Es ist auch Gelb. Weshalb dasjenige Shirt mit der Nummer zwei und dem Schriftzug Escobar auf dem Rücken und dem Wappen des kolumbianischen Fussballverbands auf der Brust völlig unscheinbar verschwindet zwischen all den YB-Shirts. Doch keines hat eine so grosse Geschichte zu erzählen wie dieses Shirt. Keines eine derart blutige.
Getragen hat es nämlich Andres Escobar, der 1990 neun Spiele für YB gemacht hat, im WM-Spiel 1994 in den USA gegen die Schweiz. Nach dem für die Südamerikaner nutzlosen 2:0-Sieg fragt Fredy Häner, der legendäre Physio der Nati und von YB, den Kolumbianer, ob er es haben könne. Für die Freunde in Bern. Sechs Tage später ist Escobar tot!
Stéphane Chapuisat, damals direkter Gegenspieler von Escobar, erinnert sich: «Als wir das hörten, standen wir regelrecht unter Schock. Unglaublich, dass so etwas möglich ist.»
Was war es, das Chappi derart schockierte? Die Story geht so:
Im Spiel gegen die USA unterläuft Escobar ein Eigentor. Ein Dutzend-Eigentor, wie es immer vorkommt. Flanke. Der Verteidiger grätscht rein, erwischt den Ball unkontrolliert mit der Fussspitze. Der Goalie geht zum zweiten Pfosten. Schon ist es passiert. Kolumbien verliert 1:2. Und weil die Kolumbianer der Goldenen Generation um Carlos Valderrama bereits gegen Rumänien 1:3 verloren hatten, sind sie schon nach zwei Spielen draussen. Gedemütigt. Sie fliegen nach Hause.
Drogenkartell oder ein Irrer?
Dort will der Mann mit der Vokuhila-Frisur heiraten. Doch zwölf Kugeln aus einer Pistole vor der Bar «El Indio» im Drogen-Hotspot Medellin zerstören diese Pläne. Escobar wird regelrecht hingerichtet. «Eigentor, Escobar», soll sein Mörder gerufen haben, als er abdrückt.
Doch wahrscheinlicher als die Tat eines irrgeleiteten Fanatikers ist ein Zusammenhang mit den Drogenkartellen. Die sollen nämlich bei Wetten auf Kolumbien horrende Summen verloren haben. Die Zeche lassen sie Escobar bezahlen. Mit seinem Leben!
Zurück in der Schweiz. Und zu Martin «Tinu» Weber, der alle acht Spiele an der Seite des Kolumbianers bestritt, als der 1990 einen kurzen Frühling lang in Bern verbrachte, bevor er nach Italien ging, um sich auf die WM 1990 vorzubereiten. «Andres war ein sehr guter Verteidiger», sagt die Verteidigerlegende. «Kraftvoll, kampfstark. Als Mensch war er ein lieber, netter ‘Giu’, sehr zurückhaltend, zuvorkommend. Wir bildeten ein starkes Innenverteidiger-Paar.»
Auch Weber war an jenem 2. Juli 1994 geschockt: «Wenn man mit jemandem Fussball gespielt hat, ist man unglaublich bestürzt. Es kommt dann immer ein grosses ‘Warum?’ hoch. Man denkt an das Eigentor. Und dass das wohl der Grund war. Undenkbar bei uns. Aber in Südamerika sind die Leute halt wahnsinnig fanatisch.»
In Kolumbien ist er ein Volksheld
Escobar hätte eine Wohnung in Mosseedorf bewohnen sollen. «Doch nach einem Tag rief mich André Ihly an, Architekt und YB-Geldgeber, und sagte mir: ‘Der Escobar kommt nach Ittigen, in eine von meinen Wohnungen. Ich finanziere das’.» Daran erinnert sich Heinz Hirschi, der Mann, der die YB-Spieler heute noch zügelt und deren Wohnungen möbliert.
Doch nicht nur wir begeben uns auf Spurensuche. YB-Museums-Kurator Charly Beuret zeigt zwei Einträge im Gästebuch. «Vor ein paar Jahren streifte ein spanischsprechender Mann durch das Museum. Ich fragte ihn, was er wolle. Er sagte, er heisse Escobar. Ich sagte ihm dann, wir hätten vor Jahren einen Spieler gleichen Namens hier gehabt. Erst dann sagte er mir, dass er der Bruder und auf Spurensuche von Andres sei.»
Er sei tief beeindruckt gewesen, dass wir das Andenken an Andres derart in Ehren gehalten hätten, so Beuret weiter. Er werde das zu Hause erzählen. «Und prompt kam er nochmals, 2016, diesmal mit der ganzen Familie. Wir haben ihnen dann das ganze Museum gezeigt und ein Spiel von YB besucht. Er lud die YB-Delegation dann nach Medellin ein. Vielleicht gehen wir eines Tages tatsächlich noch hin…»
Dort ist Escobar nämlich posthum zu einem Volkshelden geworden. An seiner Beerdigung nahmen 120 000 Menschen teil. Die Stadt errichtete 2002 ein Denkmal für ihn.