Heute fliegt die Frauen-Nati nach Litauen zum EM-Qualispiel am Freitag. Es ist das erste Auswärtsspiel seit dem Rücktritt von Lara Dickenmann (33). Die erfolgreichsten Schweizer Fussballerin beendete ihre Nati-Karriere anfangs August nach 17 Jahren und 135 Partien.
BLICK: Lara Dickenmann, Sie starteten Ihre eindrückliche Karriere als College-Spielerin in den USA. Würden Sie heute denselben Weg gehen?
Lara Dickenmann: Für mich hat es gepasst. Der College-Fussball ist eine tolle Möglichkeit, aber man muss natürlich auch Lust haben, zu studieren. Mir hat Amerika sehr gut getan. Ich hatte meine Freiheiten, war weg von zu Hause und musste selbstständig werden. Ich würde nochmals dasselbe tun. Andererseits gab es damals auch kaum Alternativen, wenn man als Frau einigermassen professionell Fussballspielen wollte. Heute hast du als junge talentierte Spielerin mehrere Möglichkeiten. Du kannst in die Bundesliga wechseln oder nach England. Aber auch in Spanien und Frankreich läuft etwas. Zudem können auch Schweden, Dänemark und Norwegen interessant sein.
Hätten Sie mit 18 mit den heutigen 18-Jährigen mithalten können?
Die jungen Spielerinnen heute sind viel besser ausgebildet, als ich es damals war. Sie haben auch viel mehr Möglichkeiten, können täglich trainieren und sind taktisch sowie technisch besser. Also eher nein.
2009 sind Sie zu Lyon gewechselt …
… Das war meine grosse Chance. Lyon investierte seit 2005 sehr viel in den Frauenfussball. Ich kam genau zu der Zeit, als sich der ganze Aufwand ausbezahlt hat. Die französische Fussballkultur hat mir gut getan, der Fussball ist viel technischer als in der Schweiz oder in Amerika. Le «beau jeu». Das schöne Spiel.
Sie haben mit Lyon zweimal die Champions League gewonnen, mit dem VfL Wolfsburg standen Sie im Final. Es gibt keine Schweizer Fussballerin und auch kein Schweizer Fussballer, die erfolgreicher waren als Sie.
Naja. Xherdan Shaqiri hat auch zweimal die Champions League gewinnen können. Ich vergleiche mich nicht mit anderen Fussballerinnen. Und sicher nicht mit Fussballern. Die Champions League der Männer ist nochmals eine ganz andere Hausnummer. Eine ganz andere Bühne. Aber als ich 2011 den Final mit Lyon gewonnen habe und noch ein Tor erzielte, habe ich schon eine ganze Menge Aufmerksamkeit bekommen.
Sie sind die berühmteste Schweizer Fussballerin, ein Vorbild für Tausende von kickenden Mädchen...
Das empfinde ich nicht so. Ich glaube, Ramona Bachmann zum Beispiel, ist viel bekannter als ich. Aber für mich waren wir immer eine Gruppe und es ist schön, wenn uns junge Mädchen zu Vorbildern nehmen.
Nehmen Sie Ihre Vorbildfunktion wahr?
Ich denke, dass ich das mittlerweile tue, ja. Als ich noch in Lyon war, habe ich mich voll auf den Fussball fokussiert. Später merkte ich, dass ich auch auf anderen Ebenen etwas bewegen kann. Dass es was hilft, wenn ich gewisse Themen anspreche und meine Meinung sage.
Sie sprechen Ihr Coming Out an?
Zum Beispiel. Aber das war so konkret nicht als Coming Out geplant. Ich wollte einfach meine Geschichte erzählen. Ganz ehrlich und unverblümt.
Haben Sie ein so grosses Medien-Echo erwartet?
Nein, aber es hat gepasst. Für mich war es ein grosser Schritt in die Richtung Frau, die ich sein will.
Muss Homosexualität überhaupt noch thematisiert werden?
Ich persönlich fände es schön, müsste man nicht mehr so oft darüber reden. Aber ich glaube, wir sind noch nicht ganz soweit. Deshalb ist es wichtig, dass man darüber redet.
Wird man im Männerfussball überhaupt je soweit sein?
Es gibt schwule Spieler. Es ist ja unmöglich, dass es keine gibt. Für mich wäre es unvorstellbar, mich selbst die ganze Zeit verstellen zu müssen und Anderen permanent etwas vorzuspielen. Im Männerfussball müsste jemand mal den Mut aufbringen, sich zu outen. Jemand, den man kennt, der noch spielt. Vielleicht wäre es besser, wenn es gleich zehn Spieler auf einmal täten. Dann würde sich die Aufmerksamkeit verteilen.
Wäre die Fussball-Welt dafür bereit?
Ich glaube schon. Wobei, wenn ich sehe, dass zuletzt nach einem Treffer von Romelu Lukaku Affengeräusche von der Tribüne zu hören waren, sind wir vielleicht doch nicht so weit. Affengeräusche in Italien im Jahr 2019 – eigentlich unglaublich!
Männliche Fussball-Stars können sich kaum frei bewegen. Wie sieht es bei Ihnen aus?
Ich kann mich so frei bewegen, wie ich will. Das ist Lebensqualität. Habe ich am Sonntag spielfrei und gehe am Samstagabend in einen Club und mache Party, interessierts keinen. Machen aber Shaqiri oder Xhaka Party, kommt es in der Zeitung.
Dafür verdienen Sie auch viel mehr...
...Geld macht nicht alles weg.
Sie haben unlängst letztes Jahr den brasilianischen Superstar Neymar kritisiert, weil dieser so oft am Boden gelegen ist. Sind Sie dafür gerügt worden?
Nein. Ich habe es so gesagt und ich stehe auch dazu. Schwalben gibt’s auch im Frauenfussball, aber viel seltener. Wenn einem etwas weh tut, dann rollt man nicht siebenmal am Boden umher. Das gibt dem Fussball kein gutes Image. Das macht den Sport kaputt. In den Neunziger Jahren waren Fussballer alles «härti Sieche». Die hatten von den Stollenschuhen teilweise fast Fleischwunden und sind einfach wieder aufgestanden. Neymar gefällt mir als Fussballer übrigens sehr gut, aber das Theater rundherum wie zum Beispiel in diesem Sommer, braucht es nicht.
Als er sich den Wechsel weg von PSG erzwingen wollte?
Ja. Ich weiss ja auch nur dass, was in den Medien steht. Aber das hat schon was Erschreckendes. Neymar wollte unbedingt weg und da liest man, dass Barcelona Coutinho und Dembelé und ein paar Millionen Franken anbietet, um Neymar zurückzuholen. Und was ist mit Coutinho oder Dembelé? Hat sie auch jemand gefragt. Das ist ein wenig wie moderner Menschenhandel.
Ist der Frauenfussball ehrlicher?
Es gibt zumindest viele Zuschauer, die uns Komplimente machen, weil wir schneller wieder aufstehen.
Sobald mehr Geld im Spiel ist, wird auch der Frauenfussball anders. Einverstanden?
Wahrscheinlich hat das Geld schon einen grossen Einfluss. Bei den Männern ist mittlerweile eigentlich jeder gute Spieler seine eigene Marke. Heute hat jeder Stürmer, der regelmässig trifft, seinen eigenen Jubel. Instagram, Twitter. Selbstdarstellung auf verschiedenen Ebenen. Es dürfte schon passieren, dass sich auch die Spielerinnen mehr inszenieren, sobald mehr Aufmerksamkeit da ist. Das ist, so glaube ich zumindest, ein menschliches Phänomen und nicht geschlechterabhängig.
Sie haben noch zwei Jahre Vertrag bei Wolfsburg, kommen Sie fürs Karrieren-Ende zurück in die Schweiz?
Das habe ich mir immer so vorgestellt. Aber es ist schwierig, wenn ich dann den ganzen Tag arbeiten muss. Hut ab vor jeder Spielerin, die Vollzeit arbeitet und in der NLA spielt. Nach so vielen Jahren als Profi würde ich das nicht schaffen. Ich habe wohl immer gehofft, dass sich der Fussball in der Schweiz bis zu meinem Karrieren-Ende schneller entwickelt. Darum habe ich über die zwei Jahre hinaus noch keine konkreten Pläne.
Lara Dickenmann ist am 27. November in Kriens geboren. Als Mädchen spielte sie in der Mannschaft ihres Bruders, mit 14 wird sie ins Frauenteam des FC Sursee aufgenommen. Später wurde sie 5mal Meisterin in der Schweiz, sechsmal in Frankreich, dreimal in Deutschland. Zudem holte sie 4mal den deutschen Cup-Pokal und gewann mit Lyon zweimal die Champions League. Dickenmann beendet am 7. August ihre Nati-Karriere nach 135 Länderspielen. Noch zwei Jahre ist sie beim VfL Wolfsburg unter Vertrag.
Lara Dickenmann ist am 27. November in Kriens geboren. Als Mädchen spielte sie in der Mannschaft ihres Bruders, mit 14 wird sie ins Frauenteam des FC Sursee aufgenommen. Später wurde sie 5mal Meisterin in der Schweiz, sechsmal in Frankreich, dreimal in Deutschland. Zudem holte sie 4mal den deutschen Cup-Pokal und gewann mit Lyon zweimal die Champions League. Dickenmann beendet am 7. August ihre Nati-Karriere nach 135 Länderspielen. Noch zwei Jahre ist sie beim VfL Wolfsburg unter Vertrag.