Es ist eine der grössten Tragödien des modernen Fussballs: Am 29. Mai 1985 sterben im Brüsseler Heysel-Stadion 39 Menschen. Nachdem Liverpool-Fans den neutralen Sektor gestürmt haben, bricht eine Massenpanik aus. Fans werden gegen eine Mauer gedrückt, niedergetrampelt. Als die Mauer zusammenbricht, begräbt sie weitere Menschen unter sich. 454 Zuschauer werden zum Teil schwer verletzt.
Pascal Delmoitiez (61) ist Fussballfan seit er ein Kind ist. Das Endspiel zwischen Liverpool und Juventus in Brüssel will er sich nicht entgehen lassen. Monatelang hat der Bankangestellte gespart, um sich ein Ticket zu kaufen.
«Es war grauenhaft, schrecklich»
Delmoitiez ist ein stattlicher Mann mit tiefer Stimme. Er redet wie ein Wasserfall, am liebsten über seinen Heimatklub Stade Brainois, wo Belgiens Superstar Eden Hazard gross geworden ist. Aber wenn er über jenen Abend im Mai 1985 spricht, dann wird seine Stimme plötzlich ganz leise und gerät ins Stocken. «Es war grauenhaft, schrecklich. Mir läuft es immer noch kalt den Rücken runter, wenn ich daran denke.»
Delmotiez steht in seiner Wohnung, wo er fast 2000 Fussballbücher und andere Fussballsouvenirs gehortet hat. Er greift ins Regal und holt ein schwarz-weiss Foto heraus. «Das bin ich.» Delmoitiez zeigt auf einen Mann mit Schnauz, der auf dem Rasen des Heysel-Stadions steht. Hinter ihm Menschen in Panik mit weitaufgerissenen Augen, die gegen einen Zaun gedrückt werden. «Es hätte auch mich treffen können. Zum Glück war ich in einem anderen Sektor.»
Delmoitiez ging an keine Spiele mehr
Monatelang schreckt Delmoitiez in der Nacht auf, weil ihn Albträume plagen. Jahrelang besucht er keine Profispiele mehr. Das will etwas heissen. Seit 1969 ist er Teammanager beim Amateurklub Stade Brainois. Genau drei Partien seines Klubs hat er seither verpasst:
Nach der Katastrophe wird das Stadion während neun Jahren kaum noch für Fussballspiele genutzt. 1994 wird es fast komplett neu gebaut und im August 1995 als König-Baudoin-Stadion wiedereröffnet.
Wenn Delmoitiez dort zu den Spielen der belgischen Nationalmannschaft geht, so wie am Donnerstagabend als die Belgier gegen Island spielen, dann hält er hinter der Haupttribüne kurz inne und liest ganz still die 39 Namen der Opfer, die dort auf der Gedenktafel stehen.