Blick-Fotograf Toto Marti hat in seiner 30-jährigen Karriere schon unzählige Fotos geschossen, die am Ende nicht erschienen sind. Jenes von Ex-Red-Bull-Spieler Christian Schwegler zum Beispiel. Der schmiss sich einst bei einem Besuch in der Mozart-Stadt in ein Kostüm des berühmten Komponisten, dann aber bekam Bruder Pirmin Wind von der Sache und blies die ganze Aktion in letzter Sekunde ab.
Auch das legendäre Luxemburgerli-Bild von Gökhan Inler aus dem Jahre 2008 wäre um ein Haar nie erschienen. «Marco von Ah, der damalige Medienchef der Schweizer Nati, wollte die Veröffentlichung am Abend noch verhindern», erinnert sich Marti. Wohl, weil der Medienprofi ahnte, was dem SFV und Inler blühen würde, falls die WM-Quali-Nummer gegen Luxemburg in die Hosen gehen sollte.
Am Ende aber bleiben von Ahs Bemühungen ohne Erfolg, der Artikel wird gedruckt. Zum guten Glück. Weil die Story auch 17 Jahre später noch grossartig ist. Und man die Geschichte vor dem am Dienstag stattfindenden Duell der Nati gegen Luxemburg mal wieder aus der Schublade ziehen kann.
Foto schaffts in die «Tagesschau»
Am 10. September 2008 erscheint im Blick jenes Foto, das weit über die Landesgrenzen hinaus Kultstatus erreichen wird. Sogar die deutsche «Tagesschau» berichtet darüber, wie Nati-Captain Gökhan Inler sich lässig eine Handvoll Sprüngli-Delikatessen in Richtung Mund schiebt. Zwar sagt der damalige Udinese-Söldner im Artikel, dass «diese Luxemburger keine Zwerge» seien und dass es «immer wieder Überraschungen» im Fussball gebe. Dran glauben aber tut er nicht. Weil das Foto mehr sagt als tausend Fussballer-Floskeln.
«Als ich das Foto geschossen habe, habe ich keine Sekunde daran gedacht, was dieses Bild hinterher auslösen könnte», sagt Marti. Es sei klar gewesen, dass die Schweiz gewinne. Zwischen 1995 und 2007 warten die Luxemburger zwölf Jahre lang auf einen Sieg in einem Quali-Spiel. Gegen einen wirklich namhaften Gegner hatten die Amateur-Kicker 1964 zum letzten Mal gewonnen. Die Frage sei vor dem Spiel gegen die Schweiz deshalb nur gewesen, wie hoch die Schweiz gewinnen werde, so Marti.
Was dann folgt, geht als eine der grössten Blamagen in die Geschichte des Schweizer Fussballs ein. Im zweiten Spiel unter Neo-Nati-Coach Ottmar Hitzfeld beginnt die Schweiz nervös, bringt im heimischen Letzigrund kein Bein vors andere, kriegt nach 28 Minuten ein erstes Mal die Quittung für den uninspirierten Auftritt. Luxemburg-Captain Jeff Strasser, einer der wenigen Profis im Kader des krassen Aussenseiters, fasst sich ein Herz und zirkelt den Ball per Freistoss an der Mauer und am verdutzten Diego Benaglio vorbei ins Netz. Zwar gleicht die Schweiz durch einen Kopfballtreffer durch Blaise Nkufo zwischenzeitlich aus, am Ende aber verliert die Nati nach sackschwacher Leistung mit 1:2. Über 20'000 Zuschauer sind fassungslos, so hat sich Welttrainer Hitzfeld sein erstes Heimspiel als Nati-Coach nicht vorgestellt.
Per Freistosstrick düpiert
Quasi als Kirsche auf der Torte fällt der Siegtreffer durch einen frechen Freistosstrick der Luxemburger. Als hätte die Schweiz den Auftritt nicht auch so komplett verschlafen, pennt die gesamte Abwehr in der 82. Minute erneut und lässt einen gewissen Alphonse Leweck, auch «Fons» genannt, an der Mauer vorbei losrennen. Völlig frei stehend lässt sich der Spieler von Jeunesse Esch nicht zweimal bitten und wird in der Heimat zur Fussballlegende. Das luxemburgische «Tageblatt» schreibt einen Tag später: «Viele Tore hatten die Schweizer Medien gefordert. Bitte schön, man hilft, wo man kann.»
Blick schreibt von einer «Jahrhundert-Pleite», auch Hitzfeld spricht Klartext: «Wir haben uns bis auf die Knochen blamiert. Wir sind das Gespött der Nation.» Von «einem der härtesten Nackenschläge meiner Karriere», spricht der Welttrainer. Seine Spieler erschienen nach dem Debakel wie doppelt begossene Pudel in der Medienzone des Letzigrunds. Während die Nati-Verlierer Durchhalteparolen absonderten, zelebrierten die Fussball-Zwerge im Hintergrund ihren Jahrhundert-Coup mit euphorischem Gesang und kollektiver Polonaise – inklusive eines Bierlieferanten im Schlepptau.
Hitzfeld lernt aus der Pleite
Jahre später wird Hitzfeld in einem Redaktionsgespräch mit der «Basler Zeitung» erzählen, dass es die Pleite gegen Luxemburg gebraucht habe. Hitzfeld habe anhand dieses Spiels für sich festgestellt, dass er strenger werden müsse. Die Spieler seien nach «Köbi National» alle total locker in die Nati eingerückt. Und Hitzfeld dachte sich: «Na ja, das ist zwar nicht mein Stil, aber die hatten zuletzt auf diese Weise ja Erfolg.» Nach der Luxemburg-Schmach hat der langjährige Erfolgscoach des FC Bayern München die Zügel dann angezogen.
Mit Erfolg. Angeführt vom überragenden Stürmerduo Nkufo/Frei gewinnt die Nati die nächsten fünf Gruppenspiele und qualifiziert sich für die WM in Südafrika. Dort schlagen die Schweizer im ersten Gruppenspiel den amtierenden Europameister und späteren Weltmeister Spanien. Damals einer der Besten auf dem Platz: Gökhan Inler, der sich knapp zwei Jahre zuvor mit seiner Luxemburgerli-Aktion unsterblich machte.
Über das Foto hat der langjährige Nati-Captain in der Folge nicht mehr gross gesprochen. Dabei hätte er endlich mal öffentlich sagen können, wie es wirklich war. Weil: Verputzt hat er die Dinger nie, wie Marti verrät: «Wir haben ihm angeboten, dass er die Luxemburgerli nach dem Fotoshooting behalten darf, aber er hat abgelehnt, weil sie so viel Zucker enthalten.»