Vielleicht kennen Sie den Spruch «Hast du noch Sex oder fährst du schon Porsche?» Kleingeratene treten gerne grossspurig auf, um gefühlte Defizite zu kompensieren. Für manche ein Vorurteil, für andere eine zwischenmenschliche Erfahrung.
Auch Staaten leiden am Mini-Syndrom, das Emirat Katar illustriert dies anschaulich. Jeder der rund 250'000 Einheimischen, Nachfahren von Beduinen und Perlenfischern, verdient rund 125'000 Dollar im Jahr, ein Weltrekord, der unserer Gier nach fossilen Brennstoffen geschuldet ist.
Abgesehen davon ist Katar ein höllisch heisser Wüstensprengel, bloss doppelt so gross wie der Kanton Bern. Unermesslich reich und doch winzig und prestigebedürftig, ein Gemengelage, das Sehnsucht nach Anerkennung und Grösse weckt.
«Katar will überall ganz vorne mitspielen»
Katars Herrscher, Scheich Tamim bin Hamad al Thani (38), gleicht einem Sonnenkönig, anders als seine europäischen Vorbilder zeigt er jedoch strategischen Weitblick.
Im 40-seitigen Entwicklungsplan «National Vision 2030» verrät er, wie sein Emirat sich die Zukunft ohne Rohstoffexport vorstellt. Der Staatsfonds Qatar Investment Authority (QIA) hat global geschätzte 300 Milliarden Dollar in Immobilien, Ländereien und Unternehmen investiert, in der Schweiz hält er Beteiligungen an der Credit Suisse, Glencore und an Luxushotels wie auf dem Bürgenstock. Milliarden fliessen auch in Projekte, deren Return of Invest weniger handfest ist – in Wissenschaft und Bildung, Kultur und Sport.
«Sport, Wirtschaft oder internationale Beziehungen – Katar will überall ganz vorne mitspielen», sagt Mehran Kamrava, Professor für internationale Beziehungen in Doha. Im Sport verfolgt das Emirat einen Masterplan, finanziert von Qatar Sports Investment, einem Ableger des Staatsfonds QIA, und geführt von Nasser al-Khelaifi (45), dem Boss von Paris St. Germain.
Nie zuvor machte ein Land binnen weniger Jahre solch kolossale Summen locker mit dem Ziel, zum Global Player aufzusteigen und seine Hauptstadt zur Sportmetropole aufzuwerten. Sport als strategisches Mittel gegen das Mini-Syndrom.
Anerkennung und Image sind alles
Auf den ersten Blick ein kluges Entwicklungsmodell für den Wüstenstaat, auf den zweiten ein Hochseilakt. Das Emirat beherbergt die grösste US-Militärbasis im Nahen Osten, unterhält den modernen arabischen Nachrichtensender «Al Dschasira» und empfängt israelische Politiker.
Gleichzeitig gewährt es Muslimbrüdern und Hamas-Kämpfern Unterschlupf, finanziert mutmasslich Islamisten und unterhält diplomatische Kontakte zum schiitischen Gottesstaat Iran, ein Sakrileg für Katars Nachbarn, die sunnitischen Grossmächte Ägypten und Saudiarabien.
Im Juni 2017 verloren Saudiarabien, Bahrain, Abu Dhabi, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten die Geduld. Katar unterstütze den Terrorismus, lautete der Vorwurf, den selbst die Saudis vorzubringen wagten. Alle diplomatischen Kontakte wurden abgebrochen, die Grenzen zu Land, See und Luft geschlossen und Katars Canossa-Gang gefordert. Seither herrscht kalter Krieg am Golf.
Umso heftiger greift Katar zur Soft Power – zum Leitstern unserer Zeit, dem Sport. Vom Bau der Aspire-Anlage in Doha über den Erwerb und das Sponsoring von Klubs, die Gründung des globalen Sportsenders «BeIN» bis zur Organisation von Grossanlässen – Sport dient dem Gernegross als globale Litfasssäule. Anerkennung und Image sind alles, Kosten und Erträge, Zuschauer und Sporttradition nebensächlich.
Seit Scheich Tamim 2002 ins Internationale Olympische Komitee einzog, sammelt er Weltmeisterschaften – im Handball (2015), Radfahren (2016), Turnen (2018), in der Leichtathletik (2019) und im Fussball (2022). Er finanziert, was sich finanzieren lässt, mit allen Mitteln. Berüchtigt ist die Vergabe der Fussball-WM 2022.
Den Verdacht, die Fifa-Granden bestochen zu haben, konnte das Emirat nie ausräumen. Der frühere DFB-Boss Theo Zwanziger erstritt gar vor Gericht, Katar als «Krebsübel des Fussballs» bezeichnen zu dürfen. Beweise fehlen zwar, die Indizien für kriminelles Gebaren aber verdichten sich, wie die jüngsten «Spiegel»-Enthüllungen zeigen.
Katar rekrutiert in der Dritten Welt
Einsatz ohne Limits, das gilt auch für das Monument der katarischen Sehnsucht – das Sportzentrum Aspire Zone in Doha. Von aussen wirkt Aspire (zu deutsch aufstreben) wie ein gigantisches blaues Ufo. Innen scheint es, als habe Scheich Donald Duck turnbehost die Spendierlaune gepackt. Zwei Fussball-Stadien, zwölf Fussballplätze, der gewaltige Hallen-Komplex Aspire Dome, der 300 Meter hohe Aspire Tower und eine venezianische Shopping Mall. Wüster Gigantismus, faszinierend und bedrohlich zugleich.
Für wen das Gute? Nicht für die Working Class, zwei Millionen ausgebeutete Wanderarbeiter aus Indien, Nepal und Pakistan. Auch nicht für die 250'000 Katarer, sie meiden Sport. Kollateralschäden wie Übergewicht sind weit verbreitet. Zu Fuss gehen stolze Scheichs ungern, zu heiss, zu anstrengend, zu rückständig.
Ihre wenigen Talente, etwa Hochsprung-Weltmeister Mutaz Barshim (27), fördern sie in der Aspire Academy. Lieber aber posten sie Söldner – Gewichtheber, Leichtathleten, Handballer. Oder suchen den künftigen Fussballstar.
Im Rahmen des Exzellenzprogramms «Aspire Football Dreams» sichten ungezählte Scouts jährlich zigtausend Jugendliche in der Dritten Welt. 20 von ihnen kommen in den Recall, erhalten ein Stipendium und werden in Akademien im Senegal und in Doha ausgebildet. Später werden sie in eigens aufgekauften Klubs an den Profifussball herangeführt – beim spanischen Drittligisten Leonesa und beim belgischen Erstligisten KAS Eupen. An der WM 2022 sollen sie für Katar auflaufen.
Neymar und Mbappé als PR-Glanzstück
Seit geraumer Zeit stören allerdings Sandkörner, ja Sandstürme das sportliche Grossmachtstreben. Eine Olympia-Bewerbung Katars scheiterte. Das Heer von Arbeitssklaven und deren Arbeitsbedingungen beschädigten das sorgfältig gezimmerte Image der Sportförderer. Und die Konflikte mit den Nachbarn dräuen wie tiefschwarze Wolken am Wüstenhimmel.
Dagegen kämpfte Katar zuletzt mit dem Kauf der Posterboys Neymar und Mbappé, ein PR-Glanzstück mit der Botschaft: Seht her, ihr Erdenbürger, wir Katarer beugen uns nicht! Wir kaufen halb Paris und die populärsten Beine im Weltsport.
Rasch aber erlosch der Glanz des Investments – die Schweizer Bundesanwaltschaft ermittelt gegen PSG-Boss al-Khelaifi wegen Bestechung. Und diese Woche enthüllte der «Spiegel», wie kunstvoll die Scheichs – in enger Ballführung mit der Fifa – bei der Finanzierung von Transfers dribbeln.
Fraglich, ob und wie lange Katar seinen Rang als Global Player im Weltsport behauptet. Mächtige Rivalen wie Saudiarabien spielen bereits unheildrohend mit. Bis jetzt begeistert der Kaufrausch des Mini-Staats von Nichtsportlern allenfalls geldgeile Funktionäre. Anderswo weckt er Argwohn und Widerstand. Brutal, aber wahr: Der kleine Gernegross, es ist ein hartes Los, so furchtbar gerne gross, und doch immer klein zu sein.