Restaurant Sonnenberg über den Dächern Zürichs. Zärtlich schmiegt sich Jadwiga an ihren Köbi, verliebt hält das Paar Händchen. «Wir sind überglücklich», sagt der ehemalige Nati-Trainer.
Denn er kennt auch die Kehrseite der Medaille. 2008, kurz vor der EM, erkrankt seine Frau Alice schwer. Sechs Jahre lang kümmert er sich rührend um sie. Im April 2014 stirbt Alice, mit der Köbi 49 Jahre verheiratet ist. Zwei Tage, nachdem endlich Alice nach Hause kam. «Ich wollte ihr ins Auto helfen», sagt Kuhn, «und plötzlich ist sie in der Tiefgarage zusammengebrochen. Alice hat mir in die Augen geschaut und mich angelacht, bevor sie aufgegeben hat. Sie ist glücklich gestorben.»
Heute, zwei Jahre später, geht es auch Köbi wieder besser. Weil er den Tod von Alice aufgearbeitet hat. Weil es mit Jadwiga wieder eine Frau in Köbis Leben gibt. Weil sie beide das Leben mit beiden Händen packen.
SonntagsBlick: Köbi, Jadwiga, wie haben Sie sich eigentlich kennengelernt?
Köbi Kuhn: Wir sind seit vielen Jahren Nachbarn. Unsere beiden Häuser in Birmensdorf sind nur durch ein kleines Strässchen und einen Teich getrennt.
Jadwiga Cervoni: Ich war mit Alice befreundet. Wir haben sehr oft zusammen gegessen, auch mal Weihnachten zusammen verbracht. Alice hatte am 19. September Geburtstag, ich einen Tag später. So haben wir das stets zusammen gefeiert. Einmal haben die Kinder aus meinen Kinderkrippen ihr ein Geburtstags-Ständchen gebracht.
Köbi: Wir kennen uns wirklich lang.
Jadwiga: Ich habe von meinem Haus aus jeweils gesehen, welches Programm Köbi gerade im Fernsehen schaut, so nah ist das alles. Meist Fussball oder Tagesschau. Und als seine Frau gestorben ist, habe ich ihn immer auf seinem Balkon hin- und herlaufen sehen. Wie ein ruheloser Tiger. Sogar mit Zigarette im Mund.
Köbi, Sie rauchen?
Köbi: Eigentlich nicht. In jener Zeit aber habe ich die alten Zigaretten von Alice herausgeholt. Ich wusste nicht wie es weitergehen soll. Ich habe schnell gemerkt, dass ich nicht allein sein kann. Ich bin nicht für ein Leben alleine geschaffen, ich bin ein Teammensch. Etwa ein Jahr nachher sind Jadwiga und ich uns nähergekommen. Ganz vorsichtig und langsam. Mit Rauchen habe ich wieder aufgehört - ein Päckchen mit drei, vier Zigaretten liegt immer noch auf der Terrasse...
Wie kamen Sie sich denn näher?
Jadwiga: Direkt nach dem Tod von Alice hat sich Köbi sehr zurückgezogen. Die Familie hat ihn mitgerissen, wieder Abenteuer zu unternehmen.
Köbi: Wir haben eine Kreuzfahrt von England, Irland über Grönland bis nach Kanada gemacht. Die Kinder meiner Schwester leben in Kanada, wir haben sie besucht. Wir sind eine gut funktionierende Familie, die einander hilft. Jeder ist immer für den anderen da. Aber wirklich helfen kann Dir in einer solchen Situation niemand. Das musst Du ganz alleine verarbeiten.
Jadwiga: Ich habe ihm dann zuhause geholfen. In seiner Wohnung hat sich alles gestapelt – Rechnungen, Briefe. Er hat alles so gelassen, wie es Alice hinterlassen hatte. Ihre Sachen lagen auf ihrem Nachttisch, ihre Bettseite war unverändert, wie sie drin gelegen hatte. Ihr ergonomischer Sessel, ihr Sauerstoff-Gerät – Köbi hat nichts berührt, er war apathisch.
Köbi: Ich konnte und kann es selber einfach nicht. Es ist schwierig, in diese Erinnerungen einzutauchen.
Jadwiga: Wir sortieren noch heute. Und haben uns verliebt.
Leben Sie denn heute zusammen?
Jadwiga: Ja. Erstens sind wir eh 24 Stunden täglich zusammen. Zweitens wir möchten reisen und unten anderen fahren wir nach Galapagos im Herbst und ich habe eine Reiseannullationsversicherung, die auch für Köbi gilt, wenn wir am selben Ort wohnen.
Köbi: Also haben wir uns umgemeldet. Und ich musste keine Reiseannullations-Versicherung abschliessen.
Jadwiga: Und bei Köbi kann man grade eh nicht wohnen.
Warum?
Köbi: Der Lift ist stecken geblieben am Samstag von ein paar Wochen.
Jadwiga: Wir haben den Störungsdienst angerufen. Plötzlich brannte alles.
Wie bitte?
Köbi: Ja, der Lift brannte. Es kamen sieben Feuerwehr-Autos. Wie bei einem Grossbrand.
Jadwiga: Die Wohnung ist nicht mehr bewohnbar.
Köbi: Ja, erst im Frühling des nächsten Jahres wieder, im Winter kommt der neue Lift. Es stinkt und ist voll Russ alles.
Also sind Sie ein Haus weitergezogen – rüber zu Jadwiga?
Köbi: Ja. Zu den drei Hunden und zwei Katzen. Und den riesigen Aquarien mit Tausenden Fischen.
Jadwiga: Köbi liebt zum Beispiel die Hunde so. Er spricht so lieb mit ihnen. Es ist für ihn etwas Neues, weil er in seiner Familie nie Tiere hatte.
Köbi: Wir waren fünf Kinder, das reichte.
Jadwiga: Heute freut er sich riesig, wenn wir morgens im Bett liegen und hören, dass schon alle Hunde vor dem Schlafzimmer sitzen und auf uns warten. Ich habe auch viele Pflanzen, um die ich mich kümmere. Drüben beim Köbi wird einfach alles automatisch bewässert, da kann er auch mal ein Jahr nicht zuhause sein...
Es gab auch böse anonyme Briefe, die Ihre Liebe verurteilten.
Jadwiga: Die kommen nach der Veröffentlichung der Zeitungsartikel. Zum Beispiel, dass ich zu kurze Kleider trage und Styling brauchen würde. Oder warum Köbi keine Krawatte trägt bei Anlässen. Pfui, Köbi, steht dann da.
Köbi: Ja, aber es hat abgenommen.
Köbi, Sie bauten doch mal ein Haus in Wiedikon um?
Köbi: Ja, ich wollte es für Alice umbauen, rollstuhlgängig. Aber nun vermieten wir es. Wir fühlen uns wohl in Birmensdorf.
Heisst heiraten?
Jadwiga: Wegen der Steuern überlegen wir noch.
Köbi: Wir sind wie verheiratet. Wir leben zusammen und sehen uns immer. Wenn wir auf dem Standesamt wären, wird es keine grosse Veränderung geben. Ich denke schon, dass wir heiraten, ja.
Jadwiga, waren Sie auch schon mal verheiratet?
Jadwiga: Ich bin zweimal glücklich geschieden. (lacht) Und habe drei Kinder.
Köbi, glauben Sie, dass Alice Ihnen den Segen für die neue Ehe geben würde?
Köbi: Ja, sie hätte uns den Segen gegeben, sie hätte nichts dagegen gehabt, wenn ich nach ihrem Tod nochmals heirate. Wir kannten uns, sie wusste, dass ich schlecht allein sein kann. Sie hätte es nicht als Betrug oder Verrat gesehen. Sie will, dass ich glücklich bin.
Jadwiga: Wir waren am Donnerstag an ihrem Grab. Wir sind sehr oft da. Alice weiss, dass Köbi Gesellschaft braucht. Nach ihrem Tod ging er immer in den Leuen, um Kaffee zu trinken. Nicht wegen des Kaffees. Sondern, um Leute zu treffen. Es gab ein paarmal, wenn ich einen Behörden-Gang machen muss und nach Hause komme, ist er erst nicht da.
Warum?
Jadwiga: Weil er sich die Jacke geschnappt hat und ins Restaurant geht. Er kann nicht alleine zuhause Kaffee trinken.
Köbi: Ich kann schon. Aber ich will nicht.
Sie sagen, in den nächsten Jahren reisen Sie rund um den Globus. Wo starten Sie?
Jadwiga: Nächste Woche in Graubünden. Ich habe ein Ferienhaus mit grossem Grundstück in der Nähe von Laax. Viel wandern mit den Hunden mitten in den Bergen, im Gemüsegarten arbeiten, dreckige Fingernägel bekommen.
Sie auch, Köbi?
Köbi: Ich habe höhere Aufgaben... (lacht) Nachdenken und so.
Kochen?
Köbi: Sie kocht top.
Jadwiga: Er assistiert gern.
Weiter als nach Graubünden geht’s nicht?
Köbi: Doch, dann kommt Polen, Frankreich, Thermalkur in Budapest und im Herbst auf die Galapagos-Inseln. Dann will ich in die Antarktis.
Jadwiga: Und eine Freundin aus Rio de Janeiro besucht uns. Sie hat vorgeschlagen mit uns dann in den Amazonas.
Köbi: Nächstes Jahr wollen wir von Brasilien über Argentinien bis runter nach Ushuaia, das Ende der Welt, reisen. Ich will mal 5000 Pinguine um mich herumhaben – und befehlen... (lacht) Wir werden einfach hinreisen und wissen nicht, wann wir zurückkommen. Wir wollen es geniessen, solange wir so gesund sind. Ich hoffe, wir können das noch ein paar Jahre machen. Meine Mutter ist 103 Jahre alt geworden.
Köbi, sie leiden an Altersleukämie. Wie geht es Ihnen?
Köbi: Ich spüre nichts, musste längere Zeit nicht mal mehr Medikamente nehmen. Vorher musste ich alle drei Monate zum Arzt, nun nur noch jedes halbe Jahr. Es geht mir richtig gut.
Jadwiga: Ich habe ein paar Probleme mit dem Herzen. Mein Herzinfarkt- oder Schlaganfall-Risiko ist erhöht. Darum wollen wir unsere Zeit nützen. Intensivieren, wie wir es nennen. Ich habe eine Haushälterin angestellt, die sich komplett um die Tiere und alles kümmert, wenn wir weg sind. Damit wir einfach unser Leben geniessen können.
Zur EM reisen Sie auch?
Köbi: Ja, ich gehe als riesiger Fan zu den Nati-Spielen. Wir haben eine gute Mannschaft. Ich fiebere mit, bei allen Problemen, die zuletzt auftauchten.
Jadwiga, sind Sie mehr für Polen oder für die Schweiz?
Jadwiga: Ich habe beide Pässe. Aber ich bin mehr für die Schweiz, ich kenne die polnische Mannschaft nicht. Ich bin seit 1988 hier, habe 1995 meine erste Kinderkrippe gegründet. Heute sind es zwölf Krippen – mit 500 Kindern und fast 140 Angestellten. Meine Tochter hat inzwischen die operative Führung unternommen, ich bin mehr strategisch tätig.
Wie ist es eigentlich, mit Köbi National zusammen zu sein?
Jadwiga: Wir sind hier an der Buchpräsentation von Sepp Blatter. Es gibt einen grossen Unterschied von Sepp zu ihm: Köbi wird nirgends angefeindet. Egal, wo wir sind, alle Menschen sind nett zu Köbi. Für mich gibt es in der Schweiz zwei Legenden: Willhelm Tell und Köbi Kuhn und dann kommt lange niemand mehr...