Dossier, in welchem nicht die Rede ist von Korruption oder Urkundenfälschung, wo es eigentlich nichts mehr hat.
Also hat Sie der Kalender zur Aufgabe gezwungen?
Nicht nur. Als Blatter hinschmiss, habe ich 150 Unterstützungsdeklarationen erhalten. Hundert davon offizielle von Landesverbänden. Das alles in zwei Tagen.
Wie konnten Sie innert sechs Monaten vom Favoriten auf die Blatter-Nachfolge zum für achte Jahre gesperrten Funktionär werden?
Alles fing mit Blatter an. Er wollte meine Haut! Er wollte nicht, dass ich zur Fifa gehe. Er sagte häufig, dass ich sein letzter Skalp sein würde. Nun ist er gleichzeitig wie ich gefallen. Jedenfalls suchte man fieberhaft irgendetwas gegen mich.
Befürchten Sie nicht auch, dass Ihre Aufgabe wie ein Schuldeingeständnis wirkt?
Wollen Sie, dass ich Ihnen den Fall nochmals aufrolle? Okay. Eins, Blatter schuldet mir Geld. Zwei, in der Fifa fragen sie sich, wie sie mir das Geld, also die zwei Millionen Franken für eine Arbeitsleistung von 1998 bis 2002, überweisen wollen. Drei, Herr Kattner, der Fifa-Finanzchef, erklärt mir, wie die Zahlung erfolgen soll. Vier, ich schicke eine Rechnung. Zehn Tage nachdem ich die Rechnung geschickt habe, bezahlt die Fifa. Ich deklariere das in meinem Steuerformular, und heute schicken mich die gleichen Leute, die mich bezahlt haben, vor die Ethikkommission. Jetzt werden Sie sich fragen: Warum erfolgt die Zahlung erst neun Jahre nach der Arbeitsleistung?
Ja, und hatten Sie nicht auch das Gefühl, dass eine Zahlung neun Jahre später sonderbar sein könnte?
Die Fifa hätte mir das Geld ja auch nicht bezahlen brauchen. Dann wäre die Sache für mich auch erledigt gewesen. Ich wäre selbst schuld gewesen, weil ich das Geld nie eingefordert hatte. Doch ich habe der Fifa und ihrem Präsidenten vertraut.
Verstehen Sie aber das Erstaunen der Öffentlichkeit über eine solch verspätete Zahlung?
Hören Sie. Es gibt Leute, die schulden mir seit dreissig Jahren Geld. Am Tag, an dem ich beschliessen werde, dass sie mir das Geld zurückzahlen sollen, werden sie das tun müssen. Wissen Sie übrigens, wann ich meine Unterschrift unter den Vertrag mit der Fifa gesetzt habe? Im Januar 1999, also ein Jahr nach Beginn meiner Arbeit für die Fifa.
Ihr eigentümliches Verhältnis zum Geld erstaunt.
Ich habe ein nichtexistierendes Verhältnis zum Geld. Vielleicht, weil ich Geld habe, seit ich siebzehn bin und es mich nie interessierte. Ich wollte nie den Lohn meiner Mitspieler kennen. Das interessierte mich schlicht nicht. Mit meinem Geld bin ich ziemlich dilettantisch.
Denken Sie, dass Ihre Kandidatur die Fifa-Oberen, Blatters Entourage, störte?
Sie hatten Angst davor, dass ich sie entlasse! Die Suppe köchelt schön in diesen Organen. Man darf die Macht einer Verwaltung nie unterschätzen!
Welchen Kredit geben Sie der Ethikkommission?
Keinen. Das sind fünf Menschen, welche das Recht haben, über Leben und Tod von Individuen zu entscheiden. Sie entscheiden, ob jemand acht Jahre nicht mehr arbeiten darf – oder gar lebenslänglich! Mit welchem Recht kann ein Privatorgan jemanden daran hindern zu arbeiten?
Wie sind Sie mit dem Genickschlag umgegangen, an der Auslosung für die Euro in Paris nicht dabei sein zu dürfen?
Ich wollte diese EM, ich habe alles dafür getan. Jetzt hindert man mich daran, an die Auslosung zu gehen. Und bald sagt man mir, ich dürfe überhaupt nicht hingehen. Aber ich werde dennoch dort sein. Ich habe OK-Präsident Jacques Lambert gefragt, ob er nicht Bedarf für einen Volunteer habe, zum Beispiel als sein Chauffeur. Er hat geantwortet: Nein, ich lade dich ein. Ich habe nun einen Brief an die Fifa geschickt und sie gefragt, was ich nun dürfe und was nicht. Ich warte auf eine Antwort und denke, sie sind schön in der Scheisse.
Blatter hat dieser Tage viel über Sie gesprochen. Er nannte Sie einen aufrechten Mann und einen Star. Er wechselte munter zwischen falscher Schmeichlerei und Dolchstössen ab.
Ich kenne ihn seit sehr langem. Ich weiss, wohin er will, wenn er redet. Es dreht sich immer auch um ihn, wenn er über jemanden spricht. Natürlich bin ich ein Star. Wenn wir zusammen spazieren gingen, schauten die Leute auf mich, nicht auf ihn. Er hatte immer ein Problem mit Platini, mit Beckenbauer. Er liebt die Spieler, nur sollen sie ihn gefälligst nicht in den Schatten stellen. Er ist ein atypischer Mensch. Auf solche triffst du nicht jeden Tag. Er hat etwas Spezielles an sich – im Guten wie im Schlechten, wie auch in der Bösartigkeit. Was auch immer man will in ihm, auch Freundlichkeit, Charme. Er ist intelligent, schlau, machiavellistisch. Er ist 79 und hatte ein aussergewöhnliches Leben. Nur geht jetzt alles schlecht zu Ende. Ich habe nicht mehr dieselbe Leidenschaft für ihn, die ich einst hatte. Aber ich anerkenne, dass er sehr viel für den Fussball getan hat.
Ihr Leben war noch aussergewöhnlicher. Es hätte vom Junioren-Ausbildungszentrum in Nancy an die Spitze der Fifa führen können.
Halt. Nur der Rückzug von Blatter hat mich dazu gedrängt, das Amt des Fifa-Präsidenten anzustreben. Den echten Spass hatte ich als Uefa-Präsident. Aber nun hat die Ethikkommission an meiner Stelle entschieden – und ich bin ihr dankbar dafür...
Glauben Sie unverändert an sich und ihr Schicksal?
Wenn ich nur ein paar Monate gesperrt sein werde, bleibe ich Uefa-Präsident. Wenn nicht, übernehme ich einen Klub. Ich bin nicht beunruhigt. Nun bin ich acht Jahre gesperrt. Aber was ich keinesfalls verstehe: Wie eine Ethikkommission einen provisorisch für drei Monate sperren kann, also bevor das Urteil ergangen ist. Denn damit tötet man jemanden medial!
(Übersetzung: Alain Kunz)