Jetzt spricht Martin Schmidt
«Es wäre ein Traum, Nati-Trainer zu werden»

Der Walliser Bundesliga-Trainer sagt, wie er mit dem Doppeladler umgegangen wäre. Und erklärt, wie er sein Herz durchchecken liess, weil er ein Enge-Gefühl in der Brust verspürte.
Publiziert: 26.08.2018 um 00:02 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 21:11 Uhr
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Ende Februar trat Martin Schmidt beim VfL Wolfsburg zurück.
Foto: TOTO MARTI
Andreas Böni (Interview) und Toto Marti (Fotos)

Es ist warm im «Kaiser Franz», einer kultigen Fussballkneipe im Langstrassenquartier von Zürich. «Kommt’s rein und trinkt's Bier», steht über der Tür. «Nichts für Warmduscher», prangte während der WM über einem Plakat, das Pelé und Franz Beckenbauer nackt unter der Dusche zeigt.

Martin Schmidt (51), der Bundesliga-Trainer, spricht mit Beizer Rudy, einem Tessiner FCZ-Fan. «Ich habe bis zum 28. August dem Personal gesagt, dass alle Feriendaten vorerst blockiert sind.» Dann ist Europa-League-Auslosung, Rudy will mit an jedes Auswärtsspiel. Seine Mitar­beiter müssen sich mit Ferienplänen so lange gedulden, bis die FCZ-Daten feststehen und der Chef seine Reisen geplant hat.

Schmidt schmunzelt. Er kennt Europa-League-Euphorie, erreichte sie einst mit Mainz. Er war damit erfolgreicher als seine Vorgänger Thomas Tuchel und Jürgen Klopp. Doch während die beiden Trainer-Topstars nun Paris SG und Liverpool betreuen, ist Schmidt aktuell ohne Klub. Ende Februar trat er beim VfL Wolfsburg zurück.

Herr Schmidt, was haben Sie die letzten Wochen gemacht?
Martin Schmidt: Ich habe mich erholt und meinen Körper durchchecken lassen. Jeder Bundesliga-Spieler wird Sommer für Sommer auf Herz und Nieren geprüft, seit es plötzliche Todesfälle auf dem Fussballfeld gab. Aber der Trainer wird nie untersucht, obwohl er einen riesigen Stress hat. Das halte ich für einen Fehler.

Warum?
Als Bundesliga-Coach bist du unter unglaublichem Druck. Ich machte innerhalb von zwei Jahren alle Hochs und Tiefs durch: erst Qualifikation für die Europa League, dann Abstiegskampf – mal auf, mal ab. Ich verspürte mal ein Enge-­Gefühl in der Brust, als der Druck besonders gross war, und ich fragte mich: Ist das jetzt wirklich normal? Bin ich wirklich gesund?

Bis Februar 2018 dirigierte Schmidt an der Wolfsburg-Seitenlinie.
Foto: KEY

Was haben Sie gemacht, um das festzustellen?
Ich trug ein Messgerät wie die Spieler am Oberkörper. Das war spannend, ich lief um die 5 Kilo­meter, also etwa so viel wie ein Torwart. Und die Herzfrequenz war sehr hoch. Und eben, jetzt, während meiner freien Zeit, dachte ich, dass es mit über 50 nun an der Zeit ist, einen Ganzkörper-Check zu machen.

Und, wie sind Ihre Ergebnisse?
Alle hervorragend, ich bin topfit, habe überall Top-Werte.

Damit sind Sie schweizweit wohl der einzige Walliser mit intakten Leberwerten.
(Lacht.) Das muss ich nicht kommentieren, oder? Aber ja, meine Leber- und Nierenwerte sind sehr gut.

Fanden Sie auch Zeit, Ihren 86-jährigen Vater auf der Alp zu besuchen?
Selbstverständlich. Wir verbringen sehr gern Zeit miteinander. Allerdings hatte er ein wenig Sorge, weil der Bub gerade keinen Verein hat. Meine Schwester klärte ihn dann auf, dass man als Bundesliga-Trainer nicht allzu schlecht verdient und diese Pausen auch nötig sind in diesem Geschäft.

Barkeeper Rudy bietet ein Getränk an. «Unser Konzept ist Fussball und Bier», erklärt er. Schmidt bestellt zur Mittagszeit ein Mineralwasser mit Eis, abends würde er sich ein «Blonde 25» aus Sion gönnen, sagt er. «Haben wir nicht», sagt Rudy.

Ein guter Freund von Ihnen ist Raphael Wicky. Wie war Ihr Kontakt nach seiner Entlassung beim FC Basel?
Wir haben viel miteinander gesprochen. Ich kenne eine vergleichbare Situation ja aus Mainz. Es ist sehr schwer, sich von einem Klub, bei dem du acht Jahre dein ganzes Herzblut investiertest, zu lösen. Bei Raphi war es ähnlich, er war in der U16, U18 und U21 beim FC Basel. Das braucht Zeit, sich emotional vom Klub zu trennen.

«Es ist sehr schwer, sich von einem Klub, bei dem du acht Jahre dein ganzes Herzblut investiertest, zu lösen», sagt Schmidt.
Foto: TOTO MARTI

Ist Wicky zu hoch eingestiegen? Wäre er besser in Vaduz gestartet?
Nein. Man muss die Möglichkeiten im Leben packen. Er ist verant­wortlich für die beste Champions League aller Zeiten für den FC Basel. Er ist ein ausgezeichneter Trainer und hat eine grosse Kar­riere vor sich, die Erfahrung von Basel wird ihn stärker machen.

Sie waren als Kandidat für seine Nachfolge unter den letzten drei.
Davon weiss ich nichts. Es gab weder einen Kontakt noch eine indirekte Anfrage über meinen Berater.

Hätten Sie den Job aus Solidarität zu Wicky abgelehnt?
Ich habe ja immer betont, dass mein Fokus auf der Bundesliga oder einem anderen europäischen Land liegt. Die Super League ist im Moment kein Thema.

Schmidt ist die letzten Monate auch gereist. Immer wieder zieht es ihn nach Italien, nach Deutschland. Und im TV-Studio des Schweizer Fernsehens war er WM-Experte.

Wie beurteilen Sie die WM-­Kampagne der Nati?
Sportlich war es in Ordnung, obwohl ich optimistisch auf eine Viertelfinal-Qualifikation tippte. Aber ja, mit dem Vorfall rund um das Serbien-Spiel und dem Aus gegen Schweden wird vieles sehr negativ dargestellt.

Sie selbst sagen, als Trainer sei heute interne und externe Kommunikation das A und O. Wie hätten Sie als Trainer das Serbien-Spiel vorbereitet und wie danach reagiert?
Ich möchte nicht den Doppeladler-Jubel selber kritisieren. Es war eine Aktion aus den Emotionen heraus, sicher nicht ganz durchdacht. Aber wie man damit umging, das hätte man besser lösen können.

Schmidt findet bezüglich Doppeladler-Affäre deutliche Worte.
Foto: TOTO MARTI

Wie?
Es einfach offen ansprechen. Wir haben viele Kroaten, Serben und Kosovaren im Wallis, einige sind Freunde von mir. Sie erklärten mir im Vorfeld des Spiels, warum die Partie so brisant ist. Das hat mir die Augen geöffnet. Wenn beispielsweise ein Granit Xhaka vor dem Spiel öffentlich erklärt hätte, warum ihn so viele Emotionen beschäftigen, hätten viele Menschen dafür Verständnis gehabt.

Der Verband und Vladimir Petkovic schwiegen es tot.
Was Vladimir Petkovic und der Verband im Vorfeld investiert haben, kann ich nicht beurteilen. Aber als Trainer und Verantwortlicher muss man sich vor einem heissen Spiel im Klaren sein, wie man es nach innen und nach aussen moderiert. Damit kann man viel abfedern.

Gefällt Ihnen als Walliser die momentane Ausstrahlung dieser Nati?
Sagen wir es so: Die Doppelbürger gehören zur Schweiz, wir sind ein offenes Land. Früher waren es die Italiener, dann die Ex-Jugoslawen. Sie haben unser Land befruchtet und viel Gutes gebracht. Und wir nehmen doch alle gerne unsere Top-Fussballer, unsere Sprint-Asse in der Leichtathletik, unsere Tennis-Stars wie Stan Wawrinka oder Martina Hingis. Jeder Doppelbürger darf ein Fan seiner ursprünglichen Heimat sein. Ich finde die Diskussion auch doppelzüngig. Hängt ein Schweizer eine Che-Guevara-Fahne über den Balkon, gilt er als cool und weltoffen. Hängt ein Secondo die Fahne seiner Heimat über den Balkon, integriert er sich nicht.

Wollen Sie eines Tages Nati-Trainer werden?
Jeder Schweizer Trainer, der international arbeitet, muss da ehrlich sein: Natürlich wäre es ein Traum, Nati-Trainer zu werden. Wenn man sich vorstellt, diese Energie, mit deinem Land, mit Deinen Fans, mit deinen Landsleuten einen Sieg zu feiern – da bekomme ich schon Gänsehaut. Aber im Moment versuche ich, als Trainer ein Botschafter der Schweiz im Ausland zu sein. Als Kommunikator im Fernsehen, als Trainer, als Mensch mit sozialer Verantwortung. Wenn eines Tages die Konstellation passt, wäre es selbstverständlich eine Ehre, die Nati zu repräsentieren.

Warum traten Sie in Wolfsburg eigentlich zurück?
Weil viele Sachen im Umfeld einfach nicht stimmten. Dabei geht es nicht einmal um Sport. Aber man sieht ja, von den handelnden Personen von damals ist heute kaum jemand mehr da. So, wie der VfL Wolfsburg aufgestellt war, war sportlicher Erfolg nicht möglich. Mehr kann und will ich nicht ins Detail gehen, aber ich wollte den Klub mit meinem Rücktritt wecken.

«Im Moment versuche ich, als Trainer ein Botschafter der Schweiz im Ausland zu sein.»
Foto: TOTO MARTI

Was haben Sie falsch gemacht?
Es geht gar nicht um Fehler, sondern um Verantwortung als Trainer. Ich wollte dieser gerecht werden, indem ich die Reissleine ziehe. Das ist wichtig, wenn man von der Konstellation nicht überzeugt ist. Heute würde ich verschiedene Dinge früher ansprechen. Aber das ist auch das Gute daran: Ich habe das für mich aufgearbeitet und kann meine Erfahrungen bei meiner nächsten Station mitnehmen und nutzen.

Warum hat sich Renato Steffen bisher nicht durchgesetzt?
Weil fast jeder Schweizer Spieler ein halbes Jahr Anlaufzeit braucht, um in der Bundesliga reinzukommen. Das hat man bei Granit Xhaka in Gladbach auch gesehen. Steffen wird es schaffen, davon bin ich überzeugt.

Lucien Favre ist nun der einzige Schweizer Bundesliga-Trainer. Was trauen Sie ihm zu?
Er ist für mich ein guter Mix aus Klopp und Tuchel. Die Leidenschaft verbunden mit der taktischen Raffinesse. Das passt mit Dortmund, wo er ein Team mit unglaublichem Potenzial hat. Für mich ist der BVB Bayern-Jäger Nummer 1 – und ich denke, Favre wird in den nächsten Jahren Titel gewinnen.

Über der Tür hängt ein Zitat von Franz Beckenbauer. Es sind legendäre Worte der WM 1990, als Deutschland Weltmeister wurde: «Geht’s raus und spielt’s Fussball.» Worte, die Schmidt bald auch wieder Spielern auf den Weg geben möchte.

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Persönlich: Martin Schmidt (51) aus Naters VS wächst mit fünf Schwestern und einem Bruder auf, die Mutter stirbt früh. Sieben Kreuzbandrisse beim Fussball, Ski und Mountainbike. Als Coach ein Senkrechtstarter: Mit 37 ist er noch Raron-Trainer, 2008 übernimmt er den Thun-Nachwuchs. Zwei Jahre später wird er U21-Trainer bei Mainz, 2015 ist er Chef des Bundesliga-Teams. Nach der Trennung letzten Sommer holt ihn Wolfsburg im September 2017. Ende Februar 2018 tritt er nach seinem 100. Bundesliga-Spiel zurück.

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