Eigentlich, so dachte man, würden von den drei Beschuldigten deutschen Ex-DFB-Funktionären keiner ins Tessin reisen. Wegen gesundheitlicher Probleme und wegen des Coronavirus’. Der ehemalige Präsident Theo Zwanziger hatte jedenfalls bereits am Montag verlauten lassen, als der Prozess hätte eröffnet werden sollen, dass er wegen seiner kürzlichen Augenoperation auch zum neuen Starttermin am Mittwoch nicht anzureisen gedenke.
Das setzte Zwanziger (74) dann in die Tat um, ebenso Horst R. Schmidt (78) wegen Herzproblemen. Nicht aber der zweite ehemalige Präsident Niersbach (69). «Ich bin angereist gegen den eindringlichen Rat meines Arztes, sogar gegen seine Warnung, sich angesichts der aktuellen Lage in der Schweiz und dem nahen Italien nicht der Gefahr einer Infektion auszusetzen.»
Offenbar also hat es genützt, dass Bundesrichterin Sylvia Frei das Fehlen der Deutschen als «unentschuldigt» taxiert hat, weil sie ihnen die Möglichkeit gab, sich im Kantonsspital Bellinzona einem Gesundheitscheck zu unterziehen. Erst danach solle beurteilt werden, ob sie prozesstauglich seien oder nicht.
Doch Niersbach kam nicht deswegen. «Ich muss dieses gesundheitliche Risiko in Kauf nehmen, weil ich mich endlich vom Albtraum dieses vier Jahre dauernden Verfahrens befreien will. Ich möchte verhindern, das in meiner Abwesenheit verhandelt wird, ohne dass ich persönlich die Gelegenheit habe, die gegen mich erhobenen Vorwürfe mit allem Nachdruck zurückzuweisen, weil sie völlig haltlos sind.» Sein Ziel sei ein «eindeutiger Freispruch.»
Niersbach wird der Gehilfenschaft zum Betrug beschuldigt, hat also die leichteste Anklage der vier Beklagten, die allesamt wegen Betrugs in Mittäterschaft angeklagt sind.
Bis am 27. April muss ein Urteil vorliegen
Beim Sommermärchen-Prozess geht es um einen Kredit in der Höhe von 10 Millionen Franken, den WM-2006-OK-Präsident Franz Beckenbauer 2002 beim 2009 verstorbenen Ex-Adidas-Besitzer Robert-Louis Dreyfus aufnahm, um ihn an den korrupten Katar-Fussball-Funktionär Mohammed Bin Hammam weiterzuleiten. Drei Jahre später forderte Dreyfus die Rückzahlung, welche der DFB via Fifa tätigte, weshalb der am Mittwoch auch angereiste Ex-Fifa-Generalsekretär Urs Linsi auf der Anklagebank sitzt. Damit, so die Bundesanwaltschaft, sei die DFB-Aufsichtsbehörde arglistig getäuscht worden, denn als Verwendungszweck wurde eine WM-Kulturgala angegeben, die nie stattfand.
Drei Wochen sind für den Prozess vorgesehen, denn am 27. April muss ein Urteil vorliegen, ansonsten die Beschuldigungen verjähren. Am Donnerstag wird Ex-Fifa-Boss Sepp Blatter als Auskunftsperson per Videokonferenz zugeschaltet und am Nachmittag sagt Günter Netzer, Ex-Direktor von Sportvermarkter Infront, als Zeuge aus. Beckenbauer ist als Zeuge für Freitag vorgeladen, doch der dramatisch schlechte Gesundheitszustand des Kaisers macht eine Reise unmöglich.