Fifa-Experte Mark Pieth
«Wird Zwanziger Präsident, gibts keine WM in Katar»

Gegen Fifa-Präsident Sepp Blatter (79) laufen seit Freitag zwei Strafverfahren. Was das bedeutet, erklärt hier Mark Pieth (62). Kaum einer kennt die Fifa so gut wie der Basler Strafrechtsprofessor. Blatter beauftragte ihn 2011, Reformen beim Weltfussballverband einzuleiten, so dass die Fifa wieder glaubwürdig wird. Nun empfiehlt Pieth Blatter den raschen Abgang.
Publiziert: 27.09.2015 um 09:44 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 16:00 Uhr
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Der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger (links) gilt als möglicher Nachfolger von Sepp Blatter an der Spitze der Fifa.
Foto: Reuters
Interview: Peter Hossli

Herr Pieth, warum eröffnet die Bundesanwaltschaft gerade jetzt ein Verfahren gegen Blatter?
Mark Pieth: Zum einen hat sie jetzt die Unterlagen gefunden, die ihn belasten. Zudem spielt die Bundesanwaltschaft zunehmend eine politische Rolle.

Sie erhascht Aufmerksamkeit bei der Weltpresse, die am Freitag bei der Fifa in Zürich war?
Es kann gut sein, dass Bundesanwalt Michael Lauber von der Vorgehensweise von US-Bundesanwältin Loretta Lynch gelernt hat. Damit sage ich nicht, das sei unseriös. Die Bundesanwaltschaft hat schnell gehandelt. Ihre Art wirkt aber sehr amerikanisch.

Inwiefern ist die Medienmitteilung von Lauber eine Vorverurteilung?
Natürlich besteht die Gefahr einer Vorverurteilung. Der Staat sollte erst dann an die Öffentlichkeit treten, wenn er eine Anklageschrift verfasst hat.

Warum macht er es trotzdem?
Üblich ist dieses Vorgehen bei spektakulären Fällen, etwa bei Tötungen oder grossen Wirtschaftsfällen. Sonst muss sich der Staatsanwalt eine gewisse Zurückhaltung auferlegen.

Warum steht diese Zurückhaltung Blatter nicht zu?
Weil er eine öffentliche Person ist. Und weil die Bundesanwaltschaft nicht den Eindruck erwecken will, der Fifa-Präsident werde geschont.

Warum ist Blatter nicht in U-Haft?
Es sprechen formelle Gründe dagegen. Für U-Haft braucht es einen qualifizierten Tatverdacht. Den hat man wohl nicht. Und es braucht konkrete Haftgründe, etwa die Angst, er könne fliehen oder die Untersuchungen manipulieren. Hinzu kommen atmosphärische Gründe. Ich bin überzeugt, dass er kooperieren wird.

Wie wahrscheinlich ist eine Verurteilung?
Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Die Geschichte hat einen langweiligen und einen dramatischen Aspekt. Vielleicht gibt es ja eine Erklärung für alles. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob der Chef eines grossen Unternehmens, der einem Strafverfahren unterzogen wird, noch tragbar ist.

Ist Blatter noch tragbar?
Das ist keine strafrechtliche Frage. Es hängt von der Firmen-Politik ab. Er hätte gleich nach dem Rücktritt gehen sollen. Nimmt man den Hut, geht man. VW-Chef Martin Winterkorn beispielsweise kann ja nicht sagen, er trete zurück – aber erst in drei Monaten.

Wäre ein Fifa-Präsident Michel Platini noch tragbar?
Das hängt davon ab, ob er zum Beschuldigten wird. Dann wäre er als Kandidat für das Amt nicht mehr tragbar. Als Auskunftsperson ist er zwischen Zeuge und Beschuldigtem. Schon jetzt muss er erklären, für was er zwei Millionen Franken erhielt, warum die Zahlung zehn Jahre nach der Leistung erfolgte.

Warum wurde Blatter bisher nicht suspendiert?
Es ist alles noch sehr neu. Die Ethik-kommission der Fifa will sich die Erklärungen anhören. (siehe Box)

Was passiert bei der Fifa, wenn er suspendiert wird?
Das ist ein Problem. Sein statuarischer Stellvertreter hat möglicherweise selber schon ein Verfahren. Wichtig wäre es daher, dass man schnell einen Übergangspräsidenten wählt.

Wie ist es möglich, das Blatter TV-Rechte unter dem Marktwert an die karibische Fussball-Union verkaufen kann?
Blatter hatte lange Zeit eine Einzelunterschrift. Später ist er teilweise erst nach einem Entscheid ins Exekutivkomitee gegangen und hat sich den Segen geben lassen.

Wie ist es möglich, dass Blatter zwei Millionen Franken an Michel Platini zahlt für eine Leistung, die zehn Jahre zurück liegt?
Blatter wird diese Frage beantworten müssen. Die Bücher der Fifa sind perfekt geführt. Problematisch ist die fehlende politische Kontrolle, wofür das Geld ausgegeben wird. Der Präsident hat gewisse Kompetenzen. Und er hat immer wieder eigenhändig Entscheide gefällt, die er erst nachträglich im Exekutivkomitee absegnen liess. Die Frage lautet daher: Wusste das Exekutivkomitee, dass Platini zwei Millionen Franken erhält?

Wurden die zwei Millionen Franken in bar bezahlt?
Nein. Man kann bei einer Schweizer Bank nicht einfach so zwei Millionen in bar abholen.

Findet die WM 2022 in Katar statt?
Das hängt davon ab, wer nun Präsident wird. Wählt man – was ich hoffe – Theo Zwanziger (70) als Übergangspräsident für zwei Jahre, dann verhindert er Katar – aus arbeitsrechtlichen Gründen. Wenn Platini kommt, gibt es die WM in Katar.

Hätte die Schweiz ohne amerikanischen Druck ein Verfahren gegen Blatter eröffnet?
Das Verfahren ist eine direkte Folge der Reformen, die Blatter einst selbst losgetreten hat. Blatter startete die Revolution. Jetzt frisst die Revolution ihre Kinder. Dann hat Loretta Lynch zusätzlich Druck gemacht.

Wie hält Blatter das aus?
Er ist ein Mensch. Das darf man nicht vergessen. Lange war er immun gegen Anschuldigungen in den Medien. Das jetzt kann er nicht einfach wegstecken. Das wird ihm sehr zusetzen. Da bin ich sicher.

Dann soll er möglichst bald abtreten?
Es wäre für ihn von Vorteil. Er nähme sich aus der Schusslinie und wäre nicht mehr interessant.

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