Hitzfeld und Chapuisat im Doppelinterview
«Stéphane wäre heute 150 Millionen wert!»

Als Trainer und Stürmer waren Ottmar Hitzfeld (69) und Stéphane Chapuisat (49) absolute Weltklasse. Viele Jahre später trifft sich das unschlagbare «Schweizer»-Duo der 90er.
Publiziert: 16.09.2018 um 00:44 Uhr
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Aktualisiert: 06.10.2018 um 20:20 Uhr
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Stephane Chapuisat (r.) trifft seinen ehemaligen Trainer aus Dortmund Zeiten Ottmar Hitzfeld (l.).
Foto: SVEN THOMANN
Michael Wegmann (Interview) und Sven Thomann (Fotos)

Trainer Ottmar Hitzfeld und «sein» Stürmer Stéphane Chapuisat sind in Dortmund unsterblich. Die beiden holten 1995 die Meisterschaft in den Ruhrpott zurück, 1996 wurden sie mit dem BVB erneut Meister, und 1997 gewannen sie gar die Champions League. Die zwei «Schweizer» waren damals absolute Weltklasse. Als Laureus-­Botschafter treffen sie sich bei einem Junioren-Turnier, mit SonntagsBlick schwelgen sie in Erinnerungen, reden über Druck, gerissene Menisken, Karnickel-­Löcher und die Champions League.

Welches war Ihr schönster gemeinsamer Titel?
Ottmar Hitzfeld: Wahrscheinlich die Champions League. Doch auch der erste Meistertitel mit Dortmund war sehr emotional. Der BVB hat damals so lange darauf gewartet.
Stéphane Chapuisat: Die grosse Erlösung nach 32 Jahren. Genauso lange mussten die Berner auf einen YB-Meistertitel warten. Wieder 32 Jahre, das ist doch verrückt.
Hitzfeld: Nun weiss ich, wem wir alles zu verdanken hatten. Chappi, du bist der Glücksbringer! Im Ernst jetzt: Stéphane war mein Spieler, ich habe mein Schicksal auch mit ihm verbunden. Kaum war ich in Dortmund, hiess es: Der Schweizer Trainer bringt seinen Schweizer Stürmer.
Chapuisat: Die dachten echt alle, Ottmar sei Schweizer. Die Spieler lachten über seine Ausdrücke, die nur in der Schweiz gebräuchlich sind.

Welche?
Chapuisat:
Den Trainingsanzug nannte er Trainer. Den Elfmeter Penalty. Und so weiter ...
Hitzfeld: Ich bin zwar aus Lörrach. Doch ich fühlte mich immer mehr als Schweizer.

Welche Bedeutung hatte Chapuisat für Sie?
Hitzfeld
: Im Gegensatz zu früher darf ich es jetzt zugeben: Chappi war immer mein Lieblingsspieler. Es hiess aber schon damals ab und zu, dass sich Chappi alles erlauben dürfe.

Haben Sie es ausgenutzt?
Chapuisat:
Nein, warum sollte ich?
Hitzfeld: Deshalb war er ja mein Lieblingsspieler. Er war immer bescheiden, ruhig. Dabei war er absolute Weltklasse, der beste Spieler der Borussia.

Löhne und Ablösesummen sind seither am Explodieren. Welchen Wert hätte ein Chapuisat heute?
Hitzfeld
: Sicher 100 Millionen. Gut möglich, dass englische Klubs auch 150 für ihn hinlegen würden. Seine Tore, seine Assists, sein Unterhaltungswert. Er war überall Publikumsliebling.

Ihnen beiden geht es bestens. Auch finanziell. Nerven Sie sich dennoch, dass Sie nicht einige Jahre später geborenwurden?
Hitzfeld:
Nein, jedem seine Zeit. Wir waren damals auch privilegierter als die Generation vor uns. Die deutschen Weltmeister von 1954 haben vielleicht noch für einen Sack Kartoffeln gespielt.
Chapuisat: Mein Vater war 20 Jahre Fussballer – erst die letzten drei Jahre konnte er vom Fussball leben. Das heisst, die ersten 17 hat er vormittags noch gearbeitet. Ich war privilegiert, durfte mit 18 Profi sein. Es war eine wunderschöne Zeit.

Irgendwann ist aber das Ende Fahnenstange erreicht und die Summen gehen zurück.
Chapuisat:
Wer weiss, das prophezeit man nun ja schon lange.
Hitzfeld: Ich könnte mir auch vorstellen, dass es so weitergeht.

Als Sie Nati-Trainer waren, hatten Sie keinen Chapuisat mehr.
Hitzfeld:
In der Geschichte der Schweizer Nationalmannschaft ist Chappi der beste Stürmer. Er hätte in jeder Mannschaft der Welt spielen können. Er war cool vor dem Tor und hatte seine Tricks.

Mit Verlaub, aber Chapuisat hatte doch vor allem diesen einen Trick, den Chappi-Haken(Beide lachen.)
Chapuisat: Ja, ja. Ich habe die ganze Juniorenzeit auf dem linken Flügel gespielt. Der Raum war durch die Linie begrenzt, ich musste diesen Trick anwenden, um mich zu befreien. So habe ich ihn immer geübt.
Hitzfeld: Er hat sich dabei ein unglaubliches Timing angeeignet, spürte instinktiv, wann der Verteidiger auf dem falschen Fuss steht. Alle wussten es, kaum einer konnte ihn stoppen.

Was hätten Sie als gegnerischer Trainer Ihrem Verteidiger geraten?
Hitzfeld:
Er soll Chappi ein paarmal auflaufen lassen. Man konnte ihn nur mit Fouls stoppen. Sie merken, ich war begeistert von ihm.
Chapuisat: Dabei warst du es, der einst sechs Tore in einem Spiel schoss. Das gelang mir nie.

Wie fühlt es sich an?
Hitzfeld:
Das war bei Stuttgart, und es war wie ein Sechser im Lotto. Ich stand immer richtig. Es war mir fast peinlich. 

Was waren Sie für ein Stürmer?
Hitzfeld:
Technisch durchschnittlich, aber schnell. Und vor dem Tor kaltblütig. Aber Chappi war besser, er war ja auch Weltklasse – ich nicht. Als Trainer schon.

Wäre aus Chapuisat ein guter Trainer geworden?
Hitzfeld:
Er war ein Teamplayer, taktisch gut und hat von Natur aus die Ruhe weg. Ich könnte mir dich als Trainer vorstellen. Aber wahrscheinlich willst du diesen Stress nicht!
Chapuisat: Mich hat der Job nie gereizt. Mein Vater war lange Trainer, und ich merkte schon früh, dass es ein schwieriger Job ist.

War Gabet zu Hause nervös?
Chapuisat:
Und wie! Er konnte nicht gut abschalten, war quasi 24 Stunden mit seinem Traineramt beschäftigt.
Hitzfeld: Es ist ein stressiger Job.

Sie hatten auch schwierige Zeiten, waren ausgebrannt.
Hitzfeld:
Sehr schwierige. Ich erlitt 2004 nach sechs Jahren als Bayern-Trainer ein Burnout. Ich war kaputt, habe deshalb auch Real Madrid abgesagt.

Wie merkt man das?
Hitzfeld:
Bei mir hat der Stress schleichend Überhand genommen. Ich hatte Schlafprobleme, Appetitlosigkeit. Ich war traurig, teils depressiv und ohne Antrieb. Alles hat darunter gelitten, auch die Familie.

Und dann?
Hitzfeld:
Dann bräuchte es viel Kraft, um das Burnout zu erkennen und aufzuhören. Mir fehlte sie damals. Es war im Nachhinein ein Glück, dass sich der Klub nach einem zweiten Platz von mir getrennt hat. So konnte ich mich endlich erholen.
Chapuisat: Der Druck auf einen Trainer ist wahnsinnig. Vor allem bei Klubs wie Bayern. Der Meistertitel ist quasi normal. Da kann ein Trainer fast nur verlieren.

Kannten Sie als Stürmer auch schlaflose Nächte?
Chapuisat:
Nein. Aber wenn du kein Tor machst, steigt der Druck auch. Vielleicht spielst du nicht mehr instinktiv, überlegst zu viel und verlierst deine Stärken. Aber der Druck ist auf viele Schultern verteilt und nie so gross wie auf einen Coach.
Hitzfeld: Wegen Frank Mill hattest du auch keine schlaflosen Nächte?

Wie bist du mit ihm ausgekommen?
Chapuisat:
Eigentlich gut. Frank war eher auf Flemming Povlsen sauer, weil dieser plötzlich mit seiner Nummer 11 spielte, ich hatte ja die 9. Frank war ein Weltmeister, der Star im Team.

Wie schwer war es für dich, ihn draussen zu lassen?
Hitzfeld:
Mill war eine Ikone und ein schwieriger Typ. Er hatte Unterstützung von der BILD-Zeitung. Man hat mich gewarnt, dass ich ihn nicht auf die Bank setzen könne.

Sie taten es dennoch.
Hitzfeld:
Ich hatte meine Vorstellungen und war bereit, diese durchzusetzen.

Welcher gemeinsame Moment ist Ihnen am meisten geblieben?
Chapuisat:
Die Feier nach dem ersten Meistertitel.
Hitzfeld: Ich erinnere mich auch noch bestens an den Moment, als bei Chappi das Kreuzband riss. Da war ich niedergeschlagen, hatte tausend Gedanken im Kopf.
Chapuisat: ... Im Zweikampf mit Michael Henke.

Henke war doch Co-Trainer?
Hitzfeld:
Ja. Heute würde daraus wohl ein Skandal gemacht. Stellen Sie sich vor: Der Co-Trainer verletzt den besten Spieler im «5 gegen 2». Michael grätschte und war ein wenig schwerfällig. Er wollte danach kündigen, das konnten wir ihm ausreden.
Chapuisat: Wir lagen da auf Platz eins, mit einigen Punkten Vorsprung. Ein paar Tage darauf riss sich auch Kalle Riedle im Training das Kreuzband.

Wieder Henke?
Chapuisat:
Nein, zum Glück nicht.

Danach durfte bei Ihnen wohl kein Assistenztrainer mehr mitspielen.
Hitzfeld:
Doch, doch.
Chapuisat: Ottmar hat sich ja auch im Training das Kreuzband gerissen.
Hitzfeld: Nach einem Uefa-Cup-Spiel auf Malta spielte ich mit den Ersatzspielern und trat dabei in ein Loch. Seither habe ich nie mehr Fussball gespielt.
Chapuisat: Die Trainingsplätze waren beim BVB zu dieser Zeit eine Katastrophe, da hatte es einige Löcher.
Hitzfeld: Wir trainierten auf einer Wiese im Schwimmbad. Über Nacht kamen jeweils Karnickel und gruben Löcher. Die Fans standen bei den Trainings auch fast im Spielfeld, ich musste sie immer wegschicken.
Chapuisat: Irgendwann kam dann zum Glück ein neues Trainingscenter. Wie schaust du dir heute die Spiele an? Juckt es dich nicht mehr?
Hitzfeld:
Nein, das ist vorbei. Vor vier Jahren aufzuhören, war die beste Entscheidung. Und bei dir?
Chapuisat:
Es muss auch nicht mehr sein. Heute nehme ich die Stürmer in Schutz, die Chancen auslassen. Welchen Tipp gibst du uns fürs Spiel gegen Manchester?
Hitzfeld: Freut euch, verstellt euch nicht. Spielt frech und befreit nach vorne wie immer. YB hat in der Champions League kaum was zu verlieren. ManUtd ist unter Druck – ich glaube, dass ihr Chancen habt! Ich drücke euch die Daumen.

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