Wer Simon Ollert (20) in seinem Zuhause im oberbayerischen Saulgrub besucht, der merkt schnell, dass der Fussball sein Leben ist. Ein Fan-Schal vom Spiel zwischen Liverpool und ManCity sticht einem sofort ins Auge. «Am letzten Silvester war ich an der Anfield Road», schwärmt Ollert, «es war unglaublich!» Unglaublich ist auch seine eigene Karriere.
BLICK: Simon Ollert, Sie tragen bei diesem Gespräch Hörgeräte. Könnten wir auch ohne miteinander reden?
Simon Ollert: Ja, ich würde aber wahrscheinlich lauter reden, da ich mich dann ja selber nicht hören würde. Und ich würde Ihnen von den Lippen ablesen.
Was hören Sie ohne technische Hilfsmittel?
Erst ab 100 Dezibel höre ich etwas. Würde jetzt zum Beispiel ein Düsenjet vorbei fliegen, würde ich ein bisschen was wahrnehmen. Mit meinen Spezial-Hörgeräten höre ich etwa 60 bis 70 Prozent.
Sie sind seit Geburt gehörlos. Wann merkten das Ihre Eltern?
Meine Mutter wurde schon früh misstrauisch. Wenn ein Feuerwehrauto mit eingeschalteter Sirene vorbeifuhr, schlief ich einfach weiter. Als ich etwa eineinhalb Jahre alt war, legte man mir das Hörgerät meiner Oma ans Ohr. Ab diesem Moment wollte ich das nicht mehr hergeben und meinen Eltern war klar, dass ich gehörlos bin.
Wer heute mit Ihnen redet, merkt das kaum.
Meine Mutter hat schon früh jeden Tag mit mir geübt und mir viele Bücher vorgelesen. Deshalb kann ich heute hochdeutsch und bayerisch reden. Und das eben auch ohne Hörgeräte.
War es in Ihrer Kindheit manchmal auch ein Vorteil, nichts zu hören?
Ja, bei starken Gewittern war die ganze Familie jeweils wach, ich konnte aber prima schlafen. Oder wenn die Eltern, Geschwister oder Lehrer mit mir geschimpft haben, habe ich einfach die Hörgeräte ausgemacht.
Sprechen wir über Fussball. Ex Bayern-Star Christian Nerlinger hat einst über Sie gesagt: «Dadurch, dass er weniger hört, sieht er mehr.» Sehen Sie das auch so?
Ja, Fussball hat wenig mit hören zu tun, eher mit spüren. Zudem höre ich mit den Augen.
Sie spielen meistens mit den Hörgeräten. Ist das nicht gefährlich?
Nein, nur wenn ich einen Ellbogenschlag bekomme, kann es weh tun. Gelegentlich fällt mir ein Hörgerät einfach raus. Dann muss ich es halt im Gras suchen. Das kann auch schwierig sein, wenn das Gras hoch ist (lacht).
Bei Regen müssen Sie aber auf die Hörgeräte verzichten.
Das stimmt, es ist aber manchmal auch schön, wenn man nichts hört. So kann man sich nur auf den Ball konzentrieren und den Rest völlig ausblenden.
Wie verständigen Sie sich auf dem Platz mit den Mitspielern?
Selbst mit Hörgeräten höre ich bei intensiven Spielen mit vielen Zuschauern nicht viel. Deshalb muss ich mich auf meine Intuition verlassen. Das ist auch genau meine Stärke. Ich spüre, wo der Verteidiger ist. Oder ich informiere mich schon vorher mit den Augen, wo er steht.
Hören Sie den Trainer, wenn er reinschreit?
Nein, und das ist manchmal auch schön (lacht). Ich mag eh Trainer, die einen kurz zur Seitenlinie holen und einem dann etwas persönlich erklären.
Gibt es gelegentlich Probleme mit dem Schiedsrichter?
Es gab Zeiten, da erhielt ich Gelbe Karten, da ich nach einem Offside-Pfiff einfach weiterspielte und ein Tor schoss. Mittlerweile gehe ich vor dem Spiel immer zum Schiedsrichter und informiere ihn. Aber ja, ich habe in meiner Karriere schon viele Tore erzielt, die nicht gezählt haben.
Hören Sie die Fans jubeln?
Wenn ich ein Tor schiesse, höre ich den Jubel nicht. Ausser er ist sehr laut. Auch das hat Vorteile. Die Fans können mich beschimpfen, ich hörs ja nicht. Ich kann mich zum Beispiel an ein Spiel mit Unterhaching gegen Dresden erinnern. Ich wurde offenbar schon beim Einspielen von den gegnerischen Fans beschimpft, doch ich habe nichts mitbekommen.
Wurden Sie wegen Ihrer Einschränkung auf dem Platz auch schon mal gehänselt?
Als ich mit der A-Jugend von Unterhaching mal gegen eine Herrenmannschaft gespielt habe, wurde ich beleidigt. Einer fragte mich, warum ich nicht im Behindertensport mitspiele? Das hat mich damals sehr berührt. Und der Trainer musste mich vom Platz holen, da ich kurz vor einer Roten Karte stand. Ich habe aber aus dieser Szene viel gelernt und stehe mittlerweile drüber.
Sie spielten diesen Herbst beim FC Memmingen in der Regionalliga Bayern. Hätten Sie es ohne Einschränkung weiter nach oben geschafft?
Ich sehe es sogar andersrum. Ich habe es dank meiner Schwerhörigkeit so weit geschafft. Ich musste dadurch viel härter an mir arbeiten und meine Sinne schärfen. Das hilft mir noch heute.
Sie sind jetzt 20. Was ist für Sie im Fussball noch möglich?
Vieles. Die Bundesliga ist realistisch für mich. Da ich erst mit 16 zu einem professionellen Klub kam, fehlen mir im Vergleich zu anderen Spielern drei, vier Jahre. Deshalb glaube ich an eine Profi-Karriere. Ich könnte mir übrigens auch gut vorstellen, in der Schweiz zu spielen. Ihr habt eine gute Liga.
2014 bestritt Simon Ollert als 17-Jähriger sein erstes Profispiel: in der 3. Liga für Unterhaching. In diesem Sommer wechselte er zum FC Memmingen. Da er beim Regionalligisten kaum zum Spielen kam, löste er im Dezember den Vertrag auf. Jetzt ist er auf Klubsuche. Ollert absolviert neben seiner Karriere ein Fernstudium, «als zweites Standbein».
2014 bestritt Simon Ollert als 17-Jähriger sein erstes Profispiel: in der 3. Liga für Unterhaching. In diesem Sommer wechselte er zum FC Memmingen. Da er beim Regionalligisten kaum zum Spielen kam, löste er im Dezember den Vertrag auf. Jetzt ist er auf Klubsuche. Ollert absolviert neben seiner Karriere ein Fernstudium, «als zweites Standbein».