Jürgen Klopp wendet sich nach letztem Training an die Fans
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Umzugskisten sind gepackt:Jürgen Klopp wendet sich nach letztem Training an die Fans

«Er riss mir an den Haaren»
Zwei Schweizer über die Anfänge des Klopp-Märchens

Ab Sonntag nimmt sich Jürgen Klopp eine Auszeit. Ob er nochmals zurückkehrt? Offen! Blaise N'Kufo und Sven Christ waren hautnah dabei, als vor 23 Jahren das Klopp-Märchen in Mainz begann.
Publiziert: 19.05.2024 um 11:46 Uhr
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Aktualisiert: 19.05.2024 um 14:04 Uhr
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Trainingsstart vor der Saison 2001/02: Mit Jürgen Klopp (rechts oben) und dem Schweizer Neuzugang Sven Christ (hinten, 2. v. l.).

Jede Weltkarriere beginnt irgendwo im Kleinen. Jene von Jürgen Klopp entstand sogar aus einer Bieridee.

Im Frühjahr 2001, der FSV Mainz 05 befindet sich im freien Fall von der 2. Bundesliga in die Regionalliga, gehen die Bosse Harald Strutz und Christian Heidel an die Fasnacht. Frustsaufen. Tief in der Nacht fällt der Entschluss: Der minder talentierte Abwehr-Haudegen Jürgen Klopp ist ab sofort neuer Cheftrainer!

Zwei Schweizer haben die Anfänge des Klopp-Märchens hautnah erlebt. Anlässlich von Jürgen Klopps Abschied beim FC Liverpool erzählen sie:

Blaise Nkufo (48), von 2001 bis 2002 erst Teamkollege, dann Spieler unter Klopp in Mainz, heute Berater und Juniorentrainer

«Es war sehr, sehr speziell: Jürgen war am einen Tag noch mein Mitspieler, eine Nacht später dann mein Trainer! Wie er als Spieler war? Darüber reden wir lieber nicht (lacht). Im Ernst: Er gab immer Vollgas, kämpfte vom An- bis zum Schlusspfiff, das Publikum liebte ihn dafür. Als er Trainer wurde, veränderte er das Auftreten und den Charakter der Mannschaft sofort, vor allem wegen seines Talents als Motivator. Er hatte schon damals die Siegermentalität, die ihn bis heute auszeichnet. Er schaffte es, dass wir uns unter ihm sehr stark fühlten!

Trotzdem: Voraussagen, dass er später einer der besten Trainer der Welt sein würde, dass er die wichtigsten Trophäen im Klubfussball gewinnen wird – das konnte man damals nicht. Die Idee der Vereinsführung, Jürgen zum Trainer zu machen, war rückblickend einfach grossartig.

Wir haben gemeinsam sehr emotionale Momente erlebt, vor allem 2002 den gescheiterten Aufstieg in die Bundesliga am letzten Spieltag. Es gibt immer noch Fotos, auf denen wir weinend in den Armen zu sehen sind. Das sind intensive Momente, an die ich mich noch gut erinnere. Ich bin danach zu Hannover gewechselt und habe Jürgen seither nicht mehr gesehen. Ich wünsche mir, dass wir uns noch einmal treffen – denn wir teilen viele grossartige Erinnerungen.»

Sven Christ (50), von 2001 bis 2003 Spieler unter Klopp in Mainz, heute Leiter Entwicklung/Controlling Leistungszentren beim Schweizer Fussballverband

«Als mein Berater im Frühling 2001 vom Interesse aus Mainz erzählte, wusste ich nichts über den Verein. Mit meiner damaligen Frau bin ich dann hochgefahren, am zweiten Tag hat mich Jürgen zum Brunch eingeladen. Zwei Stunden lang haben wir gegessen und geplaudert – aber kein Wort über Fussball! Er wusste alles über mich als Spieler, er wollte mich in dem Moment als Mensch kennenlernen. Nach dem Zahlen meinte er: Los, jetzt fahren wir ins Stadion und unterschreiben den Vertrag! Ich war perplex, wollte eigentlich nochmals eine Nacht drüber schlafen. Aber wir sind dann mitgegangen, Jürgen und Heidel haben nochmals bekräftigt, wie sehr sie mich wollen. Finanziell waren wir uns nach einem Satz einig – und dann hab ich den Vertrag unterschrieben. Ich hatte richtig Lust auf dieses Abenteuer, auf diesen Klopp!

Jürgen ist einer der ehrlichsten Menschen, den ich in meinem Leben kennengelernt habe. Im Fussballalltag hiess dies: Wer im Training und im Spiel in jeder Sekunde 100 Prozent Einsatz zeigte, hatte es gut mit ihm – und konnte sich auch mal Fehler erlauben. Wer es schleifen liess, den liess er fallen. Da war er gnadenlos. Das ist für ihn Betrug am ganzen Team.

In den ersten Spielen war ich gesetzt, dann war ich zwei Spiele gesperrt und rechnete fest damit, wieder ins Team zu kommen. Doch dann eröffnete mir Jürgen, dass ich nach Ablauf meiner Sperre vorerst nicht im Aufgebot stehe. Ich kam nach Hause, meine Frau fragte mich, warum ich nicht im Teamhotel bin. Da antwortete ich: Ich bin nicht im Kader – und es ist okay! Sie war perplex, weil ich in solchen Situationen normalerweise ganz schlecht drauf war. Aber Jürgen hats mir so erklärt, dass ich bereit war, mich im Training wieder von Neuem anzubieten.

Zweimal haben wir den Aufstieg erst am letzten Spieltag verpasst. Nach dem zweiten Mal waren wir im Bus auf dem Rückweg nach Mainz, alle mit hängenden Köpfen – da kam Jürgen in die hinterste Sitzreihe zu mir, nahm mich in den Schwitzkasten, riss mir an den Haaren und sagte mit Vehemenz: Du bleibst hier! Ich wollte damals einen besseren Vertrag, wir wurden uns aber nicht einig, und ich verliess den Klub dann doch.

Was nach der Rückkehr nach Mainz passierte, werde ich ebenfalls nie mehr vergessen: Da waren 30'000 heulende Menschen auf dem Platz, als Jürgen das Mikrofon nahm und mit den Worten begann: 2. Liga – Mainz ist dabei! Wir Spieler schauten uns fragend an: Was stimmt mit dem nicht? Doch dann hielt er eine flammende Rede, die er mit den Worten beendete: Ich verspreche euch, nächstes Jahr steigen wir auf! So kam es dann auch – leider ohne mich. Aber ich habe mich brutal gefreut für Jürgen und die Ex-Kollegen.

Ich habe ihn jeweils besucht, als er mit Dortmund einige Jahre hintereinander im Trainingslager in Bad Ragaz weilte. Dann haben wir telefoniert vor dem Europa-League-Final 2015 mit Liverpool in Basel. Wie es mit ihm weitergeht? Wie ich ihn kenne, wird er jetzt ein, zwei Jahre das Leben in vollen Zügen geniessen. Das kann er genauso gut wie Trainer sein. Aber ich bin sicher: Danach werden wir ihn nochmals als Trainer sehen. Vielleicht auch bei einem kleineren Klub – Hauptsache, er kann hundertprozentig hinter dem Verein und der Aufgabe stehen.»

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