Fifa-Präsi über Video-Beweis, Blatter-Vorwürfe und Absetzung der Ethikspitze
Exklusiv! Jetzt redet Gianni Infantino

Er hat sich monatelang nicht gewehrt, nun spricht Gianni Infantino (47) exklusiv im SonntagsBlick. Der Fifa-Präsident über die abgesetzten Ethik-Bosse, die Kritik von Sepp Blatter und warum er den Video-Schiedsrichter noch immer super findet.
Publiziert: 08.07.2017 um 23:47 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 21:30 Uhr
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Der oberste Fussballer in seiner Stadt: Gianni Infantino spaziert gemütlich durch Brig.
Foto: TOTO MARTI
Andreas Böni (Interview) und Toto Marti (Fotos)

Der Freitag ist ein heisser Nachmittag im Wallis, knapp 32 Grad. Fifa-Boss Gianni Infantino (47) trägt kurze Hosen und ein T-Shirt, er steht unter den weissen Sonnenschirmen des Hotels Du Pont in Brig. Hier, an seinem Geburtsort, hat er am Abend zuvor mit Diego Maradona Fisch gegessen. Der Argentinier ist einer von vielen Stars wie Gigi Buffon oder der brasilianische Ronaldo, die Infantinos Einladung für ein Plauschspiel gefolgt sind.

Doch Infantino blickt nicht nur auf einfache Monate zurück. Die Absetzung der Chef-Ethiker wird ihm um die Ohren gehauen, die Video-Schiedsrichter harsch kritisiert und sein Vorgänger Sepp Blatter (81) hatte beissende Worte für ihn übrig. «Bitte keine Polemik», bittet er vor dem Gespräch. «Ich will das hier geniessen», sagt Infantino. Und nimmt dann doch zu jedem Punkt Stellung.

SonntagsBlick: Herr Infantino, wir beginnen sachte. Sie waren zuletzt am Confederations Cup in Russland. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Gianni Infantino:
Es ist überaus positiv. Wir haben drei Jahre lang nur gehört, wie viele Probleme man in Russland haben wird. Mit Rassismus, mit Sicherheit, mit Organisation. Schlussendlich hatten wir keine einzige Sorge. Im Gegenteil, das ganze Turnier war ein grosser Erfolg. Was mich vor Ort am meisten positiv überrascht hat, sind die Leute. Die Russen. Wir alle hier sind im Westen mit einem gewissen Bild aufgewachsen ...

... Wodka trinken, kalte Temperaturen, geschlossenes System.
Genau. Das russische Volk ist wirklich offen, die WM 2018 wird ein super Erlebnis für alle Fans, Spieler und Funktionäre. Die Menschen in Russland haben mich überzeugt.

Und die Stadien sind weiter als damals in Südafrika oder in Brasilien.
Die Infrastruktur ist super, genial. Ich war zusammen mit dem stellvertretenden Fifa-Generalsekretär Zvonimir Boban im Luschniki-Stadion von Moskau, wo der Final stattfinden wird. Es ist ein einmaliges Stadion. Als ich da hineingelaufen bin, hat mir der Atem gestockt. Es ist gigantisch, das ist ein super Fussballstadion.

Nicht ganz so zufrieden werden Sie mit den Video-Schiedsrichtern sein. Die lagen teilweise doch ganz schön daneben.
Aha, jetzt beginnen wir mit der Polemik ... (lacht)

Nein, nein, das ist eine ganz harmlose Anmerkung.
Doch, ihr vom BLICK habt ganz schön Polemik gemacht. Ich war zu Beginn ja auch sehr skeptisch. Als moderner Mensch sagst du dann aber: Lass es uns erst mal testen. Und nun nach dem Confederations Cup bin ich sehr positiv und zuversichtlich.

Wieso?
Weil kein einziger richtiger Entscheid eines Schiedsrichters geändert wurde. Kein richtiger Pfiff wurde in einen falschen umgewandelt. Auf der anderen Seite wurden sieben grosse Fehler von Schiedsrichtern korrigiert. Also bleibt am Schluss nur Positives und nichts Negatives von den Spielen übrig. Es darf einfach nicht sein, dass ein WM-Final durch einen Fehlentscheid entschieden wird.

Aber die ganze Hektik auf dem Feld und die Fehler, die man nicht sah, bleiben ebenso in Erinnerung!
Was noch nicht hundertprozentig funktioniert, ist vor allem die Kommunikation im Stadion. Einverstanden. Und auch die Zeit, wie schnell oder eben nicht so schnell man einen Entscheid fällt. Aber wenn man sich überlegt, wie lange es manchmal dauert, bis ein Freistoss geschossen wird – das sind manchmal zwei, drei Minuten. Wenn man in ein, zwei Minuten einen grossen Schiedsrichter-Fehler korrigieren kann, dann ist diese Wartedauer nicht schlimm. Aber vielleicht müssen wir uns in der Kommunikation verbessern.

Inwiefern?
Wir müssen besser erklären, um was es geht. Es gibt die rein objektiven Fehler – Offside oder Foul innerhalb oder ausserhalb des Sechzehners zum Beispiel. Das ist schwarz oder weiss. Mein Aha-Erlebnis war es, als Portugal im ersten Spiel gegen Mexiko ein Tor aberkannt wurde. Wir im Stadion haben alle nichts gesehen, plötzlich annulliert der Schiedsrichter das Tor. Neben mir sitzt der portugiesische Verbandspräsident und schaut entgeistert. Dann kam das Foto auf der Leinwand: Vier Spieler im Abseits. Da gab es keine Diskussionen mehr.

Aber es gibt eben auch jene Entscheide in der Grauzone. Und die sorgen für Verwirrung.
Schauen Sie, diese Szenen in der Grauzone sind Interpretation. Da liegt es im Ermessen des Schiedsrichters. Das heisst, dem Fussball bleiben die ganzen Diskussionen erhalten. Das ist doch gut so.

Aber es sollten nur die Top-Schiedsrichter auch Video-Referees sein. Dann gäbe es auch weniger Chaos.
Absolut. Man hat den Unterschied gesehen zwischen denen, die das wie die Italiener oder Holländer ein Jahr lang gemacht haben, und denjenigen, für die es neu war. Einige wurden nur fünf Tage lang darauf vorbereitet. Da müssen wir jetzt ein Jahr hart arbeiten.

Die Bundesliga führt den Video-Schiri auf kommende Saison ein, schulte ihre Experten ein Jahr lang. Und diese sitzen dann in Köln und helfen den Schiedsrichtern im Stadion. Ist das nicht komisch?
Wichtig ist es, alle Systeme zu prüfen, um die optimale Lösung zu haben.

Haben Sie Angst, dass wegen der Doping-Ermittlungen gegen Russland die WM ohne Gastgeber-Team stattfinden muss?
Wir nehmen das alles sehr ernst, aber es ist auch so, dass die 23 WM-Spieler von 2014 alle von einem unabhängigen Labor der Welt-Anti-Doping Agentur in Lausanne untersucht wurden. Alle Proben waren negativ, wie auch jene für das EM-Kader 2016 und jetzt vom Confederations Cup, bei dem alle Spieler auf Urin und Blut untersucht wurden.

Bei möglichen Regeländerungen spricht man auch über eine Netto-Spielzeit von 60 Minuten, die Zeit würde bei jeder Unterbrechung angehalten. Ihre Meinung dazu?
Wir müssen mit Regeländerungen extrem vorsichtig sein. Der Fussball ist schön so, wie er jetzt ist. Es gibt viele Ideen, aber was wir jetzt schauen müssen, ist, dass wir jetzt den Video-Schiedsrichter professionalisieren.

Apropos Fussball: Wie viel kostet das Plausch-Spiel hier in Brig die Fifa?
Null Franken und null Rappen.

Und Gianni Infantino privat?
Schon ein bisschen etwas. Aber es waren relativ wenige Flüge, da die meisten ja schon in Europa waren.

Machen Sie jetzt einen auf Sepp Blatter? Sein Fussballturnier gab es 18 Jahre lang.
Nein, das ist eine einmalige Sache. Mit dem FC Brig, meinem Klub, gab es die Idee schon lange. Man wollte einen Empfang mit Kutsche machen. Ich bin kein Mensch für Empfänge. Ich sagte, machen wir lieber ein Fussball-Turnier. Und ich fragte ein paar Freunde. Es ist schön und ehrt mich, dass so viele Stars zugesagt haben und hergekommen sind. Nur, um Fussball zu spielen und Spass zu haben. Ohne irgendwelche Protokolle, einfach gemütlich unter Kollegen.

Sie haben monatelang kein Einzelinterview gegeben. Alle Ihre Kontrahenten streuten hintenrum die Informationen – und Sie liessen alles auf sich hereinprasseln. Warum haben Sie sich nie gewehrt?
Ich rede lieber mit Aktionen und Taten. Ich bin nicht so ein Medien-Mensch, denke ich. Wahrscheinlich muss ich etwas ändern. Ich muss offensiver werden.

Reden wir erst über die Absetzung der Chef-Ethiker ...
... niemand ist abgesetzt worden.

Gut, Cornel Borbély und Hans-Joachim Eckert wurden nicht wiedergewählt. Trotzdem war dies ein schlechtes Zeichen für die Fifa.
Nein, es ist ein Prozess, den man respektieren muss. Er wurde von verschiedenen Menschen zusammen gefällt, nicht von mir im Alleingang, wie es gerne dargestellt wird.

Die beiden erfuhren es, als sie aus dem Flugzeug stiegen – auf dem Weg zum Kongress nach Bahrain. Die Kommunikation war miserabel.
Ja, wir hätten es allgemein von Fifa-Seite anders machen sollen. Wir müssen unsere Entscheidungen besser erklären, das ist sicher eine Lehre aus dem Fall.

Ein anderer Punkt ist: «Der Spiegel» schreibt seit Wochen, Sie hätten die Chef-Ethiker rausschmeissen lassen, weil diese Ermittlungen gegen Sie führten.
Ach, was soll ich dazu sagen? Die Ethikkommission hätte das ja selber deklarieren können, wenn es so gewesen wäre. Aber das ist egal. Ich bin wohl auf der Welt der im Moment am meisten durchleuchtete Mensch. Ich habe ein ruhiges Gewissen.

Ist es der Ruf der alten Fifa, den Sie ausbaden müssen?
(lacht) Was soll ich dazu sagen?

Ihr Vorgänger Sepp Blatter kritisierte Sie vergangene Woche im SonntagsBlick hart. Er warf Ihnen vor, zu viel Geld an die Verbände auszugeben – und so die roten Zahlen der Fifa zu verantworten.
Es ist richtig, dass wir viel mehr Geld in die Fussballentwicklung investieren als früher. Eine Milliarde in vier Jahren. Das ist so und richtig – und ich kann Ihnen versichern, es passiert mit allen Kontrollen, die es geben muss. Und wir werden trotzdem auf jeden Fall bald wieder schwarze Zahlen schreiben.

Sie sind nun eineinhalb Jahre im Amt. Worauf sind Sie besonders stolz?
Auf die Tatsache, dass ich in alle Entscheide – zum Beispiel die WM-Erweiterung auf 48 Teams – immer alle einbeziehen konnte und nie etwas im Alleingang machen musste. Dass wir demokratisch sind und keine One-Man-Show, wie es einige Kritiker sehen.

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Persönlich

Gianni Infantino kommt mit einer Gelbsucht zur Welt, eine Blutspende einer Frau aus Serbien rettet dem Baby das Leben. Infantino wird später Advokat und kommt zur Uefa, wo er als «Herr der Kugeln» bei den Auslosungen der Uefa-Wettbewerbe bekannt wird. Als Ersatzkandidat für den gesperrten Michel Platini stellt ihn die Uefa als Fifa-Präsidentschaftskandidat auf. Im Februar 2016 wird Infantino zum Nachfolger von Sepp Blatter gewählt.

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