Wie bedeutend dieser Montagabend in Mailand war, hat man in Buffons Augen bei der Hymne vor dem Spiel ablesen können. Da zeigten sich Tränen und der Torhüter sang wie gewohnt mit grösster Inbrunst: «Lasst uns die Reihen schliessen. Wir sind bereit zum Tod. Italien hat gerufen.» Pathos, das der ganzen Nation die Gänsehaut über den Rücken jagte.
Nach dem Schlusspfiff, der das 0:0 besiegelte und damit das endgültige Aus des vierfachen Weltmeisters im Kampf für einen Platz an der WM 2018 in Russland, gab es wieder Tränen. Einen Stiefel voller bitterer Tränen, den Tod einer riesigen Hoffnung.
Und Gianluigi Buffon, den alle liebevoll Gigi rufen, stand aufgelöst vor der Kamera des italienischen Fernsehens. Er schluchzte seinen Abschied von der Nationalmannschaft. «Wie haben versagt«, stotterte er. «Auch aus sozialer Sicht wäre die Qualifikation für die WM so wichtig gewesen. Es tut mir leid. Es tut mir leid.»
Buffon, der Sozialromantiker
Gigi Buffon, der viel mehr ist als ein Fussballer, ein Hauptdarsteller auf der Lebensbühne. Der mit grandiosen Leistungen und wilden Eskapaden zum Torhüter-Monument wurde. Der mit seinem Hang zum Pathos emotional jeden berührte, Fan und Feind. Der mit seiner Fairness als leuchtendes Beispiel voranging. Der die Gegner vor dem Spiel herzte und auch danach, egal, wie die Partie ausging. Der eindringlich und kopfschüttelnd klatschte, wenn die italienischen Fans während der gegnerischen Hymne dummlaut pfiffen.
Buffon, der Sozialromantiker, den Männer gern als Freund haben möchten und Frauen als Beschützer. Auf Buffon war in der Nationalmannschaft während zwanzig Jahren Verlass. Auch wenn er seinen sportlichen Zenit überschritten hat, reicht ihm allein seine Persönlichkeit, um auch mit 39 immer noch zu den besten Goalies der Welt zu gehören.
Buffon, der Gambler
Neben dem Platz fehlt ihm diese Beständigkeit. Buffon, der Gambler. Der sein Maturazeugnis fälschte, um Jura studieren zu können. Dem seine Leidenschaft für illegale Wetten Millionen kostete und ein Verfahren. Der mit den Neofaschisten flirtete, sich aber stets aus den Vorwürfen herauszuwinden verstand, wie eine wendige Katze im Fünfmeterraum.
Als er vor seiner ruhmreichen Juve-Zeit bei Parma spielte, wollte er die 00 als Rückennummer. Als Symbol für zwei Eier. «Eier zeigen» war seine Devise. Doch die Nummer wurde ihm vom Klub verwehrt, weil die Doppelnull auch für WC steht. Also wählte er die 88, womit er den Neonazis in die Hände spielte, die mit der 88 die Initialen von «Heil Hitler» verbinden. «Wie sollte ich das ahnen?», rechtfertigte sich Buffon. «Für mich bedeutet die 88 einfach: vier Eier.»
Doch dem Tschitschi, der in der Marmor-Stadt Carrara in eine bärenstarke Familie geboren wurde – der Vater war Gewichtheber, die Mutter Diskuswerferin, der Onkel Fussball-Torhüter, die Schwester später Volleyballspielerin – wurden alle Eskapaden verziehen. Weil man einen Typen, der mit so viel Stärke, Leidenschaft und Fairness seinen Beruf ausübt, einfach gern haben muss.
Letztes grosses Ziel
Bei Juventus wurde er unsterblich, als er der «Alten Dame» auch nach dem Zwangsabstieg 2006 die Treue hielt. Als Folge eines riesigen Bestechungsskandals im italienischen Fussball wurden Juventus damals zwei Meistertitel aberkannt und der Klub wurde in die Zweitklassigkeit verbannt. Aber Italien feierte, natürlich mit Buffon im Tor, im selben Jahr den Weltmeistertitel. Juve stieg eine Saison später direkt wieder auf und spielte im Jahr darauf bereits wieder Champions League.
Diese ist jetzt nach dem Rücktritt aus der Nationalmannschaft auch das letzte, grosse Ziel des Methusalems in Handschuhen. Drei Finals hat Buffon in seinen 17 Jahren im Juve-Dress verloren. Eine Gelegenheit bleibt ihm noch. Man würde es ihm gönnen, diesem Grossen. Und Gigi würde wohl wieder weinen und mit ihm die ganze Nation: einen Stiefel voller Tränen des Glücks.