«Wir freuten uns, überhaupt spielen zu dürfen»
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Fussball-Pionierin Streit:«Wir freuten uns, überhaupt spielen zu dürfen»

Frauenfussball-Pionierin Trudy Streit
«Wir mussten die alten Trikots der B-Junioren tragen»

Heute vor 50 Jahren durfte Trudy Streit beim ersten Frauen-­Länderspiel auf Schweizer Boden ­auflaufen. Ein Rückblick auf ein Torfräulein, das sich kaum bücken konnte, hüpfende Busen und Vorurteile.
Publiziert: 08.11.2020 um 12:39 Uhr
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Die Pionierin: 1968 gründete Trudy Streit zusammen mit ihrer Schwester den ersten Frauenfussballverein der Schweiz.
Foto: BENJAMIN SOLAND
Daniel Leu (Text) und Benjamin Soland (Fotos)

Trudy Streit kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. «Hier sieht ja fast noch alles gleich aus wie vor 50 Jahren. Als ob die Zeit stehen geblieben wäre», sagt sie beim Betreten des Stadions Breite in Schaffhausen. Das letzte Mal hier war sie vor einem halben Jahrhundert. Genauer gesagt am 8. November 1970. Damals fand auf der Breite das erste Frauen­länderspiel auf Schweizer Boden statt. «Dass wir an jenem Tag ­Geschichte schrieben, hat uns ­damals doch nicht interessiert. Wir wollten einfach nur spielen», erzählt Streit, während sie voller Freude über den Platz läuft.

Die 67-Jährige nimmt SonntagsBlick mit auf eine Zeitreise. In die Anfänge des Frauenfussballs. In eine Zeit, in der es in der Schweiz noch kein Frauenstimmrecht gab. Und in der die verheirateten ­Frauen die Unterschrift ihres Ehemannes benötigten, um arbeiten zu dürfen.

Bereits 1968 gründete Trudy ­zusammen mit ihrer älteren Schwester Ursula den Damenfussballclub Zürich, den ersten Frauenfussballverein der Schweiz. Mit Hilfe ihres Vaters. «Er hat uns bei unserem Wunsch, Fussball zu spielen, immer unterstützt. Das war zu der Zeit schon sehr aussergewöhnlich.» Die einhellige Meinung damals: Fussball ist nichts für Frauen. Sie gehören hinter den Herd und sollen Kinder gebären.

«Wir kamen uns schon fast wichtig vor»

Das Jahr 1970 sollte ein Wendepunkt werden. Zuerst durfte die Schweiz an der inoffiziellen WM in Italien teilnehmen. Und dann kam eben dieser 8. November. Schweiz gegen Österreich. 2000 Zuschauer strömten an jenem Sonntag zum Stadion Breite. Die Stadtharmonie Schaffhausen spielte die Nationalhymne. Und Stadtpräsident Felix Schwank sagte: «Was selbst eingefleischte Fussballanhänger noch vor kurzer Zeit kaum für möglich hielten, ist Tatsache geworden.»

«Überall hatte es Leute», erinnert sich Streit, die damals noch unter ­ihrem Ledignamen Moser auflief, «wir kamen uns fast schon ein bisschen wichtig vor.» Geschlafen hatten die Spielerinnen in der Nacht zuvor in der Jugendherberge. Und im Spiel traten sie in gelben Leibchen an. «Wir mussten die alten ­Trikots der B-Junioren tragen. Die waren richtig verwaschen. Das hat uns natürlich nicht gefallen.»

«Sie konnte sich kaum bücken …»

Das Spiel war dann eine einseitige Sache. 9:0 für die Schweiz. «Das war ein Frust. Wir hätten lieber ­gerne gegen ein Team gespielt, das uns mehr gefordert hätte, denn so war das keine gute Werbung für den Damenfussball.» Vor allem die Ösi-Torfrau war ein Thema. «Sagen wir es so: Sie war nicht sehr athletisch und konnte sich kaum bücken …» Oder wie die «Schweizer Illustrierte» am Tag darauf unter dem Titel «Die Damen stellten ihren Mann» schrieb: «Das rundliche, öster­reichische Torfräulein griff zwei-, dreimal bös daneben.»

Was erst nachträglich rauskam: Weil bei den Österreicherinnen zwei Jugoslawinnen mitspielten, wurde die Partie nur als inoffizielles Länderspiel gewertet. Finanziell war die Premiere aber ein Erfolg. 7327 Franken Ausgaben standen 7840 Franken Einnahmen gegenüber.

Der kam nur wegen den wackelnden Busen

Die Vorurteile gegenüber dem Frauenfussball aber blieben. Auch Trudy Streit musste zwiespältige ­Erfahrungen machen. Geblieben ist ihr vor allem ein Herr, der sich ­immer ihre Liga-Spiele anschaute. «Als ich ihm sagte, es sei schön, dass er hier sei, sagte er: ‹Weisst du, wenn ihr rennt, da wackelt der ­Busen immer hin und her. Deshalb komme ich euch zuschauen.›»

Heute kann Streit über solche Geschichten von damals lachen. Im Wissen, dass es noch immer viele Klischees über kickende Frauen gibt. Zu Unrecht, insistiert sie vehement. «Es ist unglaublich, was die Frauen heute am Ball zeigen. Ich schaue mir deshalb sehr gerne ihre Spiele an.»

Das Matchtelegramm von damals

Schweiz – Österreich 9:0 (2:0)

Datum: 8. November 1970, 14.30 Uhr

Ort: Stadion Breite (Schaffhausen)

Fans: 2000

Spielzeit: zweimal 35 Minuten

Schiedsrichter: Herr E. Smoock (Konstanz)

Ballspender: Walter Bucher, eidg. dipl. Gipsermeister

Aufstellung Schweiz: Mireille Cina (Sion); Trudy Moser (Zürich), Elisabeth Copt (Sion), Anneliese Staudenmann (Boudry), Ursula Kaiserauer (YF); Madeleine Boll (Mailand), Kathrin Moser (Mailand); Fiorenza Kretz (Zürich), Nadia Ripamonti (La Chaux-de-Fonds), Rita Odermatt (Captain, Emmenbrücke), Nelly Juillard (Sion)/Josianne Etter (Zürich).

Tore: 12. Boll 1:0, 20. K. Moser 2:0, 37. Etter 3:0, 39. K. Moser 4:0, 46. Boll 5:0, 47. Kretz 6:0, 54. Boll 7:0, 58. Etter 8:0, 62. Odermatt 9:0.

Schweiz – Österreich 9:0 (2:0)

Datum: 8. November 1970, 14.30 Uhr

Ort: Stadion Breite (Schaffhausen)

Fans: 2000

Spielzeit: zweimal 35 Minuten

Schiedsrichter: Herr E. Smoock (Konstanz)

Ballspender: Walter Bucher, eidg. dipl. Gipsermeister

Aufstellung Schweiz: Mireille Cina (Sion); Trudy Moser (Zürich), Elisabeth Copt (Sion), Anneliese Staudenmann (Boudry), Ursula Kaiserauer (YF); Madeleine Boll (Mailand), Kathrin Moser (Mailand); Fiorenza Kretz (Zürich), Nadia Ripamonti (La Chaux-de-Fonds), Rita Odermatt (Captain, Emmenbrücke), Nelly Juillard (Sion)/Josianne Etter (Zürich).

Tore: 12. Boll 1:0, 20. K. Moser 2:0, 37. Etter 3:0, 39. K. Moser 4:0, 46. Boll 5:0, 47. Kretz 6:0, 54. Boll 7:0, 58. Etter 8:0, 62. Odermatt 9:0.

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