Er ist auf dem Weg zum Fussballhelden, sieht aber aus, als habe er erst wenige Mädchen geküsst. Schüchterner Blick, bartloses Antlitz, Normalo-Frise. Ein unprätentiöser Teenager, obwohl gross, schlank und gut aussehend. Erst wenn Kai Havertz (20) in die Kamera spricht, bedächtig, gelassen und schnörkellos, spürt man eine innere Kraft und Ruhe, die eigentlich lebenserfahrenen Menschen vorbehalten ist.
«Golden Boy der Bundesliga» nennt ihn die spanische Sportbibel «Marca», die Havertz kürzlich eine Titelgeschichte widmete. Der kreative Kopf von Bayer Leverkusen verkörpert Deutschlands Sehnsucht nach dem offensiven Weltstar, die weder Mario Götze, das ewige Talent, noch Mesut Özil, der verträumte Melancholiker, oder Leroy Sane, der Bling-Bling- Kicker, stillen konnten.
Elegant wie Kaiser Franz
Seit Wochen wird Havertz auf allen Kanälen hochgejazzt. Für Leverkusen-Sportdirektor «Ruuuudi» Völler ist er «die Zukunft des deutschen Fussballs». Ex-Manager Calli Calmund vergleicht ihn mit Michael Ballack (Kopfballstärke) und Franz Beckenbauer (Eleganz). Und der frühere Bayern-Star Didi Hamann schwärmt: «So ein Talent habe ich seit 20 Jahren nicht gesehen.»
Der jüngste Stern am deutschen Fussballhimmel hat einen Vertrag bis 2022, ohne Ausstiegsklausel. Sein Karriereplan sieht einen Klubwechsel in diesem Sommer vor – in die Beletage des europäischen Fussballs. Unter 100 Millionen Euro, heisst es, sei er nicht zu haben.
Was ist wirklich dran an «King Kai»? Eine Sternschnuppe im fiebrigen Transfergeschäft oder doch ein Jahrzehnt-Talent?
Erst mal beeindruckt seine sorgfältig aufgebaute Karriere. Schon mit vier Jahren kickt er für seinen Heimatklub Alemannia Mariadorf, wechselt mit elf nach Leverkusen. Im November 2014 spielt er erstmals für Deutschland, in der U16, danach bricht er fast alle Altersrekorde. Mit 17 Bundesliga-Debüt, mit 18 Fritz-Walter-Medaille für den besten U19-Junior und 2018 das erste Aufgebot von Jogi Löw. «Ich hätte nie gedacht, dass alles so schnell gehen kann», so Havertz. «Darüber kann ich mich nur freuen.»
Havertz ist ein höchstbegabter Linksfuss vor dem Herrn. Allein seine Körpersprache, der aufrechte, an Ballack oder Socrates gemahnende Laufstil, seine lässig-elegante Coolness am Ball – eine Augenweide. Mit seinem Vorbild Mesut Özil («ich habe viel von ihm abgeschaut») verbindet ihn das genialische Raumgefühl, dank dem er Spielsituationen schnell erfasst und kreativ entscheidet. Wenn er im Strafraum abwartet, den Gegner checkt und den Ball ins Tor schlenzt, demonstriert er seine grösste Stärke – die grandiose Ruh’. Ein kickender Zen-Meister, der innere Stille mit dem Äusseren in Einklang bringt.
Magistrale Vista
Erstaunlich, denn seine Entwicklung ist gewiss nicht abgeschlossen, obwohl seine Performance schon jetzt stupend ist. «Havertz kann als 8, 9 oder 10 spielen», lobt «Marca», «diese Vielseitigkeit zeugt von seltener Klasse.» Im TV sieht man oft nur Ansätze seines Talents, den Torinstinkt, die Kopfballstärke, die Handlungsschnelligkeit. Havertz verfügt obendrein über eine magistrale Vista, geht lange Wege, verzichtet auf Zirkuseinlagen – und ist ins Gegenpressing eingebunden, auf seine ureigene Art: Er grätscht kaum, er antizipiert Raum und Gegner.
Schwächen? Vielleicht der Antritt, den 1,90 Metern Grösse geschuldet. Havertz sollte Muckis zulegen, braucht taktischen Feinschliff, Erfahrung auch. Der Weg zum Weltfussballer ist beschwerlich, wie der Vergleich mit den Superstars zeigt. Havertz erzielte bisher für Leverkusen 35 Tore – Bundesliga-Rekord für 21-Jährige. Im selben Alter trafen Cristiano Ronaldo 40-mal, Lionel Messi 49-mal und Kilian Mbappé gar 90-mal!
Geerdet in der Familie
Im vorigen Herbst, nach drei Jahren ungebrochenen Aufstiegs, geriet Havertz in eine Schaffenskrise. Er spielte die Hinrunde mau, blieb monatelang ohne Torerfolg. Einige Experten unkten, dass er früh stagniere, doch Zen-Meister Kai blieb gelassen. «Diejenigen, die dich schnell hochjubeln, lassen dich genauso schnell wieder fallen», sagt er. «Aber ich weiss um meine Qualitäten und habe mich nicht unterkriegen lassen.» Seit Anfang Jahr trifft er wieder, zuletzt in vier Spielen fünfmal.
Sein Werdegang kommt ihm dabei zugute. Seine Eltern, Vater Polizeibeamter, Mutter Juristin, unterstützten ihn von klein auf in allen Belangen. Eine gutbürgerliche Familie, die ihrem Ballkünstler jenen deutschen Willen mitgegeben hat, der Widrigkeiten als Herausforderung versteht.
Mit 14 meisterte Kai einen Wachstumsschub und den Umzug zu einer Gastfamilie in Leverkusen. Mit 18 stand er vor dem Abitur, parallel zum Einstieg ins Profigeschäft. Seine Eltern waren bereit, die Ausbildung zugunsten des Fussballs aufzugeben. «Ich will es schaffen», sagte er, auch wenn ihm manchmal alles über den Kopf wuchs. Kai kämpfte sich durch und schaffte die Reifeprüfung.
Sonst wäre er Herrencoiffeur
Havertz scheint gut gerüstet für die Wechselfälle des Sportlerlebens. Umso mehr, als er seit kurzem mindestens ein Mädchen küsst. Sophia, 19 und Model, bringt mit kecken Insta-Posts etwas Glamour ins Leben des Jungen von nebenan. Er verzichtet weiterhin auf Tattoos, Sportwagen und Goldsteaks. Wäre er nicht Fussballer geworden, dann Herrencoiffeur, sagt er. «Ich finde diesen Beruf schön.» Seine einzige Extravaganz: Er spielt Klavier, um «den Kopf freizubekommen».
Havertz’ Kumpel, BVB-Stürmer Julian Brandt, beschreibt ihn als «einfühlsamen Gute-Laune-Menschen». Für Brandt ist klar, warum er auf Erfolge und Medien-Ballyhoo gelassen reagiert: «Kai weiss, dass er das Potenzial zum Weltstar hat, so schnell wirft ihn nichts um.»
Seit Corona eine besonders wertvolle Eigenschaft, denn das Virus gefährdet den Karriereplan. Zen-Meister, so sagt man, seien im Hier und Jetzt präsent. Die neue Realität ist: Selbst die Königlichen zu Madrid können und wollen im Augenblick keine 100 Millionen Euro ausgeben, wie «Marca» schreibt. Und Barcelona buhlt um Inters Lautaro Martinez, Manchester United um Jadon Sancho.
Bayern? Barça? Leverkusen?
Und die Bayern? Coach Hansi Flick lockt mit Engelszunge. «Sportlich hätte ich ihn gerne in München», orakelt Uli Hoeness, «aber Stand heute kann ich es mir nicht vorstellen.» Möglich, dass die Bayern pokern, um den Preis auf ein moralisch vertretbares Mass zu drücken. Vielleicht bleibt Havertz letztlich in Leverkusen, unterschreibt einen neuen Vertrag mit Ausstiegsklausel und wechselt 2021. Nicht zwingend zum Liga-Krösus, denn angeblich verspürt Havertz wenig Lust auf die mediale «Münchner Ellenbogengesellschaft».
Sein Herzensklub? Früher hingen Barça-Bilder in seinem Zimmer, es soll gar lose Kontakte im Juniorenalter gegeben haben. Nun sagt er seelenruhig: «Ich bin bereit, einen grossen Schritt zu machen, ich mag Herausforderungen. Dazu zählt das Ausland.»
Ob sich Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge an seine Anfänge in München erinnert? Er bekam oft rote Bäckchen, wurde «Rummelfliege» gerufen. Ein schüchterner Teenager, der zum Weltstar und mächtigen Fussball-Impresario aufstieg.
Den Bundesliga-Kracher zwischen Bayer Leverkusen mit Kai Havertz und Bayern München gibts am Samstag live ab 15.30 Uhr im Ticker bei BLICK!
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
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1 | Bayern München | 10 | 26 | 26 | |
2 | RB Leipzig | 10 | 10 | 21 | |
3 | Eintracht Frankfurt | 10 | 10 | 20 | |
4 | Bayer Leverkusen | 10 | 5 | 17 | |
5 | SC Freiburg | 10 | 2 | 17 | |
6 | Union Berlin | 10 | 1 | 16 | |
7 | Borussia Dortmund | 10 | 0 | 16 | |
8 | Werder Bremen | 10 | -4 | 15 | |
9 | Borussia Mönchengladbach | 10 | 1 | 14 | |
10 | FSV Mainz | 10 | 1 | 13 | |
11 | VfB Stuttgart | 10 | 0 | 13 | |
12 | VfL Wolfsburg | 10 | 1 | 12 | |
13 | FC Augsburg | 10 | -7 | 12 | |
14 | 1. FC Heidenheim 1846 | 10 | -2 | 10 | |
15 | TSG Hoffenheim | 10 | -6 | 9 | |
16 | FC St. Pauli | 10 | -5 | 8 | |
17 | Holstein Kiel | 10 | -13 | 5 | |
18 | VfL Bochum | 10 | -20 | 2 |