Endrunde, Penaltyschiessen, Niederlage – so simpel lässt sich das seit Jahrzehnten miserable Abschneiden der englischen A-Nationalmannschaft zusammenfassen. Sieben Mal mussten die Three Lions bei grossen Turnieren ins Elfmeterschiessen, sechs Mal verloren sie. Der letzte und einzige Titel der Erfinder-Nation des Fussballs liegt über 50 Jahre zurück.
Noch im Mai dieses Jahres scheint der «Versager-Fluch» auch auf den Junioren zu haften. Im Final der U17-EM unterliegen die Sprösslinge der englischen Fussballschule denjenigen der spanischen Talentschmiede – im Elfmeterschiessen.
Doch das Blatt hat sich gewendet. Seit diesem Sommer sahnen die Nachwuchsteams Englands Titel um Titel ab: Die U20 wird Weltmeister, die U19 Europameister und vor wenigen Tagen schnappt sich auch die U17 den WM-Titel – gegen Spanien im Endspiel.
«England gehört mit zu den WM-Favoriten»
«Die jungen Engländer haben jetzt die Erfahrung des Siegens», sagt Manchester-City-Coach Pep Guardiola unlängst. Damit hat er wahrlich nicht unrecht: Von den letzten 34 offiziellen Spielen haben die U-Teams der Three Lions gerade mal deren zwei verloren – den U19-WM-Final und den U21-EM-Halbfinal (beide Male nach Penaltyschiessen).
Einige Fussballgrössen prophezeien deshalb jetzt auch dem A-Team Englands eine grosse Zukunft. «Wenn sie es einmal schaffen, als starke Mannschaft aufzutreten, gehören sie mit zu den WM-Favoriten», so Deutschland-Trainer Joachim Löw nach dem U17-WM-Titel im «Sportstudio» des ZDF. Ähnlich euphorisch gibt sich Chelsea-Coach Alberto Conte: «Ich bin sicher, dass die A-Nationalmannschaft künftig sehr hart zu schlagen sein wird», sagt der Ex-Italien-Trainer dem «Guardian».
Conte, Guardiola und Co. sind als Premier-League-Coaches allerdings nicht nur Beobachter der Nationalelf, sondern haben grossen Einfluss auf deren Entwicklung. Denn: Viele der aufstrebenden Juniorenwelt- und Europameistern werden in den Jugendakademien der englischen Topklubs ausgebildet.
70'000 Franken monatlich mit 18 Jahren
Dort pumpen Investoren nicht nur Riesensummen ins A-Kader, sondern auch in die Jugendteams. Ex-Liverpool-Spieler Stéphane Henchoz erzählte der Zeitung «Le Temps» vor zwei Jahren, dass U18-Spieler auf der Insel bis zu 400'000 Franken im Jahr verdienten, oftmals ohne dabei ein einziges Mal in der U21, geschweige denn im A-Team aufgelaufen zu sein.
Ein aktuelles Beispiel ist der 18-jährige Edward Nketiah vom FC Arsenal: Kürzlich unterschreibt er einen Vertrag, der ihm 70'000.– pro Monat einbringt. Ein stolzes Gehalt für einen U19-Kicker ohne Einsatzminute in der Premier-League. Einzig im Cup kommt das Riesentalent mehrere Minuten als Joker zum Zug – und trifft prompt doppelt.
Klar ist: Nur mit Einsatzzeit in der ersten Mannschaft können sich die Nachwuchshelden zu Nationalteam-Stars entwickeln und die Three Lions später zum lang ersehnten Titel führen. Doch neben Weltstars wie De Bruyne, Lukaku, Coutinho und Co. ist offensichtlich nicht viel Platz für einheimische Spieler – geschweige denn Junge.
Schwerer Stand in der Premier League
Am Wochenende des Finalsiegs der U17 stehen in der Premier League 198 Stammspieler auf dem Platz. Davon fürs Nationalteam aufbieten, könnte Gareth Southgate gerade mal deren 66: also jeden Dritten. Zum Vergleich: In der spanischen Liga kicken am gleichen Spieltag 121 potentielle Nationalspieler der Furia Roja in den Stammformationen der 20 Teams: sprich 55 Prozent.
Die Premier League ist längst zur NBA des Fussballs geworden – ein Sammelbecken der internationalen Weltstars. Ein komplettes englisches Weltklasse-Team taucht darin aber nicht auf. Zwar treten auch in den letzten Jahren immer wieder Top-Stars wie Harry Kane (24), Raheem Sterling (22) oder Dele Alli (21) auf die Bühne der ganz Grossen, zu einer weltmeisterlichen Stammelf reichts aber nicht.
Die Stars von Morgen heissen Phil Foden (ManCity, bester Spieler U17-WM), Joel Latibeaudiere (ManCity, Kapitän U17) oder Rhian Brewster (Hattrick-Schütze im U17-WM-Halbfinal, Liverpool). Sie spielen mit 17 Jahren alle bereits in den U23-Reserveteams der Weltklubs. Ihre Zukunft liegt zu einem grossen Teil in den Händen von Guardiola, Klopp und Co. – diejenige der Three Lions damit indirekt auch.