Raphael Wicky hat während seiner Karriere vieles erlebt, aber was am 21. August 2004 geschah, wird er zeit seines Lebens nie mehr vergessen. «Wir haben auf dem Platz schon gemerkt, dass etwas nicht sauber ist, aber das wollte niemand hören», erklärte er in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer mal wieder.
Was Wicky damit meinte? Damals fand im DFB-Pokal die erste Runde statt, in der Wickys HSV auswärts auf Paderborn traf. Erst pfiff das damalige 25-jährige Schiedsrichter-Talent Robert Hoyzer einen umstrittenen Elfmeter für den Underdog, dann stellte er wegen angeblicher Schiri-Beleidigung den HSV-Stürmer Emile Mpenza vom Platz, und zu guter Letzt gab es noch einmal einen diskutablen Penalty für Paderborn. Am Ende siegte der Regionalligist überraschend 4:2. Die Sensation war perfekt, doch schon wenige Tage danach sprach kaum jemand mehr über dieses Spiel.
Bis zum 22. Januar 2005. An jenem Samstagabend vor 20 Jahren erscheint die erste Agenturmeldung: «Der deutsche Schiedsrichter Robert Hoyzer soll offenbar versucht haben, von ihm geleitete Spiele zu manipulieren, unter anderem in der Cup-Partie Paderborn – Hamburger SV. Der 25-jährige Berliner habe dadurch mit Sportwetten finanziellen Gewinn erzielen wollen.»
Hoyzer ist nicht nur Täter, sondern auch Opfer
Es ist der Anfang eines der grössten Schiedsrichter-Skandale, die der Fussball je erlebt hat. In den Tagen danach kommen immer mehr erschreckende Details ans Tageslicht. Plötzlich geht es um mehr als nur dieses eine Spiel. Es geht um hohe Summen, die Wettmafia, zwielichtige Gestalten und die systematische Manipulation von Fussballspielen.
Am 8. Februar 2005 tritt Hoyzer in der «Johannes B. Kerner»-Show auf. Begleitet von einer Mischung aus Pfiffen und Applaus betritt er die Bühne. Dort erklärt er reumütig, was nicht zu erklären ist. Der Medienrummel, er ist in jener Zeit gigantisch, mehrere Dutzend Fotografen sind im Fernsehstudio anwesend. Blitzlichtgewitter ohne Ende. Schlagzeilen um Schlagzeilen.
Schon damals ist klar: Hoyzer ist nicht nur Täter, sondern auch Opfer. Für wenige Tausend Euro und einen Plasmafernseher hat er alles aufs Spiel gesetzt.
Nur wenige Tage später landet Hoyzer in der Untersuchungshaft. Im November 2005 wird er schliesslich vor dem Landgericht Berlin wegen Beihilfe zum Betrug zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Nach der Hälfte der Haftzeit kommt Hoyzer im Juli 2008 wieder auf freien Fuss.
Das Verb hoyzern schaffte es auf Platz 7
Hoyzer bleibt auch in seinem neuen Leben dem Fussball treu. Erst als Spieler des Berliner Klubs SSC Teutonia, später als Funktionär beim Berliner Athletik Klub und bei Viktoria Berlin. Heute arbeitet er gemäss seines Linkedin-Profils bei der Internet-Preisvergleichsplattform Idealo als Head of Enterprise Business.
Zum Schluss noch drei Bonmots. Erstens: Das Verb hoyzern schaffte es damals immerhin auf Rang 7 von Deutschlands Wörter des Jahres 2005 (1. Bundeskanzlerin, 2. Wir sind Papst, 3. Tsunami).
Zweitens: Dort, wo damals im sagenumwobenen Café King die Deals abgewickelt wurden, liegt heute das Restaurant R23, das mit folgendem Zitat von Thomas Mann wirbt: «Sei am Tage mit Lust bei den Geschäften, aber mache nur solche, dass du des Nachts ruhig schlafen kannst.»
Und drittens: War damals das Spiel zwischen Paderborn und dem HSV noch ein ungleiches Duell Marke David gegen Goliath, begegnen sie sich mittlerweile längst auf Augenhöhe in der 2. Bundesliga. Das nächste Mal treffen sie am 2. März aufeinander. Ein Spiel, über das wohl kaum in 20 Jahren noch geredet werden wird.