Cricri aus Bümpliz hats geschafft: Der kleine 14-Jährige ist mit Ball am Fuss der Grösste. Denn Christian Madeo ist kein Talent wie andere in seiner Altersklasse, er ist ein Star. Die „Nr. 10“ beim grossen Inter Mailand. Der einzige im Team, der einen Lohn bezieht. Der jüngste bezahlte Schweizer Fussballer. Der einzige mit einem Ausrüstervertrag. Puma hat sich die Rechte über Jahre gesichert.
Cricri ist ein Influencer, lange bevor es Instagram gibt. Wunderkind, Medienstar. «Dieser Junge hat goldene Füsse», sagt eine Signora im Januar 1998 in einer mehrseitigen Reportage in der damaligen Fachzeitschrift «Sport». Der Titel: «Inters Goldfüsschen ist 14 und kommt aus Bümpliz.» Alle Zeitungen und TV-Stationen berichten in diesen Tagen über den «Svizzero», der bereits mit acht von Juventus Turin gejagt wird, mit zwölf einen Vorvertrag bei Inter unterschreibt und im Sommer 1997 von YB zu Inter wechselt. Sogar Italiens Sportbibel, die «Gazzetta dello Sport» widmet ihm zwei Artikel.
Cricri macht bei Nicht-Raucher-Kampagnen mit, ist in die Formel-1-Box von Sauber eingeladen, gibt Autogrammstunden mit italienischen Nationalspielern. «Mein Traum ist die italienische Nati», sagt der Kleine in einer Dokumentation auf SRF. Ein kleiner Gernegross? Nein! Cricri werde es schaffen, sagen seine Trainer. «Wer sonst, wenn nicht er?», sagen Experten. Alle sind sich einig: Der Bub aus Bümpliz wird einer der besten Fussballer der Nuller-Jahre.
Wird er nicht. Cricri schaffts nicht in die Squadra Azzurra, nicht in die Serie A, nicht in die Serie B. Er spielt nie Super League, nie Challenge League. Und er verschwindet total von der Bildfläche. Im einzigen Artikel über ihn im neuen Jahrtausend («NZZ»im September 2007) mit dem Titel «In der Knochenmühle verschwunden» mag er nicht reden. Es gehe ihm gut, lässt sein Bruder ausrichten, «obwohl sein Traum der grossen Profikarriere defintiv geplatzt ist.» Da ist Cricri gerade mal 24-jährig.
Wann ist er geplatzt? Weshalb? Und was macht er heute?
Oktober 2018: Christian Madeo – mittlerweile 35-jährig – öffnet die Tür einer geräumigen, modernen Parterre-Wohnung in Möhlin AG. «Herzlich willkommen! Schön, dass Ihr da seid», sagt er. An der Hand Töchterchen Sofia. 2-jährig, neugierig, aufgeweckt. Daneben seine Frau Tiziana. «Ich bin sehr glücklich. Es ist alles so gekommen, wie es musste», sagt der Familienpapi stolz.
BLICK: Wie es musste, nicht wie es sollte. Cricri, wann ist Ihr Traum geplatzt?
Christian Madeo: Schon mit 16 merkte ich, dass es mit der ganz grossen Karriere nichts werden wird. Dass ich dann den Sprung in die erste Mannschaft nicht schaffte und zu Klubs aus der Serie C ausgeliehen wurde, war deshalb keine grosse Enttäuschung. Da habe ich mir dann ein neues Ziel gesetzt: Die Serie B. Doch mit 21 habe ich mir das Kreuzband gerissen. Danach habe ich aufgehört. Übrigens: Cricri nennt mich mittlerweile fast keiner mehr.
Wie merkt man, dass es nicht reicht?
Erst beim FC Bümpliz und dann bei YB war ich klar der Beste, habe eigentlich in jedem Spiel den Unterschied ausgemacht. Ich will jetzt nicht bluffen, aber die Gegner waren für mich eher wie Slalomstangen. Ich habe alle ausgedribbelt. bei Inter war es dann nicht mehr so, ich war einer von vielen. Damals hatte Italien, im Gegensatz zu heute, viel die bessere Nachwuchsabteilung als die Schweiz.
Warum haben Sie dann mit 22 aufgehört?
Das war eine Kopfsache. Ich habe in der Serie C gespielt, war Profi. Ich spielte auf einem guten Niveau. Auch wenn nicht da, wo ich immer geträumt habe. Ich hätte wieder tiefer beginnen sollen. Das wollte ich nicht mehr.
Dann haben Sie aufgegeben?
Ja, das kann man so sagen.
Ihnen fehlte doch der Biss! Als Bub waren Sie doch ein Superstar, sie mussten nie kämpfen, wurden gehypt...
Ja, ich wurde gehypt und gepusht. Von den Medien, von meinem Ausrüster. Und das alles noch ohne Social Media. Vor jedem Auftritt musste ich mein Puma-Tschäppi anziehen. Hosen. Pullover. Vielleicht fehlte mir am Ende auch das letzte Quäntchen Biss, Sie können recht haben. Aber da gab es schon auch noch andere Gründe.
Welche?
Wie gesagt, die Konkurrenz war in Italien sehr gross. Ich war zwar technisch auch da weit über dem Durchschnitt, aber es gehört mehr dazu. Schnelligkeit, Robustheit, Zweikampf. Alles zusammen reichte es nicht.
Sie könnten Ihrer Körpergrösse die Schuld geben. Sie sind bei 1.65 Meter stehen geblieben.
Dass ich klein bin, war auch ein Grund. Aber nicht der Hauptgrund und schon gar nicht der einzige.
Sie hätten ein Pirlo oder Ronaldo werden sollen. Sie wurden Vorsorgeberater bei Swiss Life. Dennoch wirken Sie glücklich. Sind Sie es wirklich?
Ja, sehr. Ich habe eine super Familie. Eine tolle Frau und ein gesundes, aufgewecktes Töchterchen und einen lässigen Job. Es ist so gekommen, wie es musste.
Würden Sie im Nachhinein wieder mit 14 zu Inter gehen?
Tönt jetzt vielleicht komisch. Aber ich würde alles wieder genau gleich machen: Für mich als Inter-Fan war es mein grosser Traum. Ich durfte wahnsinnig viel erleben, konnte gegen Ronaldo spielen. Da wusste ich übrigens defintiv, dass es mir nicht reicht. «Il Fenomeno» spielte in einer anderen Liga. Aber es gibt schon Leute, die sagen, wenn ich in der Schweiz geblieben, hätte ich es weiter gebracht. Nur: Wissen tut das keiner!
Und was würden Sie einem jungen Supertalent heute raten?
In der Schweiz bleiben und sich erst hier durchsetzen. Wir haben mittlerweile ganz tolle Nachwuchsabteilungen.
Wie war Ihr Leben eigentlich als «Cricri, das Goldfüsschen»?
Die Aufmerksamkeit störte mich nicht, ich mochte sie sogar. Ich war ja nichts anders gewohnt. Die ersten Interviews gab ich schon, da war ich kaum zwölf.
Damals gabs noch Fan-Briefe. Viele bekommen?
Sehr viele. Und ich habe allen zurückgeschrieben. Meine Mami wollte das so. Ihr war es sehr wichtig, dass ihre Söhne anständig sind.
Waren auch Liebesbriefe von Meitlis dabei?
Wenige, 95 Prozent haben mir aber Buben geschrieben. So ein Hübscher war ich ja nicht wirklich.
Waren Sie damals wirklich so gut oder wurden Sie vor allem top vermarktet?
Nein, nein. Wenn ich mir heute die Videos von damals ansehe, denke ich manchmal: «Wow!» Ich war schon gut.
Als Beweis legt Christian Madeo alte VHS-Kasetten ein. Cricri beim Interview. Cricri beim Jonglieren. Cricri, wie er die die Gegner wie Slalomstangen umkurvt. Er war so gut. Heute tschuttet er nur noch mit Töchterchen Sofia. Die Zweijährige trifft den Ball jeweils mit links und Vollrist. Madeo lacht, zwinkert mit den Augen und sagt: «Sie ist ein Riesentalent… » Man merkt: Dieser Mann ist glücklich, obwohl sein grosser Traum geplatzt ist.