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«Ein Boss überfuhr eine Frau und machte Fahrerflucht»
Grimms verrückte Erlebnisse in der Ukraine

Thomas Grimm (62) war zwei Jahre lang Boss der ukrainischen Fussball-Liga. Nun tritt er zurück, aufgerieben zwischen Oligarchen – und erzählt die besten Episoden.
Publiziert: 27.03.2020 um 20:43 Uhr
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Thomas Grimm in Zürich. Er tritt als Präsident der ukrainischen Fussball-Liga zurück.
Foto: Sven Thomann
Andreas Böni (Interview) und Sven Thomann (Fotos)

Thomas Grimm, Sie sind seit zwei Jahren Präsident der ukrainischen Fussballliga. Die erste Frage ist natürlich: Wie gehen Sie dort mit dem Coronavirus um?
Thomas Grimm: Die Regierung hatte vorerst für drei Wochen Geisterspiele angeordnet. Daher konnte über das Wochen­ende vom 14. und 15. März noch gespielt werden. Nun hat die Regierung aber am 17. März 2020 beschlossen, Versammlungen von mehr als 10 Personen zu verbieten. Dies hat zur Konsequenz, dass auch die Liga ab sofort nicht mehr weiterspielen kann. Bei meinem letzten Besuch Ende Februar in Kiew war die Lage völlig normal. Nun ist dort das öffentliche Leben ebenfalls eingeschränkt. Die Metro ist geschlossen, und meine Mitarbeiter arbeiten von zu Hause aus. Zudem kann ich als Ausländer zurzeit nicht in die Ukraine einreisen.

Sie treten nun auf Anfang April zurück. Warum?
Ich trete nicht mehr zur Wiederwahl an. Nach zwei Jahren kam ich zum Schluss, dass man die ukrainische Fussballliga unter den gegebenen Umständen nicht aus der Schweiz führen kann. Ich bin alle zwei Wochen für drei Tage in Kiew, besuchte regelmässig über das Wochenende Fussballspiele, aber das war zu wenig. Und ja, es gibt im ukrainischen Fussball schon allerlei abenteuerliche Geschichten, welche das Arbeiten als Ligapräsident nicht einfacher machen.

Sollten Sie bestochen werden?
Nein, das war nie ein Thema. Es geht mehr um die Eigentümer der Klubs in der Ukraine. Das sind unvorstellbare Geschichten für uns Schweizer.

Erzählen Sie.
Der Eigentümer von Worskla Poltawa steht zum Beispiel auf der Fahndungsliste der ukrainischen Interpol. Man wirft ihm vor, 2,5 Billionen Hrywnja (rund 90 Millionen Franken) veruntreut zu haben. Er war CEO des Hauptsponsors (ein Eisenerzunternehmen mit 1,4 Milliarden USD Umsatz und Hauptsitz in Baar, Anm. d. R.). Als Geschäftsführer wurde er ersetzt, Eigentümer des Klubs blieb er. Aber ihn kennt man wenigstens.

Wie meinen Sie das?
Bei Desna gibt es einen inoffiziellen Eigentümer, der nirgends in den Klub-Dokumenten erscheint. Sein Übername ist der «Alkohol-König der Ukraine» mit guten Kontakten zum ehemaligen Staatspräsidenten Janukowitsch. Alle wissen, dass ihm der Klub gehört. In Lemberg gibt es einen Eigentümer, von dem es nicht mal ein Foto gibt. In Mariupol gehört der Klub einem Ausländer, den man noch nie in der Ukraine gesehen hat. Bei Karpaty besitzt ein Mann, der vor zwei Jahren eine Frau überfuhr und anschliessend das Land verlassen musste, weil man ihn nun sucht, fünfzig Prozent des Klubs. Und ja, dann haben auch noch zwei Oligarchen grossen Einfluss.

In welchem Bereich?
Der zweite Eigentümer von Karpaty soll der Oligarch Igor Kolomoiski sein, dem auch Dnipro-1 gehört, wie man munkelt. Kolomoiski soll bis sechs Milliarden Dollar besitzen, je nach Quelle. Und er half Wolodimir Selenski, die Wahl zum Präsidenten zu gewinnen.

Wie ging das?
Selenski war ein Komiker, «Diener des Volkes» hiess seine satirische Comedysendung. Diese machte ihn richtig bekannt. Weiter hat er auch bei der ukrainischen Version von «Dancing with the Stars» gewonnen. Beide Sendungen liefen auf 1+1, einem der grössten Free-TV- Kanälen des Landes. Diese gehören eben Kolomoiski, der mit dem anderen Oligarchen Rinat Achmetow irgendwie im Wettstreit steht.

Ihm gehört Schachtar Donezk.
Exakt. Und Achmetow gehören der Pay-TV-Kanal «Football Channel» und weitere TV-Sta­tionen. Jetzt müssen Sie sich vorstellen: Wir unterschreiben mit «Football Channel» einen TV-Vertrag für die Liga, dieser wird von der Generalversammlung mit der notwendigen Mehrheit genehmigt – dann kommen fünf Klubs und entscheiden, diesen einfach nicht zu respektieren. Weil Kolomoiski und seine Free-TV-Sender ihren Einfluss auf diese Klubs geltend gemacht haben. So ist es schwierig, eigene Ideen umzusetzen.

Wie sauber ist denn das Geld in den ukrainischen Klubs?
Diese Frage kann ich nicht beantworten. Der Verband macht die Lizenzierung – die Liga hat keinen Einblick in die eingereichten Unterlagen.

Haben Sie wenigstens Ukrainisch gelernt in den zwei Jahren?
Ich habe es mit einem Privat­lehrer versucht, aber ich kam nicht aufs notwendige Niveau.

Was möchten Sie nun tun?
Ich sondiere im Moment in verschiedene Richtungen. Am liebsten würde ich natürlich wieder für einen Klub, eine Liga oder einen Verband arbeiten. Auch kann es sein, dass ich weiterhin für den ukrainischen Verband als Be­rater arbeite. Gespräche sind im Gang.

Was haben Sie bewirkt?
Ich hoffe, ich konnte ihnen wenigstens zeigen, dass man ohne Einigkeit in den wichtigsten Punkten wie der Vermarktung der TV-Rechte und ohne eine gewisse Solidarität nicht weiterkommt. Sie müssen verstehen, dass nicht der Klub der Star ist, sondern die Liga. Das wollte ich in einem ersten Schritt mit der zentralen Vermarktung der TV-Rechte aufzeigen. Jeder Klub sollte, zum Wohle der Liga, seine Interessen unterordnen. Man kann sagen: Die Einsicht, dass es gemeinsam besser ginge, die ist noch nicht da. Ich hoffe, dass diese Einsicht lieber früher als später kommt. Es braucht wohl mehr als nur einen Versuch. Das habe ich in den zwei Jahren gelernt. Wenn ich meine Mitarbeiter öfters gefragt habe, warum geht das nicht, war die Antwort «Welcome to the Ukraine». Das Land hat nicht nur im Bereich Fussball grosses Potenzial, man muss es aber nutzen.

Thomas Grimm

Thomas Grimm wurde 1959 in Lüscherz BE geboren. Er studierte Rechtswissenschaften und leitete von 1992 bis 1995 den Rechtsdienst der Uefa. Von 2007 bis 2009 war er Präsident von YB, von 2009 bis 2011 Präsident der Swiss Football League. 2011 trat er nach den Querelen um die Transfersperre des FC Sion nicht mehr zur Wiederwahl an. Seit 2018 hat er als Präsident die ukrainische Profiliga «Premjer Liga» geführt – nun tritt er ab. Grimm ist verheiratet und wohnt in Zürich.

Thomas Grimm wurde 1959 in Lüscherz BE geboren. Er studierte Rechtswissenschaften und leitete von 1992 bis 1995 den Rechtsdienst der Uefa. Von 2007 bis 2009 war er Präsident von YB, von 2009 bis 2011 Präsident der Swiss Football League. 2011 trat er nach den Querelen um die Transfersperre des FC Sion nicht mehr zur Wiederwahl an. Seit 2018 hat er als Präsident die ukrainische Profiliga «Premjer Liga» geführt – nun tritt er ab. Grimm ist verheiratet und wohnt in Zürich.

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