«Fussballer sind keine Maschinen»
Fabian Schär spricht über Nati-Rücktritt

Zwei Monate nach seinem Rücktritt gibt Fabian Schär (32) sein erstes Interview. Wie er seinen älter werdenden Körper pflegt, warum er Messi an der WM 2014 nicht umgehauen hat und ob er noch Nati-Spieler wäre, wenn Murat Yakin bedingungslos auf ihn gesetzt hätte.
Publiziert: 03.11.2024 um 11:50 Uhr
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Aktualisiert: 05.11.2024 um 20:39 Uhr
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Fabian Schär (r.) tritt auf dem Höhepunkt ab. EM-Viertelfinal gegen England mit Superstar Bellingham.
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

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Stefan KreisReporter Fussball

Fabian Schär sitzt im «Gosforth Traders», einem Café im Norden von Newcastle, ganz in der Nähe seines Wohnorts, rund fünf Kilometer vom St James' Park entfernt. Wenige Stunden zuvor hat der Mann aus Wil SG mit den Magpies zu Hause im League Cup gegen Chelsea souverän mit 2:0 gewonnen und eines der legendärsten Stadien Englands zum Beben gebracht. Nun erholt sich der bald 33-Jährige von den Strapazen einer Englischen Woche und nimmt sich Zeit für ein Gespräch mit SonntagsBlick.

SonntagsBlick: Fabian Schär, wo tut es überall weh?
Fabian Schär
(lacht): Meine Erholungszeit ist definitiv länger als noch vor fünf Jahren. Vor allem in Wochen wie diesen, wo wir am Sonntag, am Mittwoch und am Samstag spielen. Jeweils nur zwei Tage dazwischen, das merke ich auch.

Sie begründeten Ihren Nati-Rücktritt damit, dass Sie überdurchschnittlich viel in Ihren Körper investieren müssen und Zeit für Regeneration brauchen. Wie erholen Sie sich in Englischen Wochen? Legen Sie sich in die Eistonne?
Ich investiere schon lange sehr viel in meinen Körper: Ich gehe zur Physio, aufs Velo, mache Dehnübungen, lege mich ins Eiswasser, gehe in die Kältekammer. Alles sehr bewusst und nicht husch, husch, weil ich weiss, wie gut es mir tut. Wir haben auch spezielle Regenerationshosen. Die Möglichkeiten, die uns Newcastle hier bietet, sind top.

Pep Guardiola und andere Grössen kritisieren seit Jahren schon, dass es zu viele Spiele gebe, dass die Zitrone ausgepresst sei. Sind Sie derselben Meinung?
Wir sind international in diesem Jahr nicht dabei und haben darum weniger Spiele. Aber wenn ich Mannschaften wie ManCity sehe, dann ist das schon sehr, sehr viel. Zumal im Sommer auch noch die Klub-WM dazukommt. Das ist extrem streng. Auch mental. Man darf den Menschen hinter dem Fussballer nicht vergessen. Wir sind alles keine Maschinen.

Wie haben Sie die beiden Nati-Pausen im September und im Oktober genutzt?
Wir hatten ein paar Tage frei, um herunterzufahren. Nebenbei haben wir im Klub trainiert, aber das ist ein weniger intensives Programm, als wenn du mit der Nati durch Europa reist. Vor allem mental ist es unglaublich wertvoll, sich frisch zu halten. Aber auch körperlich tuts gut.

Klingt so, als hätten Sie den Rücktritt aus der Nati noch nicht bereut.
Als ich vor dem Spiel gegen Dänemark in St. Gallen war und in die Garderobe ging, wurde ich schon ein wenig wehmütig. Ich habe immer gesagt, dass mir der Entscheid sehr schwergefallen ist. Und das stimmt. Das merke ich nach wie vor. Die Entscheidung war richtig und sinnvoll. Aber weil die Nationalmannschaft so besonders für mich ist, kann ich dieses Gefühl und diese Verbundenheit nicht so einfach ablegen. Aber für die langfristige Zukunft macht es Sinn. Weil ich vielleicht noch ein Jahr länger auf Klub-Ebene spielen kann als geplant.

Wie wars, als Sie im Kybunpark vor knapp 20’000 Fans verabschiedet wurden?
Ich wollte den Moment einfach nur geniessen. Als ich den Entscheid bekannt gegeben habe ein paar Wochen zuvor, war ich emotionaler. Weil ich wusste, dass es jetzt vorbei ist.

Haben Sie die Nations-League-Spiele gegen Dänemark, Spanien und Serbien verfolgt?
Natürlich, ich habe alle Spiele gesehen.

Defensiv sah das ab und an aber gar nicht gut aus. Sie fehlten an allen Ecken und Enden. Hätten Sie sich am liebsten nicht gleich selber eingewechselt?
Es ist noch immer dieselbe Mannschaft wie an der EM. Vieles ist sehr unglücklich gelaufen für die Schweiz. Die ungerechtfertigte Rote Karte im Dänemark. Die Tore, die nicht gegeben wurden. Das summiert sich dann schon. Klar war nicht alles super, aber solche Dinge haben immer Einfluss. Dass es immer ein bisschen braucht, wenn es innerhalb einer Mannschaft Wechsel gibt, ist ebenfalls klar. Aber wir haben sowohl im Tor als auch in der Verteidigung ganz gute Spieler, die uns ersetzen können.

Es hiess, Sie hätten schon während der EM den Entscheid gefasst, zurücktreten zu wollen.
Nein, während der EM habe ich mich zu 100 Prozent auf das Turnier konzentriert. Danach habe ich Zeit gebraucht, um einen solchen Entscheid zu fällen. Und die habe ich mir genommen. Ich bin ein reflektierter Mensch.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihr Debüt gegen Brasilien vor elf Jahren?
Ich wurde zur Pause eingewechselt, was mich sehr überrascht hat. Weil es mein erster Zusammenzug war. Das Spiel ist ein bedeutender Meilenstein in meiner Karriere.

Die wohl bitterste Niederlage ist das Achtelfinal-Aus gegen Argentinien an der WM 2014. Warum haben Sie Lionel Messi vor dem 0:1 nicht einfach umgehauen?
Sowohl Stephan Lichtsteiner als auch ich haben es versucht … leider ohne Erfolg. Es hat einige Zeit gebraucht, um diese Niederlage zu verdauen. Weil wir so nah dran waren und etliche Chancen hatten. Damals war ich aber zehn Jahre jünger und wusste, dass ich noch viele solcher Momente vor mir haben werde.

Insgesamt haben Sie 86 Länderspiele absolviert. Ihr Jugendtrainer Philipp Dux meinte mal, dass er nicht auf Sie gewettet hätte. Verspüren Sie Genugtuung als einer der spielstärksten Verteidiger in die Geschichte des Schweizer Fussballs einzugehen?
Mittlerweile ist mir das egal, was meine früheren Jugendtrainer gedacht haben. Damals ist nicht alles so abgelaufen, wie ich mir das vorgestellt habe, und deshalb war die Genugtuung zu Beginn meiner Karriere, als ich Profi wurde, grösser. Mittlerweile bin ich aber dankbar dafür, dass es so gekommen ist. Weil ich eine normale Lehre absolviert habe, einen normalen Job hatte. Das hat mich weitergebracht.

Sie haben in Ihrer Karriere über 52 Pflichtspieltore erzielt. Als Innenverteidiger. Murat Yakin, auch er im Abwehrzentrum zu Hause, ist auf 60 gekommen. Werden Sie ihn noch überholen?
Es ist kein Ziel, das ich mir setze. Aber die Torgefährlichkeit war schon immer eine gewisse Stärke von mir.

Wären Sie auch aus der Nati zurückgetreten, wenn Murat Yakin während seiner Amtszeit immer bedingungslos auf Sie gesetzt hätte, statt Sie wie in der EM-Quali auf die Bank zu verbannen?
Das ist eine hypothetische Frage. Aber ich glaube, ich wäre so oder so zurückgetreten. Weil ich am gleichen Punkt angelangt wäre. Dass die Zeit, als ich nicht immer gespielt habe, nicht spurlos an mir vorbeigegangen ist, ist klar. Aber bei der EM hat mich Muri ja dann wieder eingesetzt und mir in wichtigen Spielen vertraut. Sodass ich auf dem Höhepunkt, nach einem EM-Viertelfinal gegen England, meinen Rücktritt verkünden konnte.

Wie war die Reaktion Ihrer englischen Teamkollegen nach dem Viertelfinal-Aus? Gabs Sprüche in der Kabine?
Sie haben der Schweiz Respekt gezollt und gesagt, dass wir hätten gewinnen sollen. Sie waren beeindruckt, wie wir gespielt haben. Und dass England im Penaltyschiessen der glücklichere Sieger gewesen sei.

Sie haben in Ihrer Karriere bloss drei Elfmeter verschossen und die restlichen allesamt souverän verwandelt. Woher kommt diese Coolness?
Ich habe solche Situationen immer geil gefunden. Ich wollte da sein, mich nicht verstecken, der Mannschaft helfen, Verantwortung übernehmen.

Im EM-Viertelfinal 2021 gegen Spanien haben Sie verschossen. Haben Sie lange daran geknabbert?
Das war extrem bitter und die Wochen danach waren schwierig. Aber ich hab beschlossen, weiterzumachen. Das gehört zum Fussball dazu.

Das Spiel gegen Chelsea am Mittwoch war Ihr 197. Pflichtspieleinsatz für Newcastle, nur Stéphane Henchoz und Granit Xhaka haben mehr Spiele in der Premier League absolviert. Ihr Vertrag läuft im Juni aus. Haben Sie sich schon Gedanken über Ihre Zukunft gemacht?
Stand jetzt, weiss ich noch nicht, wie es weitergeht. Aber ich habe immer betont, wie wohl ich mich hier in Newcastle fühle. Wenn es weitergeht, würde mich das extrem glücklich machen.

Nebenbei sitzen Sie auch noch im Verwaltungsrat des FC Wil. Was genau sind Ihre Aufgaben?
Ich nehme online regelmässig an den VR-Sitzungen teil, bringe Inputs für den sportlichen Bereich. Bei der Trainersuche zum Beispiel wollten die Verantwortlichen um Präsident Maurice Weber meine Meinung wissen.

Ist es denkbar, dass Sie irgendwann als Spieler zum FC Wil ins Bergholz zurückkehren werden?
Es ist vielleicht noch ein bisschen früh. Und auch beim Kunstrasen weiss ich nicht, wie förderlich der für meinen Körper wäre (lacht).

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