Erster Fussball-Profi mit Prothese
«Ich hätte blind sein können»

Andreas Schicker (31) ist der erste Fussball-Profi weltweit, der mit einer Handprothese spielt. 2014 verlor er bei einem Unfall seine linke Hand. «Ich fühlte mich wie ein Kleinkind», erklärt der Österreicher – und schaffte dennoch das Comeback.
Publiziert: 28.12.2017 um 15:43 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 21:30 Uhr
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Optimist: «Ich kann mit dem, was passiert ist, super leben», sagt Schicker.
Foto: Marcel Koehler
Interview: Daniel Leu

Herr Schicker, wie oft denken Sie noch an den 23. November 2014 zurück?Andreas Schicker: Würde ich sagen nie mehr, wäre das gelogen. Wenn ich mich aber daran zurück erinnere, denke ich: Zum Glück ist nicht mehr passiert, ich hätte theoretisch blind sein können. Es klingt für einen Aussenstehenden vielleicht komisch, aber ich kann mit dem, was passiert ist, super leben.

Was ist denn in jener Nacht genau passiert?
Ich war damals in Bruck an der Mur mit Freunden unterwegs. Als ich einen Böller in die Hand bekommen und ihn angezündet habe, ist er sofort explodiert. Meine erste Wahrnehmung danach war ein lautes Surren in den Ohren. Als ich dann zur Polizei ging und dort anläuten wollte, sah ich, dass mit meinen Händen etwas Schlimmes passiert ist. Da war mir klar: So wie es einmal war, wird es nie mehr sein.

Im Spital Graz musste Ihnen die linke Hand amputiert werden. Wie war das, als Sie im Spital wieder erwachten?
Als mir der Arzt sagte, dass die linke Hand amputiert werden musste, war das schon ein Schock. Doch ich versuchte, positiv zu sein und nicht zu hadern.

Sie waren Linkshänder, und da Ihre rechte Hand auch schwer verletzt war, mussten Sie vieles wieder erlernen.
In den ersten Tagen und Wochen fühlte ich mich wie ein Kleinkind. Mit 28 Jahren musste ich wieder lernen, sich helfen zu lassen. Ich konnte mich zu Beginn nicht einmal mehr alleine kratzen.

Wie schafften Sie es, trotzdem positiv zu bleiben?
Ich war mir schnell bewusst, dass man mit einer Hand ein normales Leben führen kann, ohne aber nicht. Deshalb investierte ich die Kraft in die Genesung der rechten. Und natürlich war die Unterstützung meiner Freundin und meiner Familie enorm hilfreich.

Dachten Sie im Spital bereits an ein Comeback als Fussballer?
Das war schon immer im Hinterkopf, obwohl ich natürlich zuerst wieder den Alltag erlernen wollte. Bereits nach zwölf Tagen durfte ich nach Hause, weil ich im Gang nur noch auf und ab ging und Bewegung brauchte. Mein behandelnder Arzt sagte mir aber damals, dass es sehr schwer wird, wieder profesionell Fußball zu spielen.

Bis Sie wieder Profi wurden, dauerte es auch noch fast eineinhalb Jahre.
Da zuvor noch nie ein Profi mit Prothese spielte, mussten wir zuerst eine entwickeln.

Wie sieht diese aus?
Im Gegensatz zu meiner Alltagsprothese hat sie keine Funktionen. Sie ist etwa ein Kilo schwer und hat einen Schutz, damit kein Gegner verletzt werden kann.

Um damit spielen zu dürfen, benötigten Sie eine Bewilligung der Fifa.
Es war gar nicht so einfach, bei der Fifa einen Ansprechspartner dafür zu finden, da ich ja der erste war, der diese Bewilligung benötigte. Deshalb hat sich das über mehrere Wochen hingezogen. Als ich dann im Training mit dieser Prothese spielte, merkte ich: Ich kann die Rückkehr schaffen. Ich kann mich an eine Szene erinnern, als ein Teamkollege mich foulte und ich voll auf die Prothese fiel. Er hat sich dann sogleich bei mir entschuldigt. Doch ich war froh über diese Szene. Ich tat mir dabei nicht weh und wusste spätestens ab diesem Moment: Einer Rückkehr als Profi steht nichts mehr im Wege.

Am 4. März 2016 gaben Sie schliesslich mit Wiener Neustadt gegen Austria Salzburg Ihr Comeback als Profi.
Das war ein Wahnsinnsgefühl. Ich hatte über eineinhalb Jahre drauf hin gearbeitet und nie den Glauben daran verloren.

Was ist mit einer Prothese anders?
Natürlich konnte ich keinen mehr am Leiberl zurückhalten, doch ansonsten hatte ich keine Einschränkungen. Als Linksverteidiger habe ich sogar die Einwürfe gemacht. Nach ein paar Spielen habe ich gar nicht mehr gemerkt, dass ich eine Prothese trage. Und glauben Sie mir: Ich wusste schon, wie man die Prothese clever einsetzen kann.

Trotzdem haben Sie in diesem Sommer Ihre Profi-Karriere beendet. Weshalb?
Ich bin jetzt 31. Als ich das Angebot bekam, bei Wiener Neustadt Sportdirektor zu werden, hat das perfekt gepasst. Ich war zuvor wieder Stammspieler. Das war ein perfekter Moment, um aufzuhören.

Ganz lassen können Sie das Fussballspielen aber nicht.
Das stimmt, ich spiele seit Sommer für den Landesligisten SC Bruck. Das macht mir riesigen Spass.

Wie gehts heute Ihrer rechten Hand?
Sehr gut. Ich schreibe mittlerweile mit der rechten Hand besser als früher mit der linken, weil ich ja als Sportdirektor mehr schreiben muss. Das einzige Problematische ist der Winter. Da mir beim Zeigefinger und dem Daumen die Endkuppe fehlt, bin ich sehr kälteempfindlich. Deshalb trage ich auch bei Plusgraden Handschuhe, denn ich kann mir ja bei der rechten Hand nichts mehr erlauben.

Letzte Frage: Wie sehen Sie mit Ihrer Geschichte den Fussball heute?
Als Profi lebst du in einer Scheinwelt. Als ich ein halbes Jahr in der Reha war, hat sich vieles relativiert. Ich war dort mit einer Handamputation quasi ein Leichtverletzter. Deshalb hat mich der Unfall auch zum Umdenken gebracht. Als Sportdirektor möchte ich das nun auch den Jungen erklären und vermitteln.

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Persönlich

Andreas Schicker
Geboren: 6. Juli 1986
Position: Mittelfeld
Karriere: 162 Bundesliga-Spiele für Austria Wien, Admira Wacker, Ried und Wiener Neustadt
Aktueller Klub: SC Bruck/Mur
Beruf: Sportdirektor bei Wiener Neustadt

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