Marcel Koller ganz privat
«Ich sehnte nur noch Morphium herbei!»

Marcel Koller, der Schweizer Trainer des Jahres, über seine Verletzungen, seine Kindheit und zerkratzte Autos.
Publiziert: 17.12.2015 um 13:50 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 03:10 Uhr
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In seiner Biografie gibt Marcel Koller tiefe Einblicke.
Foto: REUTERS
Von Andreas Böni
«Die Kunst des Siegens» heisst die Biografie über Marcel Koller.

In diesen Tagen erscheint die Biografie über Österreichs Nationaltrainer Marcel Koller (55). 300 Seiten mit dem Titel: «Die Kunst des Siegens». BLICK druckt die spannendsten Auszüge aus dem Leben und der Karriere des Mannes, der zum Schweizer Trainer des Jahres gewählt wurde.

Marcel Koller über ...
... seine Kindheit in Schwamendingen, wo er von der Arbeit des Vaters (Gärtner) und der Mutter (Schneiderin) sehr geprägt wurde: «Die Mutter hat für die ganze Umgebung Kleider abgeändert, alles von zu Hause aus. Sie hat Tag und Nacht gearbeitet für beschämend wenig Geld. Für Hosen hat sie vier, fünf Franken verlangt. Das war lächerlich. Als ich dann schon älter war, habe ich einmal zu ihr gesagt: ‹Du kannst schon ein paar Franken mehr verlangen.› Aber das wollte sie nicht. Und es haben natürlich immer alle alles gebracht, weil sie so billig war und weil sie es so gut gemacht hat.» (...)

... über gelernten Anstand: «Und dann natürlich die Rituale des Alltäglichen: dass man sich zur Begrüssung die Hand gibt, dass man jemandem in die Augen schaut, dass man Mass und Mitte lernte, dass man nicht übermässig laut ist. Dass man sich bedankte, wenn die Mutter das Essen auf den Tisch stellte. Der Respekt vor dem Zubereiteten. Dazu gehörte, dass man aufass, was auf den Teller kam. Also alles Dinge, wo man heute das Gefühl hat, die sind in Vergessenheit geraten oder gelten als gestrig oder werden von der heutigen Elterngeneration nicht mehr vermittelt. Weil Erziehung natürlich Arbeit ist und aufreibend und viele Erwachsene diese Arbeit einfach an andere delegieren. An die Lehrer, die Schulen oder eben an einen Trainer.» (...)

... seine vielen Verletzungen und Schmerzen: «Wenn alles gerissen war und sie das Knie unter Wasser gebogen haben. Wenn du auf dem Tisch lagst, und du hast geschrien und versucht, den Oberkörper aufzurichten. Und wie der Kopf dann irgendwann völlig leer war und du keine Energie mehr gehabt hast, diesen Schmerz zu überwinden. Das waren solche Momente, wo man nur noch das Morphium herbeisehnte, um erlöst zu werden. (...) Es war so, dass ich während meiner Karriere bei GC acht Verletzungen hatte, acht Mal operiert werden musste. Netto war ich drei Jahre verletzt.» (...)

... die erste schlimme Verletzung: «Ich war zuvor ein paar Wochen verletzt, hatte Probleme mit der Patellasehne. Kurz vor dem A-Junioren-Finale kam der Trainer und drängte darauf, dass ich zurückkehre. Er sagte: ‹Komm, du kannst uns da ja nicht im Stich lassen! Du musst mit dabei sein!› Ich hatte kein schlechtes Gefühl, fühlte mich fit. (...) Nach dreissig Minuten – ich weiss es noch genau – kriege ich einen Ball vom Innenverteidiger, dreh mich um die eigene Achse und will wegsprinten. Dann gibt es einen Knall, und ich liege am Boden. Ich hab zum Knie geschaut und höllische Schmerzen gehabt. Die Sehne oberhalb der Kniescheibe war weg. Da war ein richtiges Loch. Doktor gab es keinen bei der A-Jugend. Der Trainer hat mich hochgehoben, und der Unterschenkel ist heruntergehangen, als ob er nicht zum Bein gehörte, wie bei einer Puppenfigur. Ich hab geschrien vor Schmerzen. Ein Betreuer von der gegnerischen Mannschaft ist zu Hilfe geeilt und hat gerufen: ‹Wir brauchen eine Schiene!› Einer hat dann zwei Äste vom Baum abgebrochen und ein Klebeband mitgebracht, das war die Schiene. So bin ich mit den Eltern eines Mitspielers, auf dem Rücksitz ihres Autos, vier Stunden zurück nach Zürich gefahren. Tage später wurde ich operiert und fiel sieben Monate lang aus.» (...)

.... seinen Ausraster, als er einst fröhliche St. Galler Spieler unter der Dusche zusammenfaltete: «Eine Niederlage muss einsickern in den Körper und was auslösen, sonst hat sie keinen Wert. Wenn ich als Trainer merke, wir verlieren, und es herrscht schon in der Dusche eine fröhliche Schwerelosigkeit, und ich bin der Einzige, der sich Gedanken über die Niederlage macht, dann kann es passieren, dass akute Explosionsgefahr herrscht. Ich bin in die Dusche und habe sie Länge mal Breite zusammengestaucht. Ich war wirklich fuchsteufelswild. Niederlage als Normalität: Das sei das Letzte. Was das für eine Vorstellung von Professionalität sei. (...) Wenn ich mich recht erinnere, sind wir in diesem Jahr Schweizer Meister geworden.» (...)

... die Zeit in Köln: «Es kam vor, dass aufgebrachte Anhänger nach verlorenen Spielen mit Stahlwolle das Auto zerkratzten. Ein anderes Mal glaubten Fans, dass während eines Heimspiels niemand zu Hause sei. Meine Frau, die nur noch selten ins Stadion ging, beobachtete hinter dem Vorhang, wie ein Vater mit seinen Buben vor dem Haus abbremste und wie eines der beiden Kinder einen Brief in den Postkasten steckte. Wir sollten schleunigst die Stadt verlassen! Meine Frau öffnete die Tür, und die suchten peinlich berührt das Weite.» (...)

... die Verhandlungen mit der Schweiz: «Nein, es war nicht einfach. Und es war auch kein Bluff. Es waren am Anfang sehr viele Emotionen dabei. Pathetisch gesagt: die Heimat natürlich. Die Heimat kommt und klopft. Und die möchten einen verpflichten. Und natürlich, den einen oder anderen Spieler kennst du, und du weisst, sie sind oder waren erfolgreich. In den letzten Jahren waren sie in fünf von sechs Endrunden mit dabei. Es ist mehr Erfahrung da. Weil sie mehr Konstanz haben, weil die Selbstverständlichkeit da ist, erfolgreich zu sein. Auch die Fähigkeit, mit Druck umgehen zu können, das kennen sie schon. Das war hier natürlich nicht so. Auf der anderen Seite spürte ich hier in Österreich: Ich bin noch nicht zufrieden mit dem Erreichten. Ich war mit dem Ausmass der Umsetzung meiner Ideen noch nicht zufrieden. Ich war auch mit mir noch nicht zufrieden, so wie wir gespielt haben. Das heisst, ich hätte hier etwas verlassen, obwohl es noch nicht zu Ende gebracht war. Weil ich gesehen habe: Wir können da hinkommen, dass wir dann so spielen, wie ich mir das vorstelle. Und wenn ich abgebrochen hätte und beim anderen begonnen, dann hätte ich ja wieder bei null angefangen. Ich hatte ja zwei Jahre lang wirklich bei jeder Pressekonferenz gesagt: ‹Ich brauch noch Zeit, ich brauch noch mehr Zeit.›» (...)

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