Wo sind die kreischenden Teenager? Als Cristiano Ronaldo am vergangenen Montagabend im Luxusressort Miragem in Lissabon eintrifft, stehen gerade mal eine Handvoll Schaulustiger vor dem Hotel. Cristiano lächelt kurz durch die Drehtür. Daumen hoch.
Am nächsten Tag beim Training der Nationalmannschaft dasselbe Bild: Kaum jemand verirrt sich zur Cidade do Futebol, dem Trainingsgelände ausserhalb der Hauptstadt.
Gesprächsthema unter den Kiebitzen: Die Krise von Benfica und ob es Sporting in diesem Jahr schafft, Meister zu werden. Cristiano Ronaldo? Das Spiel gegen die Schweiz? Interessieren nur am Rand. «A Bola», die grösste Sportzeitung des Landes berichtet erst auf Seite 7 über die Nationalmannschaft.
Nicht dass den Portugiesen das Nationalteam gleichgültig wäre. Aber für die Fans kommen zuerst Benfica und Sporting, dann Porto – und dann erst mal ganz lange nichts mehr.
«Was hat Ronaldo für uns getan?»
Cristiano? «Natürlich sind wir stolz auf ihn», sagt TV-Reporter Antonio Silva, der an diesem Morgen beim Training der Nationalmannschaft ist: «Aber er ist nicht greifbar für uns.»
Ronaldo hatte das Land verlassen als er 17 war. Bei Sporting absolvierte er leidglich 25 Spiele.
Cristiano mag ein globaler Superstar sein, in Portugal wird er nach wie vor argwöhnisch beobachtet. Als der Flughafen in seiner Heimat Madeira nach ihm benannt wurde, gab es Widerstand aus der Bevölkerung. «Was hat er für uns getan?», meckerte ein Abgeordneter der Arbeiterpartei, «er ist hier weggegangen, als er noch ein Kind war.»
Mit elf verliess Cristiano das Elternhaus und ging nach Lissabon in die Nachwuchsakademie von Sporting. Es war ein steiniger Weg für den Jungen mit dem merkwürdigen Inseldialekt. «Ich wurde gehänselt, weil mich die anderen Kinder nicht verstanden», schreibt Cristiano in seiner Biographie.
Die Kinder nannten ihn «Heulsuse», weil er nicht verlieren konnte, und weil er jeden Abend aufgelöst war, nachdem er mit seiner Mutter telefoniert hatte. Mama Dolores ist immer noch seine wichtigste Bezugsperson, obwohl sie den Nachzügler eigentlich hatte abtreiben wollen, weil es durch das Hausdach regnete, der Vater Alkoholiker war, und die Familie eigentlich kein weiteres Kind durchfüttern konnte.
Im Internat in Lissabon waren die unbeschwerten Nachmittage weit weg, an denen Ronaldo mit seinen Freunden in Madeira Fussball spielte, bis es dunkel wurde. Seine Technik habe er sich in dieser Zeit angeeignet: «Die Bälle versprangen auf der Strasse. Und Senhor Agostinho drohte, er würde den Ball aufschlitzen, wenn wir ihn wieder einmal in seinen Garten gekickt hatten. Ich musste um mein Leben rennen, um den Ball zu holen.»
Die Nachwuchstrainer von Sporting beäugten ihn ebenfalls kritisch. «Zu leicht, zu schmächtig», beschied ihm einer der Trainer.
Suppe für die Muskeln
Ronaldo war kurz davor alles hinzuschmeissen. Wäre nicht die Mutter gewesen, die zu ihm sagte: «Du hast nur diese eine Chance – pack sie!»
Cristiano erinnert sich: «Ich fing an, zwei statt einen Teller Suppe zu essen. Ich bin abends aus dem Internat ausgebüxt, um alleine weiter zu trainieren.»
Mit der Pubertät kamen die Muskeln. Cristiano schoss in die Höhe. Mit 17 debutierte er bei den Profis, ein Jahr später verpflichtete ihn Manchester United. Eigentlich hätte er lediglich einen Vorvertrag unterschreiben und weiter für Sporting spielen sollen. Doch der damalige Trainer Alex Ferguson nahm ihn zur Seite, nachdem er ihm das Klubgelände in Manchester gezeigt hatte: «Ich will dich sofort haben.»
Ronaldo und Manchester, das war zunächst eine schwierige Beziehung. Die Menschen dort sehen lieber eine schwungvolle Grätsche als einen doppelten Übersteiger. Und wenn Cristiano nach einem Zweikampf zu lange liegenblieb, wurde er von den gegnerischen Fans als «Schwuchtel» verhöhnt
Da passt die Glitzerwelt von Real Madrid, wo er seit 2009 spielt, schon deutlich besser zu einem wie ihm, der in der Halbzeitpause auch gerne mal ein sauberes Trikot anzieht oder sich während des Spiels mit Hilfe des Videowürfels die Frisur richtet.
Ronaldo, harte Arbeiter
Bei all diesen Extravaganzen darf nicht vergessen gehen, mit wie viel Ehrgeiz Cristiano seit Jahren bei der Sache ist. Pepe, sein Landsmann und ehemaliger Teamkollege bei Real Madrid, sagt: «Ich kenne Keinen, der härter trainiert als Cristiano. Er ist am Vormittag der Erste auf dem Platz und am Nachmittag, wenn alle schon unter der Dusche stehen, übt er immer noch Freistösse.»
Zuhause hat Cristiano ein Fitnessstudio eingerichtet, wo er seinen Rumpf trainiert. Wenn Neymar oder Rooney abends durch die Nachtklubs ziehen, sitzt er zuhause mit seinem Sohn Cristiano Jr. und schaut sich einen Disney-Film an.
Nie in seinem Leben hat er eine Zigarette geraucht, nie einen Schluck Alkohol getrunken. Was vielleicht auch daran liegt, dass sein Vater Dinis, den er als seinen grössten Förderer bezeichnet, mit 51 Jahren an seiner Alkoholsucht starb.
Am wohlsten, sagt Cristiano, fühle er sich im Kreise der Nationalmannschaft. Trotz aller Anfeindungen aus der Heimat. «Weil es eine Ehre ist, für dieses Land, das ich liebe, zu spielen. Weil wir alle dieselbe Sprache sprechen. Und weil ich mit Portugal Weltmeister werden will.»
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