BLICK: Murat Yakin, Sie sind seit einem halben Jahr vereinslos. Wie geht es Ihnen ohne Fussball?
Murat Yakin: Nachdem ich ohne Unterbruch 15 Jahre Profi und 10 Jahre Trainer gewesen bin, ist es Zeit geworden, dass es ein wenig ruhiger wird. Diese Pause tut mir gut.
Seit Ihrer Entlassung bei Spartak Moskau fällt bei jedem Trainerposten, den es zu besetzen gilt, Ihr Name
Murat: Ich wurde nicht entlassen. Doch das ist ein anderes Thema. Aber dass mein Name seither oft genannt wird, damit habe ich gerechnet.
Warum?
Murat: Na ja ...
Hakan: ... sein Name muss ja kommen. Er hat doch eine eindrückliche Visitenkarte abgegeben. In Thun erfolgreich, in Luzern erfolgreich, in Basel erfolgreich.
Murat: Jetzt aber ...
Hakan: ... hochkarätige Gegner geschlagen, die auf dem Papier eigentlich unschlagbar sind. Als Sportchef darf man ihn also auf der Liste haben.
Murat, haben Sie wirklich keine Probleme gehabt, so ganz ohne Fussball?
Murat: Am Anfang konnte ich mich schon nicht so gut damit abfinden. Ich dachte, die Maschinerie muss immer weitergehen in derselben Kadenz. Aber je länger der Unterbruch ging, desto mehr Distanz habe ich bekommen.
Hakan richtet Murats Hemdkragen für den SonntagsBlick-Fotografen und fällt seinem Bruder ins Wort.
Hakan: Nach der Zeit als Fussballer ist Muri sofort ins Trainer-Business eingestiegen. Ihm fehlt diese Zeit, in der man mal mit Fussball nichts am Hut hat und die Batterien aufladen kann. Muri ist von einer Station zur anderen geeilt.
Murat: Der Fussball ist bei uns aber immer präsent. Auch jetzt.
Hakan: Spiele anschauen. Aber zum Spass. Nicht die tägliche Dosis. Nicht diese Verantwortung. Ich habe nach meiner Karriere fast ein Jahr nichts mit Fussball gemacht, und es hat mir gut getan.
Nun stecken Sie mitten in der Trainerausbildung. Am Montag haben Sie die U18 von St. Gallen übernommen. Was sind Sie für ein Trainer?
Hakan: Ich habe keine Trillerpfeife und keine Stoppuhr. Ich bereite mich gewissenhaft vor, entscheide aber oft auch situativ.
Holen Sie sich manchmal Rat bei Ihrem Bruder?
Hakan: Ja. Aber ich frage ihn nicht als Bruder, sondern als erfahrenen Trainer.
Murat: Er ist im Moment voll ausgelastet. Familie, Mannschaft und Trainerausbildung. Ich habe diese Zeit schon hinter mir. Sie war toll, aber sehr intensiv. Und mittlerweile ist die Ausbildung noch zeitintensiver geworden. Hatsch war sogar freiwillig drei Tage bei mir in Russland und hat die Trainings gefilmt.
War das eine Aufgabe im Rahmen der Ausbildung?
Hakan: Nein, diese Weiterbildung habe ich für mich gemacht.
Murat: Und dann heisst es, die Yakins seien bequem. Oder wie es die Leute auch immer formulieren.
Sind Sie denn nicht bequem?
Murat: Nein. Ist man aber erfolgreich, bekommt man die Anerkennung oft erst, wenn sich ein entsprechender Arbeitsaufwand nachweisen lässt. Fussball ist aber mehr als laufen und kämpfen. Es geht um Intuition und mutige Entscheide. Als Trainer musst du deinen Weg finden.
Hakan: Man muss sich selber bleiben, kein Theater vorspielen.
Murat: Es heisst doch nicht, dass ich unvorbereitet bin, wenn ich gleichzeitig mit den Spielern in die Kabine komme! Fussball ist immer präsent. Zu Hause, im Auto. Als Trainer denke ich dauernd daran, wie ich die Spieler besser machen, wie ich das nächste Spiel gewinnen kann. Wichtig ist, dass an den Spielen jeder weiss, was er zu tun hat. Dass man die Handschrift des Trainers erkennt.
Hakan: Muris Handschrift konnte man immer erkennen.
Hakan, Murat war bei Luzern Ihr Trainer. Was nehmen Sie von ihm mit und was unter keinen Umständen?
Hakan: Er hat ja auch schon gewisse Sachen von seinem Ex-Trainer mitgenommen.
Von wem?
Hakan: Von Christian. (Gross, die Red.)
Murat: In welchen Situationen denn?
Hakan: In deinen Ansprachen.
Murat: (schmunzelt) Das schreiben Sie jetzt besser nicht.
Hakan: Als Muri nach Luzern kam, hat er uns ein Konzept gegeben. Davor hatten wir einen Trainer, der wenig im taktischen Bereich gearbeitet hat. Muris Trainings hatten immer ein Thema, einen Inhalt.
Und welche Eigenschaften würden Sie von Muri nicht mitnehmen?
Hakan: Seinen Umgang mit erfahrenen, älteren Spielern!
In Luzern hat er auch Sie ausgemustert. War er zu hart?
Hakan: Mich hat niemand ausgemustert. Ich habe von mir aus entschieden, einen anderen Weg zu gehen. Aber ja, für mich war Muri in dieser Zeit eher etwas übermotiviert.
Murat: Das heisst konsequent!
Hakan, warum wollen Sie überhaupt Trainer werden? Es gibt zu viele. Sogar Ihr Bruder ist momentan ohne Klub. Keine Angst vor der Zukunft.
Hakan: Nein, so weit denke ich nicht. Ich habe Freude am Job und mache jetzt meine Ausbildung fertig. Dann schaue ich, wie viel Luft es noch nach oben gibt.
Ist die Super League Ihr Ziel?
Hakan: Nicht unbedingt. Der Job als Nachwuchstrainer ist sehr interessant.
Murat, für Sie muss das nächste Engagement wohl mindestens in der Super League sein?
Murat: Ich bin jetzt 41 und schon seit zehn Jahren Trainer. Am Ende ist es entscheidend, dass der Klub motiviert und ambitioniert ist. Wenn das Projekt stimmt, kann das auch in der Challenge League oder im Nachwuchs sein.
Im Ernst jetzt?
Murat: Warum nicht! Für mich wäre es kein Abstieg. Es geht um die Leidenschaft im Fussball. Schauen Sie mal nach Deutschland. Viele Nachwuchstrainer sind plötzlich Bundesligatrainer.
Kribbelt es wieder?
Murat: Ja. Ich bin bereit.
Bei Ihnen heisst es oft, Sie würden über Ihre grosse Entourage stolpern...
Murat: ... ich bekomme die Aussagen über meine Entourage und den Yakin-Clan leider auch mit.
Also, wer ist der Yakin-Clan?
Murat: Was heisst schon Entourage? Was heisst schon Clan? Mit acht Geschwistern sind wir Yakins schon mal eine grosse Familie. Dazu sind schon viele seit Jahren im Business. Wir haben Kontakte, Freunde und viele Bekannte. Wegbegleiter, die uns unterstützen. Die Schweiz ist klein. Die Anzahl Leute, die den Fussball in der Schweiz bestimmen, ist zudem überschaubar. Ohne respektlos zu sein, die wichtigsten davon kennen wir.
Sie sollen mittlerweile von fünf Beratern demselben Sportchef angeboten worden sein ...
Murat: Wir haben in der Schweiz mehr Berater als Trainer. Das ist tatsächlich ein Problem. Aber nicht nur meines.
Hakan: Jeder Bäcker, Maurer oder Elektriker ist heute ein potenzieller Berater.
Murat: Die nötigen Natelnummern bekommt man heute auch sehr schnell raus. Die Sportchefs wissen sich mittlerweile aber auch zu helfen.
Haben die Yakins zu viele Kollegen?
Hakan: Angebliche Kollegen.
Murat: Neue müssen wir uns sicher keine anschaffen!
Hakan sieht bei den Umkleidekabinen im Herrenmode-Geschäft einen alten Rasierstuhl. Er nimmt den Pinsel und das Rasiermesser in die Hand, sagt: «Wenn ihr in ein Trainingslager in die Türkei geht, müsst ihr euch unbedingt nass rasieren lassen. Das ist ein Erlebnis!» Für SonntagsBlick bearbeitet er später noch Murats Zweitagebart.
Wäre ein Team in der Türkei auch eine Option?
Murat: Nicht jetzt, vielleicht später.
Würden Sie auch einen Trainerjob annehmen, ohne dass Sie einen Assistenten mitbringen könnten?
Murat: Ja, wenn es sonst passt, mit Sicherheit. Ich bin flexibel genug, um auf die einzelnen Situationen einzugehen.
Hakan: Grundsätzlich macht es aber schon Sinn, wenn bei einem Trainerwechsel auch der Assistent wechselt. Bleibt dieser, verhindert man einen Neuanfang! Denn der Assi kennt das Innenleben der Mannschaft, er hat seine Meinung längst gebildet und beeinflusst die Ideen des neuen Trainers.
Hakan, könnten Sie sich vorstellen, Muri zu assistieren?
Hakan: Ja. Ich wäre gerne nach Moskau mitgegangen. Aber mir fehlten damals die nötigen Diplome.
Murat: Als Assistent braucht man das A-Diplom.
Also bilden die Yakins bald ein Trainerduo?
Murat: Wir als Duo? Warum nicht! Wir würden uns sicher sehr gut ergänzen.
Hakan: Und wir hätten blindes Vertrauen ineinander.
Muri, der konsequente, und Hakan, der verständnisvolle Typ?
Murat: Einer muss der Böse sein.