Die Atmosphäre ist elektrisierend, kaum in Worte zu fassen. Knapp 60'000 heissblütige Marokkaner machen am Sonntagabend aus dem afrikanischen Champions-League-Final zwischen Wydad Casablanca und Al-Ahly Kairo einen Höllenritt. Nach einer wilden, fast zehnminütigen Nachspielzeit liegen sich Al-Ahly-Coach Marcel Koller und seine Assistenten trunken vor Freude in den Armen. Der Erfolgscoach holt nach dem Gewinn des Supercups und des Cups den bereits dritten Titel in der laufenden Saison.
Marcel Koller, haben Sie einen Tinnitus?
Es war schon extrem laut in diesem Stadion. Vor allem, wenn wir in Ballbesitz waren. Ich habe zwar keinen Hörschaden davongetragen, aber ein Hals-Nasen-Ohrenspezialist hätte mir wohl einen Pamir empfohlen.
Haben Sie etwas Vergleichbares in Europa schon mal erlebt?
Ja, einmal. Als Spieler. Da haben wir mit dem Grasshopper Club Zürich auswärts gegen Dynamo Kiew gespielt. Vor 100'000 Zuschauern. Die haben derart laut gepfiffen, dass ich meinen Mitspieler, der fünf Meter weit entfernt stand, nicht gehört habe.
In Ägypten ist Fussball Religion. Und Al-Ahly das Mass aller Dinge. Hatten Sie jemals derart grossen Druck?
Die Fans sind sehr fordernd, ja. Aber mit meiner Erfahrung besitzt man eine gewisse Lockerheit, um mit dem Druck umzugehen.
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Können Sie sich in Kairo frei bewegen?
Das ist schwierig. Wenn ich rausgehe, rufen mir alle nach, Autos hupen, die Leute steigen aus, wollen ein Foto. Wenn ich mich frei bewegen will, muss ich mir ein Tuch über den Kopf ziehen (lacht).
In Kairo leben fast dreimal so viele Leute wie in der Schweiz. Wie behalten Sie den Überblick?
Der Strassenverkehr ist sehr intensiv. Wir haben einen Fahrer und der hat offenbar um den ganzen Kopf herum Augen. Da kommt von links einer, von rechts, von hinten. Von überall. Auf blick.ch habe ich vor kurzem gelesen, dass einer mit einem Kind auf dem Rücken Töff gefahren ist. Hier in Kairo sitzen zwei Kinder vorne, der Mann in der Mitte, hinten die Frau. Und alle ohne Helm. Es ist anders als bei uns, aber man gewöhnt sich dran.
Ägypten leidet unter einer hohen Inflation, die Währung stürzt ab, das Land ist so hoch verschuldet wie noch nie. Kriegen Sie etwas von der Wirtschaftskrise mit?
Ja, es wird viel darüber gesprochen, auch im Klub. Es gibt viele Leute, die zwar einen Job haben, aber nicht viel verdienen. Da versuchst du natürlich, zu unterstützen.
Marcel Koller wurde am 11. November 1960 in Zürich geboren. Der Vater war Gärtner, die Mutter Schneiderin. Koller: «Sie kürzte dem halben Quartier Hosen für fünf Franken.» Mit dem Fussball begann er als Kind beim FC Schwamendingen, bevor er mit 12 zu GC ging. Dort wurde der Mittelfeldspieler zur Klub-Legende, machte für den Rekordmeister 434 Spiele. Dazu kamen 55 Nati-Einsätze. Seine Trainerlaufbahn startete er mit 37 beim FC Wil, führte danach St. Gallen 2000 zum ersten Meistertitel nach 96 Jahren. Weitere Stationen waren GC, Köln und Bochum, ehe er österreichischer Nationaltrainer wurde. 2018 übernahm er den FC Basel, holte einen Cupsieg, seit 2002 ist er Trainer von Al-Ahly. Koller ist 2-facher Vater, 4-facher Opa und verheiratet mit Gisela.
Marcel Koller wurde am 11. November 1960 in Zürich geboren. Der Vater war Gärtner, die Mutter Schneiderin. Koller: «Sie kürzte dem halben Quartier Hosen für fünf Franken.» Mit dem Fussball begann er als Kind beim FC Schwamendingen, bevor er mit 12 zu GC ging. Dort wurde der Mittelfeldspieler zur Klub-Legende, machte für den Rekordmeister 434 Spiele. Dazu kamen 55 Nati-Einsätze. Seine Trainerlaufbahn startete er mit 37 beim FC Wil, führte danach St. Gallen 2000 zum ersten Meistertitel nach 96 Jahren. Weitere Stationen waren GC, Köln und Bochum, ehe er österreichischer Nationaltrainer wurde. 2018 übernahm er den FC Basel, holte einen Cupsieg, seit 2002 ist er Trainer von Al-Ahly. Koller ist 2-facher Vater, 4-facher Opa und verheiratet mit Gisela.
Wie wichtig ist der Fussball in solch schwierigen Zeiten?
Sehr wichtig. Das ganze Land ist fussballfanatisch. Und Al-Ahly der grösste Klub. Von den 110 Millionen Ägyptern sind circa 80 Millionen Al-Ahly-Fans.
Sie haben mit Al-Ahly bereits drei Titel gewonnen und stehen nun vor dem Gewinn der Meisterschaft.
Es ist so, dass die Fans derzeit sehr zufrieden sind mit der Situation. Weil sie sehen, dass es anders läuft als zuvor.
Wird man Ihnen vor dem Stadion bald ein Denkmal errichten?
Jetzt sind alle am Jubeln, aber wenn wir in der neuen Saison den ersten Match verlieren, ist vielleicht schon wieder alles anders. Das sind die Herausforderungen des Fussballgeschäfts. Es ist in erster Linie wichtig, dass wir uns nach dem Gewinn der Champions League auf die restlichen zehn Meisterschaftsspiele konzentrieren.
Sind Sie nach dem Finaltriumph deshalb direkt zurück in die Schweiz geflogen, statt den Titel mit den Fans in Kairo zu feiern?
Wir haben im Stadion gefeiert. Anschliessend im Hotel in Casablanca noch mit unseren Fans. Es gab eine Freinacht, die ganze Lobby war voll mit Anhängern. Eine Familie ist extra für dieses Spiel aus den USA angereist.
Dank des Champions-League-Sieges sind Sie erneut für die Klub-WM qualifiziert. Dort spielten Sie im Februar gegen Real Madrid. Und ihre Mannschaft hat erstaunlich gut mitgehalten.
Es lief gut, ja. Bis auf ein paar Minuten. Wir waren 1:2 hinten und hatten eine grosse Chance, es könnte 2:2 stehen. Dann haben wir hinten aufgemacht und sind in die Konter gelaufen. Am Ende stands 1:4. Aber wir haben Werbung in eigener Sache gemacht.
Sie werden im November 63 Jahre alt. Keine Lust auf die Frührente?
Ich habe nie grosse Pläne gemacht. Im Fussball geht es schnell. Ich weiss nicht, wie es weitergeht. Wir haben noch nicht darüber gesprochen.
Verfolgen Sie, was bei ihrem Herzensklub GC derzeit läuft?
Klar verfolge ich das. Und ich finde es gut, dass man wieder Leute in verantwortliche Positionen holt, die eine GC-Vergangenheit besitzen. Damit die Fans sagen können: Das ist einer von uns.
Sie haben als Aktiver 434 Spiele für GC absolviert, haben zwölf Titel geholt, sind auch als Trainer Meister geworden. Kehren Sie irgendwann in einer leitenden Funktion zurück?
Wie gesagt: Ich habe nie grosse Zukunftspläne gemacht. Und ich werde mich mit bald 63 Jahren auch nicht mehr gross ändern.