Noch nie war Fussball so wertvoll wie heute. Milliarden für Fernsehrechte, Millionen für Gehälter und Ablösen, Tickets und Merchandising. Fussball sei der Leitstern unserer Kultur, sagte einmal ein kluger Kopf, wenn Kultur bedeute: was alle wichtig finden, worüber sie reden, wozu sie alles zu wissen glauben.
Gott ist rund, sozusagen. Wo aber zuviel Gottesdienst herrscht, schwillt das Kritische auch. Sommerzeit ist Transferzeit ist Heuchlerzeit. «Die Preise sind ausser Kontrolle», schimpft BVB-Coach Thomas Tuchel. «Da ist kein Bezug mehr zu den Leuten, die ins Stadion kommen.» Die BILD-Zeitung «hakt nach» und geisselt den 50-Mio-Transfer von Jungspund Leroy Sane (19) mit der weltbewegenden
Erkenntnis «es geht nur noch ums Geld». Und der «Tages-Anzeigers» findet den 130-Mio-Transfer von Paul Pogba schlicht «verdorben». Klare, moralinsaure Ansage: Geld essen Fussball auf.
Pharisäer, allesamt. Denn Spitzenfussball ist kein simpler Freizeitspass mehr, wenn er denn je einer war. Fussball ist Big Business, unter grellem Scheinwerferlicht. Die Geldgier, die das Gekicke antreibt, wird allerdings überlagert von angeblichen Traditionen wie «Vereinstreue» oder «Arbeitersport». Diese geistern seltsamerweise in vielen Köpfen weiter, obwohl sie das Säurebad ökonomischer Entwicklung aufgelöst hat.
Eines der verlogensten Phänomene des real existierenden Kapitalismus, das ist Fussball eben auch. So kaufte der «Arbeiterverein» BVB für 100 Mio. neue Kicker – natürlich vor der flammenden Anklage von Coach Tuchel. BILD und Tages-Anzeiger wiederum inszenieren stündlich den Fussballkult und profitieren vom Gottesdienst, so wie alle Medien.
Nicht zu vergessen, wir alle, Sie und ich, die nimmersatten Aficionados, die jeden Grottenkick mitverfolgen, irre Ticketpreise zahlen, dem Sohn das neueste Bayern-Trikot posten – und damit das Millardengeschäft überhaupt erst anheizen. Wären wir märchenhaft reich und Besitzer, sagen wir von ManU, wir würden mit links 120 Mio. für ein «Dalì-Werk» (Pogbas Spielerberater über sein bestes Pferdchen) ausgeben. Und wären wir einer der Umworbenen, wir würden für 300'000 die Woche jeden ManU-Vertrag unterschreiben, aber sicher doch.
Womit die Moralkeule entsorgt wäre. Aufgewacht, 11 Freunde! Spitzenfussball riecht nicht mehr nach Männer-Schweiss, sondern nach Armani, Gucci, Prada. Er ist ein Luxusprodukt, dessen gesellschaftlicher Wert sich in den Preisen für Spieler spiegelt. Diese sind aber, das übersehen die Siegelbewahrer des Fussballs, bei weitem nicht ausgereizt.
Auch wenn Ihnen jetzt grad die Haare ausfallen, liebe Leser: Fussballer verdienen zuwenig. Genau: Z-U-W-E-N-I-G! Sie sind die Helden unserer Zeit, ihretwegen hängen wir vor der Glotze, ihretwegen boomt das Geschäft. Ihre Karrieren sind steil, kurz und risikoreich. Gleichwohl kassieren sie weniger als Stars im US-Sport, in der Unterhaltungsindustrie und in der Wirtschaft.
Unfassbar, aber wahr: Spitzenfussball hat noch unausgeschöpftes kommerzielles Potential, les jeux ne sont pas faits. Selbst die derzeit ausgelobten Summen spiegeln die ökonomische Realität nicht, noch nicht. Todsichere Prognose: Die Preise steigen ins Unvorstellbare, sobald der entfesselte Kick eine Milliarde Amerikaner, Chinesen und Inder entzückt. Dann hat er den Erdball ganz erobert – und bis zum Untergang unseres Wirtschaftssystems ausgesorgt.
And the winner are? Firmen und Mäzene, Spieler und Klubs, Medien und Fans – und Trainer wie Tuchel. Mensch vergöttert die mächtigste Traumfabrik unserer Epoche. Denn Fussball verheisst Magie, Emotion, Rausch, Triumph. Und märchenhaften Reichtum.
Darin liegt die Zauberkraft dieses Sports, dem selbst Globalisierungsverlierer erliegen. Statt über das vermeintlich obszöne Fussballbusiness zu schimpfen, träumen sie von Pogba, Higuain, Sane (vielleicht auch von Xhaka). Lasst uns ein wenig mitträumen.