Das Restaurant haben Mario Gavranovic und seine Frau Anita vorgeschlagen. Das «Boban» sei eine gute Wahl, sagt der Uber-Fahrer, das Essen da vorzüglich. Der Besitzer ist Zvonimir Boban, kroatische Fussball-Legende und heutiger stellvertretender Generalsekretär bei der Fifa. «Boban ist ein Volksheld. Mittlerweile wurde er aber von Luka Modric abgelöst», sagt Gavranovic und bestellt Carpaccio als Vorspeise, danach Pasta.
Boban ist der grösste Fussballer Kroatiens der Vergangenheit, Real-Star Modric der Gegenwart. Und Gavranovic? Der gebürtige Tessiner mit den kroatischen Wurzeln wurde unlängst von einem kroatischen Journalisten als bester Fussballer der Liga bezeichnet. «Wenn ein Journalist so etwas sagt, dann muss es ja stimmen...», sagt der 28-jährige Nati-Stürmer und lacht.
Doch seine Zahlen sprechen für sich: 40 Tore in 80 Spielen für Rijeka. Seit seinem Wechsel diesen Februar zu Dinamo hat er in bisher 23 Partien 12 Tore erzielt. Obwohl er diese Saison erst zu Joker-Einsätzen gekommen ist – da er wegen der WM fast die komplette Vorbereitung verpasste – hat er schon wieder 3 Tore auf seinem Konto. Auch sein Marktwert ist mit 4 Mio. Franken so hoch wie noch nie.
Liegt es an der kroatischen Luft, dass er so oft trifft? «Keine Ahnung an was es liegt. Es gefällt uns hier einfach ausgezeichnet. Die Stadt, der Klub, alles ist perfekt. Am Wetter liegt es zur Zeit jedenfalls nicht, es ist viel zu heiss.» Oft gegen 40 Grad – und im Gegensatz zu Rijeka, das am Meer liegt, ist es in Zagreb noch windstill. «Deshalb gehe ich auch am Nachmittag kaum aus dem Haus», sagt Gavranovic.
Das merkt man. Denn im Gegensatz zu Anita kennt er sich in der Altstadt nicht besonders gut aus. Als Fremdenführer wäre er jedenfalls ungeeignet. Dabei gibt es in den herzigen Gassen zahlreiche herzige Kaffees und Bars. Viele mit Fernseher draussen und drinnen. Da läuft auch am Mittwoch Nachmittag Fussball. Die Wiederholung von Dinamo gegen Astana vom Vorabend. Mit dem 1:0 qualifizierte sich der kroatische Rekordmeister für die Champions-League-Playoffs. Der Torschütze? Gavranovic natürlich. «Unser Mindestziel war die Gruppenphase der Europa League zu erreichen, das haben wir nun geschafft. Jetzt wollen wir unseren Traum von der Champions League verwirklichen.» Dazu muss noch ein Gegner aus dem Weg geräumt werden. Es ist ausgerechnet YB.
Zurück im Stade de Suisse
Der Schweizer Nati-Spieler freut sich auf das Kräftemessen mit dem Schweizer Meister. Auf den zweitägigen Abstecher in die Schweiz, aufs Stade de Suisse. «Ich habe viele gute Erinnerungen an das Stadion. Die besten an den Cupfinal 2014, da habe ich mit dem FCZ 2:0 gegen Basel gewonnen und beide Tore erzielt.»
In einem engen Gässchen ist ein roter Teppich auf den Boden gepinselt. Ist dies der Rote Teppich für die Königsklasse? «Sicher nicht», sagt der Knipser, «das wird ein harter Kampf gegen YB.» Er erwartet im Hinspiel am Dienstag und im Rückspiel ein Duell auf Augenhöhe. «YB ist sehr stark. Die Truppe ist eingespielt, man merkt auch von aussen, dass da eine Mannschaft auf dem Platz steht. Jeder kämpft für den andern.»
Doch genug der Vorschuss-Lorbeeren für YB. Dinamo ist immerhin der FC Basel Kroatiens. Beim Serienmeister (in den letzten 13 Saisons wurde man 12mal Meister) strotzt man vor Selbstvertrauen. «Wir haben die Qualität um uns durchzusetzen. Wenn wir unsere Leistung abrufen, kommen wir weiter.»
Dafür müsse man die YB-Offensive in den Griff bekommen, sagt der Schweizer, der die Super League noch regelmässig verfolgt. Zahlreiche Berner seien torgefährlich und würden den Abschluss suchen. Auch die Aussenverteidiger. Über links sein ehemaliger FCZ-Teamkollege Loris Benito, auf rechts Shootingstar Kevin Mbabu. «Von ihm habe ich viel Positives gehört.»
Vielleicht trifft er ja beim nächsten Nati-Zusammenzug auf den YB-Wirbelwind mit den Rastas. Da bahnt sich ja nach den grossen Unruhen während und nach der WM ein grosser Umbruch an. «Ich weiss ja auch nicht, ob ich dann aufgeboten werde, das entscheidet der Trainer», sagt Gavranovic, «ich muss mich weiterhin in jedem Spiel aufdrängen.»
Und was sagt er zum grossen Zoff von Valon Behrami mit Vladimir Petkovic? Zur Doppelbürger-Debatte und den Rücktritt von Generalsekretär Alex Miescher? Gavranovic: «Es ist einfach extrem schade, was in den letzten Wochen passiert ist. Dabei ist man mit einer Riesen-Euphorie und einer qualitativ sehr starken Mannschaft in die WM gestartet. Und jetzt das!» Näher will er nicht auf die Diskussionen eingehen. Vielleicht will er auch nicht noch mehr Öl ins Feuer werfen.
Schon als Kind Dinamo-Fan
Lieber redet Gavranovic im Moment über Zagreb. Über Kroatien. «Was für ein kleines Land möglich ist, hat Kroatien an der WM eindrücklich bewiesen.»
Den Vize-Weltmeistertitel haben die Helden mit abertausenden Kroaten übrigens auf dem Ban-Jelačić-Platz gefeiert. Gavranovic und Anita, die beide den kroatischen Pass vor Jahren nicht mehr erneuern liessen und nur noch Schweizer Staatbürger sind, blieben mit Freunden zu Hause. «Es hatte einfach viel zu viele Leute», sagt Anita.
Dass sich die 28-Jährige in Zagreb sofort wie zu Hause gefühlt hat, ist kein Wunder. Wurde sie doch hier geboren und lebte hier, ehe sie als Fünfjährige mit ihren Eltern nach Zürich ausgewandert ist. «Wir waren auch später oft in den Ferien in Zagreb und haben Verwandte besucht.» Auch Mario war schon als Knirps mit Zagreb konfrontiert. «Mein Vater, meine Mutter, meine Brüder und ich waren grosse Dinamo-Fans. Ich habe mir als Bub am TV in Lugano alle Spiele der Mannschaft angesehen, die ich konnte.»
Jetzt ist er Topskorer des Teams und will die Kroaten in die Champions League ballern. Dafür hat er sogar freiwillig auf eine Woche Ferien verzichtet und ist bereits acht Tage nach der WM wieder ins Training eingestiegen.
Er will unbedingt in die Königsklasse. Dahin wo er als 21-jähriges Stürmertalent mit Schalke 04 schon mal war. Seither hat sich viel verändert. Gavranovic ist erwachsen geworden. «Ich bin viel geduldiger und ausgeglichener als damals. Anita hat sicher auch einen wichtigen Teil dazu beigetragen», sagt er. Der Kreuzbandriss, den er sich an der WM 2014 zugezogen und der ihn monatelang ausser Gefecht gesetzt hat, sicher auch. «Plötzlich haben sich all meine Pläne geändert. Denn davor hatte ich viele Angebote.»
Geblieben ist sein Torinstinkt. Bei seinem bisher einzigen Auftritt in der Königsklasse, beim 3:1 gegen Valencia im März 2011, buchte er ein Tor. An seiner Seite stürmte übrigens Spanien-Legende Raul. Nun hat er sich mit harter Arbeit wieder zurückgekämpft. In die Nati. An die Schwelle zur Champions League. «Ja, ich bin wieder da. Und es fühlt sich gut an», sagt er.