Am Nachmittag dieses denkwürdigen Tages gewinnt der FC Aarau sein Heimspiel gegen Sion mit 2:1. Danach reist die Mannschaft geschlossen in den Letzigrund. Nur ein Sieg von Servette kann an diesem Tag den vorzeitigen Titelgewinn des krassen Aussenseiters noch verhindern.
Aber nach dem Schlusspfiff springt Trainer Rolf Fringer auf der Tribüne von seinem Sitz und umarmt seine Frau. Sie ist im achten Monat schwanger. Die ganze Schweiz reibt sich die Augen. Es ist der Tag, an dem die von Fringer lancierte Fussballrevolution Früchte trägt.
Ein Jahr zuvor ruft ihn Aarau-Sportchef Fredy Strasser an. Aarau ist in Abstiegsgefahr und Fringer schickt sich an, mit dem FC Schaffhausen in die Nationalliga A aufzusteigen. Er hat zudem auch ein Angebot des FC Winterthur vorliegen.
Aber er unterschreibt in Aarau. «Mit dem Risiko, dass Aarau abgestiegen und Schaffhausen aufgestiegen wäre. Dann wäre ich weiterhin ein Trainer in der Nationalliga B gewesen», erinnert sich Fringer.
Doch Aarau rettet sich in letzter Minute. Und Schaffhausen verpasst den Aufstieg um Haaresbreite. Fringer bringt aus Schaffhausen Verteidiger Mirko Pavlicevic mit. Und holt vom FC Zürich seinen ehemaligen Schützling Roberto Di Matteo, der später eine Weltkarriere machen wird. «Aarau war ein Haus ohne Fundament. Mit diesen beiden Spielern hatten wir eins.»
Er vermittelt dem Team ein neues taktisches Konzept. Pressing, aggressiver Vorwärtsfussball. Entsprechend seiner Trainerarbeit mit dem Titel: «Die offensiven Möglichkeiten des Zonenspiels». Eine biedere Truppe wird über Nacht zur Spitzenmannschaft.
Schon die ersten Testspiele gewinnt man gegen irritierte Gegner mit vielen Toren Differenz. «Er hat uns eine neue Fussballwelt eröffnet und enormes Selbstvertrauen eingeimpft», sagt der damalige Captain Bernd Kilian. In der Winterpause ist Aarau an fünfter Stelle.
Das grosse GC mit Spielern wie Ciriaco Sforza, Alain Sutter, Thomas Bickel oder Mats Gren fällt in die Abstiegsrunde. Und Aarau? Dort ruft Fringer im Wintertrainingslager den Titelgewinn als Ziel aus. «Natürlich nur intern», sagt er heute.
Die Spieler staunen. Und marschieren mit ihrem frechen Fussball von Sieg zu Sieg. Bis zum wundersamen Titel, der drei Runden vor Schluss schon feststeht. «Ein frisierter Vierzylinder kann auch gegen Sechszylinder mithalten», sagt Fringer.
Eine Meisterprämie steht beim Trainer im Standardvertrag. «Daran gedacht haben wir bei der Vertragsunterzeichnung nicht.» Es ist ein vierstelliger Betrag, der dem neuen Stern am Trainerhimmel überwiesen wird. Gegen wen er im Meistercup spielen wolle, wird Fringer nach dem Titel gefragt. «AC Milan und Omonia Nikosia», sagt er.
Einige Wochen später werden dem FC Aarau Omonia Nikosia und in der ersten Hauptrunde die AC Milan zugelost. Fringer wird auch noch zum Orakel. Und in Aarau beginnt eine erfolgreiche Ära. Zwischen 1993 und 1997 qualifiziert sich der Provinzklub viermal in Folge für den Europacup.
Jogi Löw auf der Tribüne
In der Meistersaison sitzt auch immer wieder ein Kumpel von Fringer auf der Tribüne und geht nach dem Spielen mit der Mannschaft regelmässig zum Nachtessen. Es ist Jogi Löw, der sich nun anschickt, mit Deutschland den WM-Titel zu verteidigen. Und der später sagen wird: «Es war eine Zeit und ein Fussball, der mich inspiriert hat.» Auch für Rolf Fringer selber ist der FC Aarau ein Sprungbrett. Doch auch 25 Jahre danach ist für ihn klar: «Der Titelgewinn mit Aarau war mein schönstes und emotionalstes Erlebnis im Fussball.»
Das Meisterteam von 1993
Torhüter: Andreas Hilfiker (49)
Verteidigung: David Bader (48), Mirko Pavlicevic (52), Roberto Di Matteo (48), Bernd Kilian (52)
Mittelfeld: Rolf Meier (49), Marcel Heldmann (51), Ryszard Komornicki (58), René Sutter (52), Daniel Wyss (48), Jeff Saibene (49), Reto Rossi (51), Daniel Rupf (51)
Angriff: Petar Aleksandrov (55), Salvatore Romano (50), Uwe Wassmer (52)