Die Minute meines Lebens!
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Ex-Kicker Christoph Bichsel:Die Minute meines Lebens!

Ex-Fussballer Christoph Bichsel
Die Minute meines Lebens!

Einmal in der höchsten Fussballliga auflaufen! Christoph Bichsel, Moritz Gnehm und Daniel Krenn konnten sich diesen Traum erfüllen. Aber nur für je eine Minute.
Publiziert: 01.07.2020 um 21:14 Uhr
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Christoph Bichsel: 1997 kam der St. Galler beim Spiel in Neuenburg zu einer einzigen Einsatzminute.
Foto: Sven Thomann
Daniel Leu

Es ist der Traum jedes Amateurfussballers oder Juniors: einmal im Leben in der Super League (oder früher in der Nationalliga A) auflaufen. Seit 1933 ging gemäss dem Statistik-Portal «SFL Glory» für 7721 Spieler dieser Traum in Erfüllung. Darunter Legenden wie Philippe Perret, der während 47010 Minuten auf dem Platz stehen durfte, aber auch unbekannte Namen wie Christoph Bichsel, Moritz Gnehm und Daniel Krenn.

Sie sind drei von insgesamt nur fünf Spielern, die offiziell genau eine Minute in der höchsten Liga spielen durften. Sie wurden jeweils in der 89. Minute eingewechselt und kamen so je nach Dauer der Nachspielzeit auf einige wenige Minuten NLA-Luft.

Das Schöne daran: Sie hadern rückblickend nicht damit, dass sie nur eine Minute gespielt haben, sondern erfreuen sich daran. Bühne frei für die drei kürzesten Karrieren aller Zeiten.

Christoph Bichsel:
«Meine Mutter verwechselte mich»

Christoph Bichsel erscheint gut gelaunt zum Interview-Termin. Er ist zum ersten Mal seit rund 20 Jahren wieder hier auf dem St. Galler Espenmoos anzutreffen, seiner einstigen Heimat als Fussballer. «Wow, die Haupttribüne steht ja immer noch», sagt er verblüfft und zeigt auf die Seitenlinie, «an der durfte ich mich gegen den FCZ einlaufen. Nach über einer halben Stunde kam Co-Trainer Werni Zünd zu mir und meinte, ich werde jetzt doch nicht eingesetzt und könne duschen gehen.»

Vier Tage später ist es dann aber 230 Kilometer entfernt von hier soweit: Am Mittwoch, dem 4. Juni 1997 kommt der 20-jährige Bichsel, der das Fussballspielen beim FC Weinfelden-Bürglen erlernt hat, zu seiner Premiere in der damaligen Nationalliga A. Letzter Spieltag, Xamax gegen St. Gallen. «Wir waren vier junge Spieler, die die letzten Wochen mit der ersten Mannschaft mittrainieren durften», erinnert sich Bichsel, «als wir gegen Xamax 0:2 zurücklagen, wurde ich kurz vor Schluss für Giorgio Contini eingewechselt. Das war ein Zückerchen von Trainer Roger Hegi.»

Ob Stürmer Bichsel in der Spielminute seines Lebens überhaupt einen Ball berührte, weiss er heute, über 23 Jahre später, nicht mehr. «Aber ich kann mich noch daran erinnern, wie ich den damaligen Nati-Spieler Régis Rothenbühler von den Beinen holte. Da kam der Schiedsrichter zu mir und meinte, das sei jetzt nicht nötig gewesen. Es kann sogar sein, dass er mir die Gelbe Karte gezeigt hat. Das wärs: Kein Ballkontakt, aber Gelb geholt...» Ein Blick in die Statistik zeigt: Bichsel hatte Glück, Schiedsrichter Dieter Schoch liess es offenbar bei einer Ermahnung bewenden.

Erinnerungen hat Bichsel vor allem noch an die Stunden nach dem Schlusspfiff. «Einige Spieler mussten noch zur Dopingkontrolle. Das dauerte sehr lange. Deshalb kehrten wir erst mitten in der Nacht in die Ostschweiz zurück. Als ich Zuhause ankam, war meine Mutter noch wach. Sie gratulierte mir und war erfreut darüber, dass ich den ganzen Match durchgespielt hätte. Ich war völlig irritiert. Sie hatte sich offenbar die Zusammenfassung am Fernsehen angeschaut und mich mit Stammspieler Erik Regtop verwechselt.»

Nach seinem Debüt hofft Bichsel auf einen Profi-Vertrag und auf weitere Einsatzminuten in der neuen Saison. Vergeblich. «Eines Tages kam Roger Hegi zu mir und meinte, es wäre besser, wenn mich St. Gallen ausleihen würde.» Bichsel wechselt deshalb zu Rorschach in die 1. Liga.

Dort ist er zwar zu Beginn der neuen Saison Stammspieler, doch dann verliert er seinen Platz. «Ich war auf dem Platz ein Heisssporn», sagt er heute, lacht laut und erzählt eine Anekdote, die dies untermauert: «Während eines Spiels in Vaduz wurde ich gefoult, doch der Schiri pfiff nicht. Also rannte ich ihm nach. Als er abrupt stoppte, prallten wir zusammen. Ich bekam die Rote Karte und demolierte dann aus Frust noch eine Plexiglasscheibe. Dafür bekam ich sieben Spielsperren. Es war der Anfang vom Ende meiner Karriere.»

Gehadert hat der 43-jährige Berufsschullehrer und Familienvater damit nie. «Mir hat ein ehemaliger Auswahltrainer Jahre danach mal gesagt, ich hätte zwei Probleme gehabt. Erstens: Er habe mich nie mit 100 Prozent trainieren gesehen. Und zweitens: Die dritte Halbzeit sei für mich immer die wichtigste gewesen. Ganz unrecht hatte er wohl nicht...»

Daniel Krenn:
«Jetzt einfach keinen Fehler machen»

Die Ankunft in Sion beginnt denkbar schlecht für Daniel Krenn. «Als wir mit dem Car Sion erreichten, gingen wir in ein Tageshotel, um uns noch ein bisschen auszuruhen», erinnert er sich, «dort sagte uns Trainer Martin Trümpler, dass es um 16 Uhr noch ein Footing gäbe. Ich war irritiert und dachte, es sei schon komisch, so kurz vor dem Spiel noch ausgiebig zu essen...»

Das Missverständnis löst sich schnell einmal auf. «Ich dachte mir aber, das wird heute nichts mit dem Tag.» In der zweiten Halbzeit darf Krenn sich einlaufen. Zusammen mit Sasa Ciric, der später in die Bundesliga wechseln wird. «Auf einmal rief Trümpler zu uns rüber. Aber nicht zu Sasa, sondern zu mir. In diesem Moment gehen einem gleichzeitig 1000 Sachen und doch nichts durch den Kopf.»

Als Krenn in der 89. Minute eingewechselt wird, steht es 1:1. Für Krenn ist eines klar: «Jetzt einfach keinen Fehler machen.» Doch dann verliert er in der Offensive gegen Ivan Quentin den Ball. Konter. Foul eines Aarau-Spielers. Freistoss. Kopfball. 2:1-Siegestor für die Walliser. «Auf der Rückreise wurde ich deshalb im Bus von Mirko Pavlicevic ordentlich zusammengestaucht.»

Dass es aber nicht mehr zu einem zweiten NLA-Einsatz kommt, hängt nicht mit dem Ballverlust zusammen. Wenige Wochen später reisst sich Krenn beim Treppensteigen die Bänder. In der Rückrunde wird er schliesslich zum FC Baden in die Nati B ausgeliehen. «Irgendwann fragte ich mich: Will ich wirklich weiter die Profi-Karriere anstreben oder will ich wieder mehr Spass am Fussball haben und deshalb in den Amateurbereich zurückkehren?»

Seine Antwort ist klar: Krenn wird wieder Amateurspieler. Heute arbeitet er als Seminarleiter und Coach und bei einer Sozialversicherung im Kanton Aargau als Teamleiter. «Beim Coaching kann ich natürlich auf meine Erfahrungen als Fussballer zurückgreifen», erklärt der 46-jährige zweifache Familienvater.

Das Spezielle an Krenns Karriere: Er hat zwar «nur» eine Minute NLA gespielt, aber rund 30 (!) Minuten Europacup. Denn bereits vor dem Spiel in Sion kam er im legendären UI-Cup zum Einsatz. «Das war eine witzige Reise. Wir spielten auswärts im rumänischen Cluj. Weil wir spät dran waren, hielt Trümpler die Teambesprechung im Flugzeug via Mikrofon ab. Die Stimmung im Stadion war dann auch sehr speziell. Alles war kaputt, es hatte Scherben am Boden und kaum Zuschauer.»

Aarau siegte 3:2 und kam eine Runde weiter. In den Schweizer Zeitungen stand am Tag darauf aber etwas anderes. Weil es damals noch kaum Handys gab und offenbar auch die Uefa keinen Kontakt nach Rumänien hatte, verbreiteten alle Medien ein 0:0 und damit fälschlicherweise ein Ausscheiden Aaraus.

Moritz Gnehm:
«Anstrengender als ein komplettes U21-Spiel»

Sonntagmorgen, 24. März 1996: Im Hause Gnehm klingelt auf einmal das Telefon. Die Mutter nimmt ab. Am anderen Ende der Leitung? Fredy Strasser vom FC Aarau. Ein Aussenverteidiger sei krank, Sohn Moritz dürfe deshalb mit zum Spiel beim FC Basel reisen. Kurze Zeit später fährt ihn seine Mutter deshalb nach Aarau. Dort wartet bereits der Teambus. Und los geht die Reise.

«Dass alles so schnell ging, war für mich als junger Spieler ein Vorteil», sagt Moritz Gnehm heute, «so hatte ich wenigstens keine schlaflosen Nächte vor dem Spiel.» Doch als er im Joggeli Mitte der zweiten Halbzeit zum Einlaufen geschickt wird, beginnen seine Knie zu schlottern.

Kurz vor Schluss ruft ihn Trainer Martin Trümpler zu sich und wechselt ihn in der 89. Minute für Jeff Saibene ein. «Inklusive der Nachspielzeit kam ich etwa auf vier, fünf Minuten. Ich hatte einige Ballberührungen und zwei, drei Zweikämpfe. Was ich sagen kann: Diese wenigen Minuten waren anstrengender als ein komplettes Spiel in der U21. Was mich zudem bis heute stolz macht: Seither hat keine Mannschaft des FCA mehr Basel auswärts besiegen können.»

Doch warum bleibt es danach bei dieser einen Minute? «Ich war einfach zu wenig gut. Da muss man ehrlich zu sich selbst sein», erklärt der 44-Jährige, «ein Jahr nach diesem Spiel in Basel erhielt ich beim FC Aarau zwar noch einen Profi-Vertrag, aber leider nur für ein Jahr. Dann kamen die Sportler-RS und eine Fussverletzung dazwischen. Und schon war ich weg. Es kann sehr schnell gehen.»

Seine schönsten Augenblicke als Fussballer seien nicht die in Basel gewesen, sondern die als Junior beim FC Aarau. «Weil Wettingen Konkurs ging, stiegen wir damals von der Inter A2 in die A1 auf. In der darauffolgenden Saison wurden wir gleich Schweizer Meister und liessen starke Teams wie GC und Servette hinter uns. Mit Aarau Meister zu werden – das war wunderbar.» Im Tor damals übrigens Ivan Benito. «Als Zückerchen für unseren Titel wurden wir dann ans Blue-Stars-Turnier eingeladen und durften im Letzigrund vor etwa 5000 Zuschauern gegen Teams wie Bayern München, Manchester United und Liverpool spielen. Das war ein einmaliges Erlebnis.»

Indirekt verdankt Gnehm dem Fussball seinen heutigen Beruf. «Als Fussballer kommt man automatisch mit Physiotherapeuten in Berührung. So war es auch bei mir nach meiner Fussverletzung. Heute führe ich zusammen mit meiner Frau im Aargau zwei Physiopraxen.»

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