Lothar Matthäus über die Bayern-Krise
«Einige Stars verhalten sich egoistisch und respektlos»

Vier Spiele ideenlos, kraftlos, sieglos. Absturz auf Tabellenrang 6. Hat der FC Bayern «ausgspuit»? Die knallharte Analyse von Legende Lothar Matthäus (56).
Publiziert: 08.10.2018 um 02:53 Uhr
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Aktualisiert: 10.10.2018 um 17:02 Uhr
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Legende Lothar Matthäus ordnet die aktuelle Bayern-Situation ein – und spart nicht mit Kritik.
Foto: Bongarts/Getty Images
Andreas Böni

Lothar Matthäus, Sie sprachen nach dem 0:3 gegen Gladbach von «einem der schlechtesten Bayern-Spiele der letzten Jahre». Ist das Team überaltert?
Lothar Matthäus: Bayern hat das Kader nicht rechtzeitig verjüngt. Man hat zu vielen verdienten Spielern immer wieder neue Verträge gegeben und spannende Talente auf dem Markt ignoriert. Diesen Weg kann ich schwer nachvoll­ziehen, er geht selten gut. Bei Bayern standen am Samstag neun Spieler auf dem Feld, die schon beim Champions-League-Final 2013 dabei waren.

Trainer Nico Kovac ist nicht das Problem?
Nein. Er hat wohl ein bisschen zu viel rotiert am Anfang, weil er alle Spieler ins Boot nehmen wollte. Aber das spricht grundsätzlich für ihn. Er ist ein ehr­geiziger Typ mit einem Plan, ein Fussballverrückter. Er ist der Richtige, um das Ruder herumzureissen. Zumal die ersten sechs Spiele von den Resultaten und vom Spiel her mit das Beste waren, was Bayern in letzter Zeit zeigte. In der Pflicht sind vielmehr Klubführung und Spieler.

Trainer Niko Kovac ist laut Lothar Matthäus nicht das Problem bei Bayern München.
Foto: Getty Images

Warum die Bosse?
Uli Hoeness sagte, dass für die Rotation der Trainer «den Kopf hinhalten muss». Er hat es zwar auf die gesamte Branche bezogen, trotzdem schadet so was in der jetzigen Situation auch dem eigenen Coach. Bei Bayern hat es zu viele Ich-AGs. Zu viele Spieler, die nur an sich denken.

Wie meinen Sie das?
Spieler wie James und Lewandowski stellen sich über den Verein, auch Robben und Ribéry. Der eine jammert, er spiele zu wenig, der andere, er bekomme zu wenig Bälle, und der dritte schimpft bei Auswechslungen oder heult sich bei Journalisten aus. Damit muss Schluss sein. Einige Stars verhalten sich egoistisch und respektlos gegenüber Trainer, Klub und Mitspielern. Zu James noch ...

... ja, bitte.
Nur weil ihn Kovac nicht so oft in den Arm nimmt wie Jupp Heynckes, darf er nicht so wütend reagieren. Und auf dem Platz trotzdem mal Reaktion zeigen. Gegen Gladbach kam überhaupt kein Zeichen. Was ich von ihm da sah, bestätigte Kovac: So reicht es ihm nur für die Bank. Was jetzt aber auch wichtig ist: Es braucht ein Machtwort von den Bossen, dass zwischen sie und den Trainer kein Blatt passt. Es darf nicht alles am Trainer hängen bleiben.

Zu James Rodriguez sagt Matthäus: «Er darf nicht so wütend reagieren, nur weil ihn Niko Kovac nicht so oft in den Arm nimmt wie Jupp Heynckes.»
Foto: KEY

Was muss man tun?
Zum einen muss Uli Hoeness auf Sprüche verzichten wie jenen mit der Rotation. Er und Sportdirektor Hasan Salihamidzic müssen den Spielern klar­machen, dass sie ihre negative Körpersprache ändern müssen. Wenn mal einer egoistisch aufmuckt, darf man ihn auch mal vier Wochen auf die Bank setzen. Und bezüglich Rotation müssten die älteren Spieler doch merken, dass sie ihnen hilft. Spielen sie jedes Mal, sind sie im November verletzt.

Fehlt Bayern das Tempo?
Bayern spielte zuletzt sicher zu langsam nach vorne. Ball von Hummels zu Süle, von Süle zu Hummels, das kam zu oft vor. Ich glaube nicht, dass grundsätzlich das Tempo fehlt. Auch das Kader ist nicht zu schlecht – Bayern hat eher ein Mentalitätsproblem.

Kann Lucien Favre mit Borussia Dortmund Meister werden?
Er hat bisher das nötige Spielglück, aber das erarbeitet man sich auch. Favre war bisher eher ein 1:0-Trainer, nun hat er plötzlich Spektakelspiele. Das ist zwar kaum in seinem Sinne, aber mit seinem Kader kann er immer reagieren. Entscheidend sind die Spielerpersönlichkeiten: im Mittelfeld Axel Witsel, der starke Marco Reus und im Tor der verbesserte Roman Bürki, der so gut ist wie noch nie in Dortmund. Nehmen sie den Schwung mit und die Bayern schwächeln weiter, ist die Borussia ein ganz heisser Kandidat, die Münchner nach sechs Jahren als Meister abzulösen.

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Das ist Lothar Matthäus

Der 57-Jährige Rekordspieler der Deutschen Nationalmannschaft (mit 150 Länderspielen) wurde 1990 Weltmeister. Er spielte zwischen 1984 und 2000 rund zwölf Jahre für Bayern München, dazwischen war er vier Jahre lang bei Inter Mailand. Heute arbeitet er als Experte beim Bezahlsender Sky.

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Uli Hoeness gibt Trainer Niko Kovac Rückendeckung.
Foto: Reuters

So urteilen Bosse & Experten

Uli Hoeness (Bayern-Präsident): «Ich stehe wie eine Eins hinter Kovac, egal was in den nächsten Wochen passiert.»

Matthias Sammer (Ex-Sportvorstand bei Bayern): «In Ballbesitz wirken die Bayern uninspiriert. Die Leichtigkeit ist weg. Aber es sind keine Maschinen. Wie mit Kovac umgegangen wird, ist pervers. Für ihn selber, er darf keine Sekunde nachlassen. Auch die Geschwindigkeit, wie plötzlich Themen bewertet werden, obwohl noch nicht viel passiert ist.»

Marcel Reif (Fussball-Experte): «Bayern ist in der Krise! Gegen Gladbach hatten sie nicht mal Chancen. Ihr Spiel erinnert fatal an die Auftritte Deutschlands bei der WM. Die Klasse ist da, aber sie bringen sie nicht auf den Platz. Zudem ist das Kader nicht breit genug. Es ist wie im Tierreich: Wenn der alte Löwe schwächelt, beissen die anderen zu. Dennoch glaube ich, dass Bayern Meister wird. Aber ein Selbstläufer wird das nicht.»

Armin Veh (Sportdirektor 1. FC Köln): «Die Aura der Bayern ist momentan nicht da. Und sie wird nicht gestärkt durch gewisse Aussagen. Demut und Angst, die man hat vor einem Bayern-Spiel, sind weg. Kovac muss sich ständig was überlegen, zum Beispiel Goretzka als linker Verteidiger. Das ist ja keine Rotation, sondern Improvisation. Und er kommt schnell wieder an den Punkt zurück, dass nicht alle Positionen gut besetzt sind.

Michael Preetz (Hertha-Manager): «Es ist ein guter Spieltag für den deutschen Fussball, weil Spannung an der Tabellenspitze ist. Das hatten wir lange nicht. Unser Fussball liegt nicht am Boden, aber er ist in einer Situation, in der wir nach der WM wieder attraktiver spielen müssen. Die Anfänge sind da, wir sind auf einem guten Weg.»

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