Stephan Lichtsteiner (36) sitzt in Bern, im Garten des Hauses des Schweizer Fussballs. Vor ihm stehen Holzbänke für die Journalisten. Er sagt: «Nach ein paar Wochen Überlegungen habe ich mich entschieden, hier und heute den Rücktritt zu geben.»
Es ist eine Musterkarriere, die zu Ende geht. Der Nati-Captain aus Adligenswil LU machte 108 Länderspiele, spielte für GC, Lille, Lazio Rom, Juventus Turin, Arsenal und Augsburg. Schweizer Meister 2003. Sieben Mal italienischer Meister mit Juventus Turin. Stammspieler in einem Champions-League-Final, den Juve gegen Barcelona 1:3 verlor.
Er sagt: «Es war seit langem klar, dass es mein letztes Jahr ist. Die Verschiebung der EM war aber bitter und ich überlegte, doch nochmals weiterzumachen. GC war ein Thema, aber konkret verhandelt haben wir nicht. Und ich fühle mich wohl mit dem Entscheid.»
Mit BLICK spricht er über die 10 prägendsten Bilder seiner Karriere.
2002 mit GC gegen YB und Johan Vonlanthen (l.): «Exakt erinnere ich mich nicht an das Spiel, aber es wird eines der ersten für GC gewesen sein nach meinem Wechsel von Luzern. Im ersten Jahr unter Marcel Koller wurden wir gleich Meister.»
2006 in Lille mit Mitspieler Daniel Gygax: «Er hat ein paar Tage nach mir unterschrieben, es waren drei fantastische Jahre. Wir essen «Petit-suisse», kleine Schweizer, haben aber den Franzosen schon gezeigt, dass wir nicht so petit sind.»
2010 in Rom, als er bei Lazio spielt und vor dem Kolosseum posiert: «Das war ein Hammer-Wechsel in ein Fussball-Land, das mir am meisten gefiel. Weil von Montag bis Sonntag über Fussball geredet wird. Das war meine Welt, drei Super-Jahre.»
2014 an der WM in Brasilien gegen Argentinien mit Angel Di Maria: «Das war bitter, weil ich kurz vor Schluss den Fehler machte und wir 0:1 in der Verlängerung verloren. Da habe ich lange nachgedacht, aber es war eine wichtige Erfahrung als Fussballer und Mensch.»
2015 im Champions-League-Final gegen Barcelona (1:3) und Neymar: «Bilder, die weh tun. Ich habe alle 13 Champions-League-Spiele über 90 Minuten gemacht und bis heute das Gefühl, dass wir mit etwas Glück hätten gewinnen können. Neymar war ein riesige Challenge, er kam mit Iniesta über meine Seite, das war doppelt schwer.»
2017 beim 6. Meister-Titel mit Juve mit seiner Frau Manuela und den Kindern Kim und Noe: «Es war jedes Jahr speziell für die Kinder auf den Platz zu dürfen, auch wenn es beim 7. Meister-Titel langsam normal wurde. In den Pokal zu sitzen, mit den Fetzchen spielen. Sie fragten mich das ganze Jahr: Papi, wann dürfen wir wieder auf den Platz? Ich sagte ihnen, wir müssten das Ding erst holen.»
2017 beim entscheidenden WM-Qualispiel in Portugal gegen Cristiano Ronaldo: «Das war unsere beste WM-Quali mit 27 Punkten aus 10 Spielen – und trotzdem verloren wir wegen der Niederlage in Portugal, vielleicht waren wir etwas eingeschüchtert wegen Ronaldo und Co. – bei ihm musstest du eh immer aufpassen wie ein Wahnsinniger. Über die Barrage gegen Nordirland qualifizierten wir uns dann dennoch.»
2018, als er neben Marchisio, Buffon, Barzagli, Chiellini den siebten Meister-Titel in Serie holt: «Man nannte uns die «osso duro», die harten Knochen. Wir waren vom 1. bis zum 7. Scudetto dabei.»
2018 an der WM in Russland nach dem Spiel gegen Serbien: «Dass ich mit dem Doppeladler jubelte? Ich werde solidarisch sein mit Mitspielern, damals und in Zukunft. Das brauchts in der Corona-Krise. Dieser Serben-Match war von den Emotionen her schon das Extremste, weil viele albanischstämmige Mitspieler bei uns spielten. Und dann das Tor in der 90. Minute, das war verrückt.»
2018 bei Arsenal: «Eine richtige gute Erfahrung. Ich kam von einem Verein, der immer gewann zu einem, der seit Jahren in der Krise ist. Es war ein gutes Jahr, auch wenn es mit den Zielen Europa-League-Sieg und Top 4 nicht klappte. Augsburg war auch noch eine Challenge. Ein Klub, der gar nicht meinen Fussball spielt. Aber die EM zu spielen, war mein Ziel. Der Plan wäre super aufgegangen, aber Corona machte einen Strich durch die Rechnung.»
Bitter für Lichtsteiner ist einzig, dass er Heinz Hermann (118 Länderspiele) nicht als Rekordhalter ablösen konnte. Zu seiner Zukunft sagt er: «Ich werde nun Diplome machen und in der Wirtschaft reinschauen.» Heisst: Es ist eine Frage der Zeit, bis Trainer Lichtsteiner auftaucht.
Lichtsteiners Karriere sollte andere anspornen