Die verrückte Geschichte des einzigen Meistertitels eines Aufsteigers seit der Gründung der Bundesliga vor 57 Jahren beginnt Ende Mai 1997 im Aargau. «Im Hotel Du Parc in Baden», erzählt der damalige Schweizer Nati-Captain Ciri Sforza, «dort, wo wir jeweils mit GC vor den Heimspielen übernachteten.» Sforza, zu dieser Zeit Spieler von Inter Mailand unter Ex-Nati-Coach Roy Hodgson, verhandelt mit Kaiserslauterns Sportchef Hanspeter Briegel.
Sforza: «Da die Lauterer die geforderte Ablöse nicht ganz zahlen konnten, sagte ich: ‹Okay, dann will ich eben eine Meisterprämie.› Briegel hats mit einem Lächeln zur Kenntnis genommen.» Zwar hat Briegel, die «Walz aus der Pfalz», 1985 mit Hellas Verona auch mit einer Truppe Namenloser den Scudetto geholt. Aber Lautern, in der ersten Saison nach dem Aufstieg gleich Meister? Nein, damit rechnete wirklich keiner. Eine Million Mark Meister-Bonus für Sforza. Briegel, 1989 bis 1992 Spielertrainer beim FC Glarus, geht den Deal mit Ruhepuls 36 ein.
Sforza rächt sich an den Bayern
Doch schon am ersten Spieltag lässt der Aufsteiger die Bundesliga aufhorchen. Die Truppe von Otto Rehhagel ist beim Meister Bayern zu Gast. Beim Einlaufen im Olympiastadion unterhält sich Lauterns Captain Sforza mit Bayerns Spielführer Lothar Matthäus. Sforza: «Der Loddar war unruhig, er war nervös. Ich kannte ihn ja aus gemeinsamen Zeiten bei den Bayern.» Bei den Münchnern laufen neben Matthäus Stars wie Kahn, Basler, Elber, Fink oder Lizarazu auf.
80. Minute im Startspiel. Es steht in München überraschend noch 0:0. Sforza tritt einen Freistoss, der dänische Verteidiger Schjönberg nickt zum 1:0 ein. 63' 000 Fans staunen erstmals über den Liga-Rückkehrer 1. FCK. SonntagsBlick titelt: «Ciri, Otto – die Rache».
Heute unfassbar: Das zweite Spiel muss Sforza sausen lassen, er spielt mit der Schweiz am gleichen Abend ein WM-Qualifikationsspiel in Ungarn (1:1).
Bayern patzt gegen Duisburg
In der 4. Runde übernimmt Captain Sforza mit seinen Roten Teufeln die Tabellenspitze. Und gibt sie nicht mehr her!
Am 2. Mai 1998, heute vor 22 Jahren, steigt auf dem Betzenberg, 50 Meter über Kaiserslautern, die zweitletzte Runde. Vor dem Spiel gegen Wolfsburg sagt Trainer Otto Rehhagel im BLICK-Interview auf die Frage, welchen Anteil Ciri Sforza am Lauterer Höhenflug habe: «Einen sehr hohen. Am meisten freue ich mich, dass sich Ciri, abgesehen von seinen Leistungen auf dem Feld, persönlich verändert hat. Er, der eher introvertierte Typ, hat von sich aus aufgemacht und den Kontakt zu seiner Umwelt gesucht. Das mögen die Menschen hier. Und deshalb ist Sforza in der Pfalz inzwischen auch voll akzeptiert.»
Sforza bereitet Olaf Marschalls 1:0 vor. Der 1. FCK gewinnt 4:0. Ein paar Minuten nach Spielschluss brechen auf dem Betze die Dämme. Verfolger Bayern spielt zu Hause gegen den MSV Duisburg nur 0:0 – Sforza & Co. sind eine Runde vor Schluss Meister.
Als erster und bis heute einziger Aufsteiger in der Bundesliga-Geschichte.
«Wir waren eine Mannschaft, Bayern nicht»
Sforza: «Zum letzten Spiel in Hamburg, wo wir die Schale abholen durften, begleiteten uns 30' 000 Fans! Die sassen neun bis zehn Stunden im Bus. Hin und zurück.»
Das Erfolgsgeheimnis des Überraschungsmeisters? Sforza damals: «Otto Rehhagel – und keine Eifersüchteleien und Intrigen. Wir waren eine Mannschaft, die Bayern nicht.»
Heute nur noch dritte Liga für Lautern
Sforza, jetzt Trainer beim FC Wil, sagt am Freitag: «Als Aufsteiger so etwas von der ersten Runde an durchzuziehen, war schon einmalig. Ich gewann ja mit Bayern auch Champions League, Weltpokal und Uefa Cup. Aber, das stimmt schon: Der sportlich wertvollste Titel meiner Karriere ist der mit Aufsteiger Kaiserslautern. Wir standen 30 Runden zuoberst, das war wirklich eine grossartige Leistung. Egal, ob bei Werder Bremen, Kaiserslautern oder später in Griechenland, als Otto Rehhagel Europameister wurde: In seinen erfolgreichen Mannschaften rannte immer jeder für jeden.»
Übrigens: 1,6 Millionen Mark muss der Überraschungsmeister seinen Helden 1998 als Meister-Boni auszahlen. Einer der pfiffigen Spieler, der sich wie Sforza eine Meisterprämie aushandelt, ist der Ex-DDR-Internationale Olaf Marschall, der 21 Tore zum Titel beiträgt. Eine Million Mark fliesst damals auf ein Schweizer Konto.
Übrigens: Der Meister von damals spielt heute nur noch in der 3. Bundesliga. Die Gegner der Roten Teufel: SG Sonnenhof Grossaspach, Hallescher FC – und Bayern München. Die zweite Mannschaft des Rekordmeisters, versteht sich.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | Bayern München | 10 | 26 | 26 | |
2 | RB Leipzig | 10 | 10 | 21 | |
3 | Eintracht Frankfurt | 10 | 10 | 20 | |
4 | Bayer Leverkusen | 10 | 5 | 17 | |
5 | SC Freiburg | 10 | 2 | 17 | |
6 | Union Berlin | 10 | 1 | 16 | |
7 | Borussia Dortmund | 10 | 0 | 16 | |
8 | Werder Bremen | 10 | -4 | 15 | |
9 | Borussia Mönchengladbach | 10 | 1 | 14 | |
10 | FSV Mainz | 10 | 1 | 13 | |
11 | VfB Stuttgart | 10 | 0 | 13 | |
12 | VfL Wolfsburg | 10 | 1 | 12 | |
13 | FC Augsburg | 10 | -7 | 12 | |
14 | 1. FC Heidenheim 1846 | 10 | -2 | 10 | |
15 | TSG Hoffenheim | 10 | -6 | 9 | |
16 | FC St. Pauli | 10 | -5 | 8 | |
17 | Holstein Kiel | 10 | -13 | 5 | |
18 | VfL Bochum | 10 | -20 | 2 |