Fast ein halbes Jahrhundert durfte ich mit einer Frau verbringen, die mich liebte, verstand und unterstützte. Alice war so zuverlässig wie loyal. Dass sie älter und erfahrener war, sah mein Umfeld anfangs als problematisch an. Im Laufe unserer Ehe sollte sich herausstellen, dass vielleicht gerade dieses Mehr an Reife uns zu einem guten Team machte. Als uns der Pfarrer bei der Hochzeit die Worte mitgab ‹Die Frau sei dem Manne untertan› , lachten wir beide über dieses antiquierte Rollenverständnis. Im Hause Kuhn war klar Alice der Chef. Doch ich vergass ob meiner grossen Leidenschaft, dem Fussball, ein wenig auf die Familie. Alice stand immer im Schatten – und hinten an …
Als am 25. April 2014 ihr Herz versagte und sie in der Garage unsere Wohnhauses in Birmensdorf in meinen Armen starb, war ich verzweifelt. Nicht nur, dass ich meine schwer kranke Frau verloren hatte; ich hatte in den vergangen Jahren auch einiges an Schuld gutzumachen gehabt. Ob mir das gelungen ist, weiss nur Alice. Jedenfalls war die Zeit, in der ich mit ihrer Pflege beschäftigt war, die erste gewesen, in der sich nicht alles um mich und den Fussball gedreht hatte.
Danach fiel ich in ein Loch – erschöpft und voller Reue. Ich wusste nichts mehr mit mir anzufangen, hatte die Perspektive verloren. Und genau da zeigte sich, was wirklich zählt: die Liebe. Schon des Längeren hatten unsere Nachbarin Jadwiga und ich freundschaftlichen Kontakt geknüpft. Ihre offene, resolute Art gefiel mir. Sie hatte sich offenbar schon vor einiger Zeit in mich verliebt. Als Nationaltrainer hatte man viel über mich lesen können und sie wusste sehr genau, was mir fehlte. Dementsprechend umsorgte sie mich. Und ich konnte endlich wieder Gefühle zulassen…»
Am 23. Oktober 2017 um 11.15 Uhr sagten Jadwiga und Jakob im Zivilstandesamt in Dietikon «Ja» zueinander. Anstatt Eheringen tauschen die beiden iWatches aus. Sie bekam eine in Rosa, er in Schwarz. Die Idee dahinter: Sie wollen einander immer finden können. Das Paar ist sich sicher: «Wir bleiben zusammen, bis der Tod uns scheidet.»
Als Alice starb, war ich nicht in der Lage auszumisten
Im Buch schreibt Köbi Kuhn: «Die jahrelange Aufopferung für meine erste Frau Alice hat Kraft gekostet. Eine neue Liebe gibt dir neue Energie. Es ist ein Geschenk, Jadwiga an meiner Seite zu haben. Sie kümmert sich so lieb, organisiert alles. Auch teilen wir den Humor und nehmen alles nicht so schwer – nicht einmal die negativen Stimmen zu unserer Beziehung, die manchmal laut werden.
Wir geniessen die Zeit zusammen und freuen uns über jeden Tag. Erst nach Alices Tod habe ich mir neue Gefühle zugestanden und Jadwiga offen Sympathie entgegengebracht. Ich hatte zwar schon vorher vermutet, dass sie mich gern hat, oder sogar heimlich gehofft, dass es der Fall war, doch zuerst waren wir nur Nachbarn in Birmensdorf, dann Freunde, dann ein Paar. Jadwiga hat mir dabei geholfen, «die Vergangenheit» zu sortieren und zu verarbeiten. Als Alice starb, war ich nicht in der Lage, alles auszumisten und mich neu zu finden. Zuerst ging ich mit meinen Geschwistern auf eine Kreuzfahrt nach Kanada, wo die Kinder meiner ältesten Schwester leben.
Meine Geschwister waren mir eine grosse Stütze, aber jeder hat sein eigenes Leben. Kollegen und Bekannte bemühten sich auch, mich zu begleiten und zu beschäftigen. Trotzdem, irgendwann nach dem Verlust von Alice bin ich in ein riesiges schwarzes Loch gefallen. Ich wusste wirklich nicht, wie es weitergehen sollte.
Ich hatte nicht die Kraft, das allein anzupacken – und bekam eine wunderbare Hilfe in Form von Jadwiga. Sie hat so viel Energie, 1000 Ideen und kennt für jede Schwierigkeit eine Lösung! Damals, als sie mich erstmals einlud, fand ich die Geborgenheit und die familiäre Atmosphäre so angenehm, dass ich nicht mehr gehen wollte. Ich hatte die Freude daran, in meine Wohnung zurückzukommen, verloren.
Da ich ohnehin die meiste Zeit bei Jadwiga verbrachte, zog ich bald ganz zu ihr. Bis jetzt lebe ich bei ihr im Haus, das nur einen Ententeich und eine Strasse von meiner Wohnung in Birmensdorf ZH entfernt liegt.(...) Wir finden beide, dass wir kein grosses Haus mehr brauchen. Die Wohnung bietet Platz genug und ist im Alter praktischer und komfortabler, ohne Treppen, die wir steigen müssten. Gerade das Treppensteigen bekommt meinen vom Sport lädierten Knien nicht sonderlich gut.
Ein Haus mit Garten braucht Zeit und die ist ein knappes Gut. Wir wollen noch allerlei sonst unternehmen. In den drei Jahren, die wir nun zusammen verbracht haben, sind wir zu einem Team geworden. Ich habe Jadwiga bei langen Spaziergängen und an vielen Nachtessen – sie ist eine hervorragende Köchin – mein Leben erzählt und auch sie legte mir ihres offen. Ich bewundere ihren Werdegang.
Dank ihres starken Charakters und ihrer Fähigkeit, das Unmögliche möglich zu machen, hat sie 1995 eine Einzelfirma gegründet und während der ersten fünf Jahre sämtliche Aufgaben allein geschaukelt. Sie hatte weder eine finanzielle Grundlage noch einen Freundes- oder Familienkreis um sich. Zudem nur geringe Deutschkenntnisse und drei Kinder. Heute ist sie als Unternehmerin für mehr als 200 Mitarbeitende verantwortlich, die 600 Kinder betreuen. Ich bin stolz auf sie. Was mir ausserdem imponiert: Sie ist eine Feministin, die immer die Frauenseite verteidigt.
Wegen Jadwiga hörte ich wieder mit dem Rauchen auf
Auch daheim erledigt sie alles: von der Hausverwaltung bis zu kleinen Reparaturen, kochen, waschen, Tiere versorgen, Einkäufe – als wäre es selbstverständlich. Da ich in zahlreichen Vereinen und Organisationen aktiv bin, koordiniert Jadwiga meine Verpflichtungen wie früher Alice! Ich nehme sie überallhin mit, ob es sich um einen Fussballmatch im In- oder Ausland handelt, bei dem wir mitfiebern, oder eine Versammlung. Sie ist gern mit von der Partie und hilft auch mal tatkräftig, damit ein Anlass tatsächlich stattfinden kann. Was könnte ich mir mehr wünschen? Ich werde von A bis Z umsorgt.
Meine Schwester sagte einmal zu Jadwiga: «Köbi ist vom Schweizerischen Fussballverband verwöhnt, es wurde alles für ihn erledigt. Er musste sich um nichts kümmern, weder um Tickets oder den Transport noch die Verpflegung oder Hotelzimmer. Es wurde organisiert, noch bevor er es sich wünschen konnte. Und zu Hause hat Alice das für ihn erledigt. Sie hat den ganzen Kram im Griff gehabt. Wundere dich nicht, wenn er sich auf dich verlässt.» Ja, ich kann mich auf Jadwiga verlassen und bin sehr froh darüber. Die Kuhns sind oft im Publikum bei Spielen der Nati.
Ausserdem verdanke ich es ihr, dass ich nicht mehr rauche. Eine Zeit lang habe ich Zigaretten gebraucht in besonderen Stresssituationen, wenn ich mich schlecht gefühlt habe – eine rauchende Bekannte hatte mich dazu gebracht. Heute habe ich Gott sei Dank wieder aufgehört. Jadwiga sagte mir, mit einer Zigarette in der Hand verliere ich mein Charisma. Sie hat mich in ihre Hobbys miteinbezogen, zum Beispiel leiten wir mittlerweile gemeinsam den von ihr gegründeten Jugendkulturverein. Es bereitet mir Freude zu sehen, wie junge Leute sich engagieren, sinnvolle Projekte entwickeln und umsetzen. Meine Anwesenheit und meine Unterstützung geben ihnen Motivation und Selbstvertrauen!
Machu Picchu in Peru und bestaunten die Iguazu-Wasserfälle in Argentinien. Dann luden wir meine älteste Schwester Ruth zu ihrem Geburtstag auf eine Kreuzfahrt von Passau bis ans Schwarze Meer und zurück ein.
Sie hat ihre Tochter als Begleitung ausgewählt. Die beiden waren seit 50 Jahren nicht mehr ununterbrochen zwei Wochen zusammen.
Genauso wenig wie ich mit meiner Schwester seit 70 Jahren. Wir haben uns neu kennengelernt. Die gemeinsame Zeit auf so engem Raum war speziell.
Ganz ehrlich: Ohne Jadwiga wäre die Reise nie zustande gekommen. Unser Motto als Paar lautet: Alles, wovon wir träumen, auch tatsächlich zu verwirklichen. Wer weiss schon, wie viel Zeit uns noch bleibt? Danach haben wir spontan geheiratet. Unsere Hochzeit im Oktober 2017 war eigentlich der logische nächste Schritt in unserer Beziehung. Ich wollte sie gern heiraten.
Es ist doch schön und es gehört sich für mich auch so, als Ehepaar zu leben, wenn man sich liebt. Noch immer werde ich oft an Veranstaltungen eingeladen, zu denen mich Jadwiga begleitet. Ich meinerseits gehe mit, wenn sie ins Büro muss, und warte geduldig und gerne, bis sie die Arbeit erledigt hat. Wir nehmen sogar Arztbesuche und amtliche Termine zu zweit wahr. In der Tat sind wir sehr selten getrennt, was mir guttut.»
Köbi National blickt zurück – Teil 3
Mit seiner Autobiographie, der 75-Jährige zusammen mit der Autorin Dr. Sherin Kneifl verfasste, lässt der ehemalige Nati-Coach Köbi Kuhn die Höhen neu aufblühen und gewährt Einsichten in die Tiefen seines Lebens. Exklusiv im BLICK greift er relevante Ereignisse heraus.