Es passiert am 27. Oktober beim Spiel gegen Crystal Palace (2:2): Erst bejubeln die Arsenal-Fans die Auswechslung ihres Captains Granit Xhaka (27), dann pfeifen sie ihn aus. Von Emotionen getrieben spornt er die Leute an, noch lauter zu buhen, hält sich provokativ die Hand ans Ohr, schüttelt immer wieder den Kopf. Schliesslich reisst er sich das Trikot vom Leib. Englische Medien wollen gar ein «Verpisst euch!» von Xhakas Lippen gelesen haben. Am Freitag gibt Trainer Unai Emery bekannt, dass er gegen Wolverhampton auf Xhaka verzichtet.
Marco Streller, 2008: Er gab 12 Stunden nach Pfiffen den Rücktritt
Die St. Galler AFG-Arena, 30. Mai 2008. Beim Test gegen Liechtenstein (3:0) wird Nati-Stürmer Marco Streller bei seiner Auswechslung ausgepfiffen.
12 Stunden später gibt der FCB-Spieler, sichtlich noch unter Restalkohol, am TV seinen Rücktritt bekannt: «Ich habe keinen Bock mehr. Ich werde nach der Euro definitiv zurücktreten. Ich akzeptiere das Gepfeife einfach nicht mehr. Ich habe mir das Gerede lange genug angehört.»
Auf der Heimreise in den zweitägigen Urlaub wird Streller im Auto von Teamberater Adrian Knup bearbeitet. Ottmar Hitzfeld, der nach der Euro 2008 von Köbi Kuhn übernimmt, überredet Streller wenig später zum Rücktritt vom Rücktritt.
Alex Frei, 2010: Nach dem zweiten Mal trat er zurück
Der 3. September 2010, St. Galler AFG-Arena: Im Test gegen Australien (0:0) verschiesst Alex Frei einen Penalty – und wird ausgepfiffen. Der damalige Nati-Coach Ottmar Hitzfeld: «Es ist peinlich, wie sich zahlreiche Zuschauer benommen haben wegen einem verschossenen Penalty. Dass er ausgepfiffen wurde, ist
total unfair.»
Im Oktober 2010 passiert dasselbe beim 4:1 gegen Wales in Basel. Hitzfeld: «Ich bin masslos enttäuscht, dass unser Kapitän in Basel vor eigenem Publikum ausgepfiffen wird. Das hat ihn schwer getroffen.»
Frei geht nach dem Spiel wortlos an den Journalisten vorbei, drei Wochen später verkündet der Rekordtorschütze (42 Treffer) seinen Nati-Abschied für 2011. Nach einem 0:0 in Bulgarien Ende März 2011 ist Schluss.
Haris Seferovic, 2017: Bittere Tränen nach Pfiffen
November 2017 im Basler St. Jakob-Park. Beim Rückspiel der WM-Playoffs gegen Nordirland (1:0), in dem sich die Schweiz für die WM 2018 in Russland qualifiziert, wird Nati-Stürmer Haris Seferovic (27) bei seiner Auswechslung von einem Teil der Fans ausgepfiffen. «Sefe» mimt mit Daumen und Zeigefinger das Pfeif-Zeichen, deutet mit der anderen Hand an: Macht nur weiter so! Er muss die Tränen unterdrücken. In der Garderobe fliessen sie dann doch.
Wenige Minuten später reagiert seine feurige Lebensgefährtin Amina (seine heutige Gemahlin und Mutter von Töchterchen Inaya) in den sozialen Medien. Sie schreibt: «Mein Kämpferherz. Verdient qualifiziert. Und dann erst mal allen Undankbaren und Ahnungslosen das dreckige Maul stopfen.»
Über vier Monate lang schweigt der Ausgepfiffene. Erst im März 2018 redet Seferovic über den dunklen Abend. «Was gewesen ist, ist gewesen. Die Pfiffe sind vergessen.» Wirklich? Wollte Seferovic in der Tat nicht den Bettel hinschmeissen? «Nein, ein Rücktritt war nie ein Thema», behauptet der Blondschopf.
Seither macht der «Mann aus Sursee» wieder, was er am besten kann: Er schiesst Tore am Laufmeter. Zuletzt ist Seferovic beim vorentscheidenden EM-Qualifikationsspiel in Genf beim 2:0 gegen Irland mit seinem Tor der Dosenöffner zum Sieg.
Und in der ersten Hälfte des Jahres glänzt Seferovic bei Benfica Lissabon mit 19 Toren in 17 Meisterschaftsspielen. Benfica wird Meister. Haris dazu mit 23 Treffern Torschützenkönig. Und sein Vertrag wird gleich bis 2024 verlängert!
Ricardo Rodriguez, 2019: Seit den Pfiffen nur Ersatz
Ausgepfiffen von den eigenen Fans. Auch Xhakas bester Nati-Kumpel Ricardo Rodriguez musste vor kurzem diese unerfreuliche Erfahrung machen. Am 11. September wird der Milan-Verteidiger im Mailänder-Derby in der 72. Minute beim Stand von 0:1 ausgewechselt – und dabei von den eigenen Tifosi ausgepfiffen.
Seither hat immer Neuzugang Theo Hernandez hinten links gespielt. Erst war Rodriguez Ersatz, zuletzt litt er an Adduktorenproblemen. Die Pfiffe habe Rodriguez nicht persönlich genommen, sagt dessen Berater Gianluca Di Domenico, «in Italien nennt man ein solches Pfeifkonzert ‹contestazione›, damit demonstrieren die Fans ihren Unmut.»
Rodriguez ist erstmals, seit er den FC Zürich im Januar 2012 verlassen hat, zurzeit nicht erste Wahl. Di Domenico: «Damit kann er umgehen. Er hat die nötige Coolness und Erfahrung. Er bleibt fokussiert und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.»
Rodriguez und sein Umfeld sind überzeugt, dass er bald wieder spielen wird. Wenn nicht, werde man mit Milan im Januar zusammensitzen und eine Lösung suchen. Di Domenico: «Ein Spieler wie Rici muss spielen, er gehört
zu den besten Linksverteidigern Europas.»
Die Schweiz muss sich ganz sicher keine Sorgen machen. Rodriguez ist in der Nati eine Bank. Und Trainer Vladimir Petkovic wird nie auf die Idee kommen, Rodriguez draussen zu lassen, nur weil dieser bei Milan gerade hartes Brot essen muss. Bereits 67 Nati-Spiele hat der Linksverteidiger absolviert – und es dürften noch ganz viele hinzukommen. Daran werden ein paar Pfiffe von Milan-Tifosi nichts ändern.