Augenzeuge Thurnheer erinnert sich an die Heysel-Tragödie
«So habe ich mir den Krieg vorgestellt»

Am 29. Mai 1985 sterben vor dem Meistercup-Final zwischen Liverpool und Juventus Turin 39 Menschen. Beni Turnheer erinnert sich an die Tragödie.
Publiziert: 29.05.2015 um 11:20 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 02:37 Uhr
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Liverpool-Fans attackieren den Juve-Block.
Foto: Keystone
Von Michael Wegmann

BLICK: Bernard Thurnheer, war die Tragödie von Heysel vor 30 Jahren der Tiefpunkt Ihrer langjährigen TV-Karriere?Bernard Thurnheer (65): Ja, ohne Zweifel. Von den Umständen her, war Heysel das Schlimmste, was ich in meiner 40-jährigen Reporter-Karriere erlebt habe.

Sie waren bei der grössten Katastrophe im europäischen Fussball mittendrin.
Ich war zwar im Stadion, aber nicht mittendrin. Die brutalen Bilder sah ich erst später im Fernsehen. Im Stadion habe ich in meiner Kabine nicht viel mitbekommen.

Kaum vorstellbar. Immerhin brach eine Massenpanik aus, bei welcher 39 Menschen starben und 454 sich verletzten.
Aus meiner Kabine hatte ich ja nur beschränkte Sicht aufs Spielfeld. Um die eine Eckfahne zu sehen, musste ich mich sogar nach vorne beugen. Ich erzähle dies, weil die Katastrophe im Sektor hinter dieser Fahne passiert ist. Als kurz vor Anpfiff plötzlich tausende Fans das Spielfeld stürmten, habe ich gedacht: Hey was soll jetzt das! Das Spiel geht bald los.

Wer informierte Sie dann über die Geschehnisse?
Rund eine halbe Stunde vor Spielbeginn stand die Verbindung mit Zürich. Und da hat man mir erzählt, dass es viele Tote gegeben haben soll. Ich konnte es nicht glauben, sagte: «Das gibt es doch nicht! Ich bin ja da!» Ich habe nichts gesehen. Erst dachte ich, dies sei eine übliche Übertreibung. Eine kleine Schlägerei vor dem Stadion oder so etwas. Doch dann stand irgendwann mal aber diese unglaubliche Zahl von 39 Toten im Raum.

Trotzdem wurde das Spiel mit Verspätung angepfiffen. Für viele unverständlich. Für Sie auch?
Nein. Man hat uns erzählt, dass es wohl noch viele Tote mehr gegeben hätte, hätte man das Spiel abgesagt.

Wie haben Sie die TV-Zuschauer begrüsst?
Völlig niedergeschlagen und emotionslos. Ich habe so in etwa gesagt: «Noch nie hatte ich so wenig Lust auf ein Fussballspiel wie heute!» Dann habe ich nur das Nötigste kommentiert. In der Pause kam es dann zum grossen Chaos auf der Pressetribüne. Hunderte italienische Zuschauer haben die Ordnungsleute überrannt und die Pressetribüne gestürmt. Sie wollten unbedingt nach Hause telefonieren. Entweder um zu sagen, dass sie noch leben oder um traurige Nachrichten zu übermitteln. Handys gab es damals noch nicht.

Nach der Pause hat das Schweizer Fernsehen die Übertragung abgebrochen. Warum?
Dies hat der damalige Chef Martin Furgler so entschieden. Es ist noch interessant: Die Deutschen verzichteten komplett auf eine Übertragung. Die Österreicher haben 90 Minuten mit einem ständigen Einblender gesendet. Und wir haben 45 Minuten übertragen. Keine Entscheidung war wohl die richtige. Aber mitten in der Übertragung auszusteigen war sicher nicht die Beste. Ich persönlich hatte jedoch nichts dagegen aufzuhören...

Was haben Sie in der zweiten Halbzeit gemacht?
Ich hab den Entscheid zur Kenntnis genommen und sie schweigend in der Kabine verfolgt. Als Michel Platini nach seinem Siegtreffer jubelte, habe ich mich geärgert. Nach dem Abpfiff bin ich sofort gegangen. Auf dem Weg raus habe ich einen Blick in eine Turnhalle geworfen. Was ich da gesehen habe, geht mir nie mehr aus dem Kopf.

Was?
Da lag Körper an Körper. Einer nach dem anderen aneinandergereiht. Zwar zugedeckt. Aber es war völlig klar, um was es sich hierbei handelte. Diese zwei Sekunden verfolgen mich bis heute. Genau so habe ich mir, als wohlbehüteter Schweizer, den Krieg vorgestellt.

Katastrophe von Heysel

Heute jährt sich eine der schwärzesten Stunden des modernen Fussballs zum 30. Mal. Am 29. Mai 1985 sterben vor dem Meistercup-Final zwischen Liverpool und Juventus Turin 39 Menschen. Eine Stunde vor Anpfiff im mit knapp 60 000 Zuschauern gefüllten Heysel-Stadion in Brüssel stürmen englische Hooligans den Juve-Fanblock. Abgetrennt sind die beiden Fanlager durch einen Maschendrahtzaun. In Panik versuchen die Juve-Fans zu flüchten. Hunderte werden gegen eine Mauer gedrückt. Als diese unter dem Druck einbricht, begräbt sie Dutzende Menschen unter sich. In der Massenpanik werden weitere Menschen niedergetrampelt. Andere können aufs Spielfeld flüchten.

Immer wieder greifen die englischen Hools an. Erst nach einer halben Stunde gelingt es der Gendarmerie, die Fans zurückzudrängen. Jacques van Camp, der Einsatzleiter des Roten Kreuzes, erinnert sich: «Es war grauenhaft. Überall lagen Verwundete. Sie schrien um ihr Leben. Einige hatten Stichwunden, andere hatten ausgekugelte Arme. Viele sind qualvoll erstickt. Man sah es den Leichen an. Sie waren blau im Gesicht. Gezeichnet vom Todeskampf.»

Die Partie wird mit eineinhalb Stunden Verzögerung trotzdem angepfiffen. Juve siegt durch einen verwandelten Penalty von Michel Platini mit 1:0.

Drei Jahre später werden 14 Hooligans wegen schwerer vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolgen verurteilt.

Alle englischen Klubs werden nach der Heysel-Katastrophe für fünf Jahre von allen internationalen Wettbewerben ausgeschlossen. Liverpool sogar für sieben Jahre.

Heute jährt sich eine der schwärzesten Stunden des modernen Fussballs zum 30. Mal. Am 29. Mai 1985 sterben vor dem Meistercup-Final zwischen Liverpool und Juventus Turin 39 Menschen. Eine Stunde vor Anpfiff im mit knapp 60 000 Zuschauern gefüllten Heysel-Stadion in Brüssel stürmen englische Hooligans den Juve-Fanblock. Abgetrennt sind die beiden Fanlager durch einen Maschendrahtzaun. In Panik versuchen die Juve-Fans zu flüchten. Hunderte werden gegen eine Mauer gedrückt. Als diese unter dem Druck einbricht, begräbt sie Dutzende Menschen unter sich. In der Massenpanik werden weitere Menschen niedergetrampelt. Andere können aufs Spielfeld flüchten.

Immer wieder greifen die englischen Hools an. Erst nach einer halben Stunde gelingt es der Gendarmerie, die Fans zurückzudrängen. Jacques van Camp, der Einsatzleiter des Roten Kreuzes, erinnert sich: «Es war grauenhaft. Überall lagen Verwundete. Sie schrien um ihr Leben. Einige hatten Stichwunden, andere hatten ausgekugelte Arme. Viele sind qualvoll erstickt. Man sah es den Leichen an. Sie waren blau im Gesicht. Gezeichnet vom Todeskampf.»

Die Partie wird mit eineinhalb Stunden Verzögerung trotzdem angepfiffen. Juve siegt durch einen verwandelten Penalty von Michel Platini mit 1:0.

Drei Jahre später werden 14 Hooligans wegen schwerer vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolgen verurteilt.

Alle englischen Klubs werden nach der Heysel-Katastrophe für fünf Jahre von allen internationalen Wettbewerben ausgeschlossen. Liverpool sogar für sieben Jahre.

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